- Maine de Biran
Maine de Biran (spr. mǟn' dö biráng), François Pierre Gauthier, franz. Philosoph, geb. 29. Nov. 1766 in Bergerac, gest. 16. Juli 1824, diente in der Leibgarde und lebte während der Revolution, in der er Vater, Mutter und zwei Brüder verlor, seinen Studien auf einem Landgut bei seiner Vaterstadt. Unter dem Kaiserreich wurde er 1809 Unterpräfekt von Bergerac und 1812 Mitglied des Gesetzgebenden Körpers, nach der Restauration Mitglied der Deputiertenkammer und Staatsrat. Anfänglich Sensualist im Sinne Lockes und Condillacs, hierauf Intellektualist im Sinne der durch Leibniz an Locke vollzogenen Modifikation, gegen das Ende seines Lebens mystischer Theosoph, der das Individuum in Gott ausgehen läßt, hat er, obgleich nicht geschulter Philosoph, seinerseits Schule gemacht und insbes. durch die Richtung seiner zweiten Periode auf Cousin und dessen Nachfolger beträchtlichen Einfluß geübt. Der ersten Periode gehört an sein »Mémoire sur l'habitude« (Par. 1803), in dem er im Gegensatz gegen den Sensualismus von der rein passiven Empfindung (sensation) die aktive Wahrnehmung (perception) unterscheidet. Aus der zweiten Periode stammt nebst der Abhandlung »Rapport du physique et du moral« (hrsg. 1834 durch Cousin) die Schrift »Essai sur le fondement de la psychologie« (hrsg. 1859 durch Naville), in der sich der Verfasser zwischen die Metaphysiker, welche die Seele als Ding an sich, das als solches für uns unzugänglich ist, fassen, und die reinen Empiriker, die in der Seele nur eine Reihe untereinander verknüpfter Erscheinungen sehen, auf den Standpunkt der »réflexion intérieure« stellt, vermöge der das individuelle Subjekt sich als solches fühlt und von seinen sämtlichen Veränderungen (modes) sich unterscheidet. Die Grundtatsache des Bewußtseins ist die des Strebens (nisus), d. h. der Aktivität des Ichs, die, insofern sie gehemmt, d. h. durch ein äußeres Objekt bestimmt, wird, also sich leidend (rezeptiv) verhalten muß, den Stoff, insofern sie frei, d. h. bestimmend (spontan), verfährt, die Form der Erkenntnis (ähnlich wie bei Kant) erzeugt. Der dritten, nicht zum Abschluß gelangten Periode seiner Philosophie gehört sein letztes, unvollendet gebliebenes Werk »Nouveaux essais d'anthropologie« an, in dem er im Menschen dreierlei Leben unterscheidet: das tierische der Empfindung, das menschliche des Willens und das geistige der Liebe. Das Ich, das während des ersten noch gar nicht vorhanden ist, während des zweiten den höchsten Inhalt des Bewußtseins ausmacht, erscheint während des dritten erloschen, indem es in Gott ausgeht. Jeder dieser drei Stufen entspricht eine Periode seines eignen Philosophierens. Seine gesammelten Werke gab Cousin heraus (Par. 1841, 3 Bde.), seinen literarischen Nachlaß Naville (das. 1859, 3 Bde.) und Bertrand (das. 1887). Vgl. Naville, »M., sa vie et ses pensées« (3. Aufl., Par. 1874); J. Gérard, M., essai sur sa philosophie (das. 1876); C. Favre, Essai sur M. (Leipz. 1890); Kühtmann, M. de B. Ein Beitrag zur Geschichte der Metaphysik und der Psychologie des Willens (Brem. 1901); Lang, M. de B. und die neuere Philosophie. Ein Beitrag zur Geschichte des Kausalproblems (Köln 1901); Couailhac, Maine de Biran (Par. 1905).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.