- Art [1]
Art (lat. species) heißt in der Logik ein Begriff, sofern er einem höhern Begriff untergeordnet ist, der dann sein Gattungsbegriff (genus) heißt. So sind Tugend, Farbe, Tier Gattungsbegriffe für die Arten Tapferkeit, Rot, Vogel. Ein Artbegriff kann natürlich im Verhältnis zu einem noch niederern selbst wieder Gattungsbegriff sein: so ist dem Begriff Vogel der des Raubvogels als Artbegriff untergeordnet.
Im naturgeschichtlichen Sinne hat der Begriff der A. wesentliche Umwandlung im Laufe der Zeiten erfahren. Im allgemeinen betrachtete man ursprünglich die durch Ähnlichkeit ihrer äußern Erscheinung und Übereinstimmung in allen Hauptkennzeichen ausgezeichneten Individuen als zu derselben A. (species) gehörig und vereinigte dann die einzelnen Arten, z. B. der Veilchen ôder der pferdeartigen Tiere zu einer Gattung (genus). Der Begriff wurde erst durch die schon früher angewendeten, aber von Linné durchgeführten Doppelnamen (binäre Nomenklatur) einigermaßen festgelegt, sofern man nun mit einem unsern Taufnamen entsprechenden Beinamen die A., mit dem unsern Eigennamen entsprechenden und voranzustellenden Hauptnamen aber die Gattung bezeichnete (Viola odorata, das wohlriechende Veilchen, Viola tricolor, das dreifarbige Veilchen oder Stiefmütterchen). Im übrigen blieb der Begriff der A. sowohl wie der Gattung ein konventioneller, da der eine Forscher denselben Formenkreis vielleicht in fünf und der andre in zehn Arten teilte, obwohl sich öfter eine gewisse gesunde Reaktion gegen zu weit getriebene Artzersplitterung geltend machte. Die Begrenzung des Artbegriffs ist in manchen Fällen sehr schwierig, und feste Regeln dafür sind kaum aufzustellen. Linné sagte, daß es so viele Arten gebe, als ursprünglich erschaffen worden seien. Cuvier definierte die A. als »die Vereinigung derjenigen organisierten Körper, die voneinander oder von gleichen Eltern abstammen, sowie derjenigen, die diesen ebenso wie einander ähnlich sind«. Es wurde also als Merkmal die Blutsverwandtschaft oder gleichartige Abstammung herbeigezogen, und man behauptete, nur männliche und weibliche Individuen einer und derselben A. könnten miteinander fruchtbare Nachkommen erzeugen. Selbstverständlich schließt diese Auffassung jede weitergehende Veränderung oder Umwandlung der Arten aus und fordert die Annahme des Lehrbegriffs der Beständigkeit oder Konstanz der Arten. Allein man hat nicht nur aus der Vereinigung für durchaus verschieden angesehener Arten fruchtbare Bastarde hervorgehen sehen, die neue Arten darstellten, sondern es treten auch ab und zu an den Nachkommen legitimer Verbindungen Abänderungen auf, die teils als aus innern Ursachen entstanden, teils als Folge äußerer Einflüsse, wie Klima, Licht, Nahrung etc., erscheinen. Treten solche an Merkmalen auf, die man aus Erfahrung für schwankend und variabel erkannt hat, wie Farbe und Größe, und erreichen sie keinen solchen Grad, daß sie die charakteristischen Merkmale der A. in Frage stellen, so faßt man die dieselben darbietenden Individuen unter dem Namen einer Varietät, Abart, Unterart oder Spielart zusammen, von welchen Ausdrücken man den letzten meist auf die Abänderungen bezieht, die plötzlich und scheinbar launenhaft an unwesentlichen Merkmalen erscheinen. Diesen Varietäten gegenüber, denen oft ein dritter lateinischer Beiname beigelegt wird, ist der Willkür des Systematikers ein weiter Spielraum geschaffen, und man hilft sich wohl damit, daß man sogen. gute und schlechte Arten, d.h. wohlumgrenzte und schwankende, zu Abänderungen (Abarten-Bildung und Ausartungen) geneigte Arten unterscheidet. Von den eigentlichen Abarten sind aber die Nebenformen zu trennen, die immer in derselben Weise durch bestimmte äußere Verhältnisse, wie ungewöhnliche Hitze, Kälte, Feuchtigkeit, klimatische Einwirkungen, Jahreszeitenwechsel etc. hervorgerufen werden und im Artbegriff aufzunehmen sind, wie z. B. die klimatischen Abweichungen und die Formen des Saisondimorphismus (s. d.), die den Alpenpflanzen ähnlichen Bergformen der Niederungspflanzen etc. Da mit dem Dogma von der Unveränderlichkeit der Arten jede Untersuchung über das Zustandekommen des pflanzlichen und tierischen Formenreichtums ausgeschlossen wurde, so begann die durch bestimmte Beobachtungstatsachen stutzig gemachte Forschung einerseits die Gültigkeit desselben zu bezweifeln und anderseits Belege für die Veränderlichkeit der A. zu sammeln, wobei sich die Wahrscheinlichkeit herausstellte, daß die Varietäten oft als beginnende neue Arten anzusehen sind, deren Trennung von der Mutterform durch Isolierung begünstigt wird, aber auch ohne dieselbe eintritt, wenn durch weitergehende Divergenz der Charaktere das Keimplasma sich so verändert, daß eine fruchtbare Kreuzung mit der Mutterform sehr erschwert wird (s. Darwinismus). Nicht selten sieht man auch plötzlich durch Heterogenesis oder Mutation ganz neue Arten auftreten, die sich erhalten und zur Vermehrung des Formenkreises beitragen (vgl. Mutationstheorie), ein Vorgang, der sich erklären würde, wenn man die A. mit de Vries als Mischung bestimmter Gestaltungseinheiten (Pangene) betrachten dürfte, von denen einige plötzlich ausscheiden können. Falsch ist übrigens die Ansicht, als ob nach den neuen Anschauungen von Arten im naturhistorischen Sinne, d.h. von einer wohl trennbaren Gruppe in bestimmten wesentlichen Charakteren übereinstimmender Individuen, nicht mehr die Rede sein könne; die Systematik kann ohne eine solche Klassifikationsstufe gar nicht auskommen. Nur der Begriff der naturwissenschaftlichen A. hat gewechselt. Vgl. Nägeli, Entstehung und Begriff der naturhistorischen A. (2. Aufl., Münch. 1865); H. de Vries, Die Mutationstheorie (Leipz. 1901).
In der Mineralogie rechnet man alle diejenigen festen und tropfbar flüssigen anorganischen Naturkörper zu einer A., die in den wesentlichsten Eigenschaften, wie Kristallform mit der zugehörigen Molekularstruktur, Dichte, Härte etc. und chemischer Zusammensetzung, miteinander übereinstimmen; weil aber Kristallform und chemische Zusammensetzung nicht unlösbar miteinander verbunden erscheinen, wird jeder dieser Eigenschaften eine zur Abgrenzung der A. genügende Selbständigkeit zuerkannt. Als übereinstimmend in der Kristallform werden alle diejenigen Mineralien angesehen, die in ihren Kristallen die gleiche geometrische und physikalische Symmetrie besitzen und eine Kristallreihe bilden, d.h. auf die gleiche Grundform zurückgeführt werden können. Polymorphe Körper (s. Polymorphismus), wie Kalkspat und Aragonit, Rutil, Anatas und Brookit, sind also ebenso viele selbständige Arten. Auch sind die amorphen Verbindungen von den kristallisierten als besondere Arten abzuscheiden.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.