Kakteen

Kakteen

Kakteen (Kaktazeen, hierzu Tafel »Kakteen«), dikotyle, ca. 900 Arten umfassende Pflanzenfamilie aus der Ordnung der Opuntinen, ausdauernde Gewächse mit anscheinend blattlosen, dicken, fleischigsaftigen Stämmen von bald kugelförmig zusammengezogener, bald verlängerter und zwar platter oder säulenförmig runder oder eckiger, auch flügelkantiger Gestalt und mit Astbildung, hauptsächlich aus weichem Zellgewebe gebildet, mit meist geringer Holzentwickelung. Die schüppchenförmigen Blätter fallen frühzeitig ab und sind als warzenförmige, oft mit Stacheln besetzte, filzige Höcker (Blattpolster) angedeutet. Die großen Blüten erscheinen einzeln in den Achseln der Blatthöcker. Einige, wie Peireskia (Tafel, Fig. 4), haben auch bleibende, flache Blätter. Kelch und Krone gehen ineinander über, indem ihre Blätter eine fortlaufende Spirale bilden. Die zahlreichen, blumenblattartigen Kelchblätter sind zu einer mit dem Fruchtknoten zusammenhängenden Röhre verwachsen, die bisweilen über den letztern hinausgeht. Die etwas zartern Blumenblätter stehen ebenfalls in mehreren Reihen, werden nach innen allmählich größer und entspringen entweder vom Rande der Kelchröhre, oder sind selbst mit ihren untern Teilen in eine lange Röhre vereinigt. Die ebenfalls spiralständigen, zahlreichen Staubgefäße stehen auf der Basis oder der Röhre der Blumenblätter und werden nach innen kleiner. Der unterständige, aus vier bis vielen Karpellen gebildete Fruchtknoten ist einfächerig mit zahlreichen anatropen Samenknospen an wandständigen Placenten und einem langen, einfachen Griffel mit Narben von linealischer oder spiraliger oder büschelförmiger Gestalt. Die Frucht ist eine einfächerige, vielsamige Beere. Die zahlreichen Arten werden vom Volksmund mit dem gemeinsamen Namen Caetus bezeichnet, die Botanik unterscheidet drei Unterfamilien: I. Cereoideae, mit äußerst reduzierten Blättern, die nur als Schuppen, an der entwickelten Pflanze oft überhaupt nicht mehr erkennbar sind; Widerhakenstacheln fehlen. Hierher gehören drei Tribus: 1) Echinocacteae, mit Blüten, die nahe dem obern Teil der Areole (d. h. in den Achseln der Schuppenblätter) entspringen, trichter- oder tellerförmiger Blütenhülle und deutlicher Röhre (Gattungen: Cereus, Pilocereus, Cephalocereus, Phyllocactus, Epiphyllum, Echinopsis, Echinocereus, Echinocactus, Melocactus, Leuchtenbergia); 2) Mamillaricae, mit Blüten, die aus den Axillen hervortreten (d. h. dort, wo die Warzen den Körper berühren) und mit derselben Gestaltung der Blüte wie die vorige Tribus (Gattungen: Mamillaria, Pelecyphora und Ariocarpus); 3) Rhipsalideae, mit kleiner, meist völlig radförmiger Blütenhülle (Gattungen: Pfeiffera, Hariota, Rhipsalis). II. Opuntioideae, mit gegliederten Achsen, deren Glieder blattartig, zylindrisch oder ellipsoidisch sind; Blätter in der Jugend stets entwickelt und deutlich sichtbar, meist zylindrisch, später leicht abfallend; Widerhakenstacheln sind vorhanden; Tribus Opuntieae mit den Gattungen Opuntia, Nopalea und Pterocactus. III. Peireskioideae, von der Tracht echter Dikotyledonen mit flachen Blättern und runden Zweigen, nicht gegliedert; Blüten in deutlich gestielten Rispen; Widerhakenstacheln fehlen; Tribus Peireskieae mit der Gattung Peireskia.

Die K. sind eine durchaus amerikanische Pflanzenfamilie, denn jene wenigen Formen, die man aus der Alten Welt kennt, lassen sich in ihrem Ursprung ohne Zwang auf Amerika zurückführen. Die äußersten Grenzen der Verbreitung liegen bei 53° nördl. Br. in Kanada und südlich vom 50.° südl. Br. in Patagonien, und zwar erreichen Opuntia missouriensis im N. und 0. patagonica im S. diese Grenze. Die Hauptmasse der Familie findet sich in Mexiko. Besonders reich ist dieses Zentrum an Arten der Gattungen Mamillaria und Echinocactus, z. B. die vielfach kultivierte M. rhodantha mit prächtig roten Blüten (Tafel, Fig. 7) und E. longihamatus (Fig. 9), eine Art, die bis Texas und Arizona verbreitet und an den langen, stark gekrümmten Stacheln kenntlich ist; auch Echinocereus procumbens (Fig. 22), mit niederliegenden Zweigen, stammt aus Mexiko. Sehr charakteristische Formen bilden die riesenhaften, unverzweigten säulenförmigen oder auch armleuchterartig verzweigten Cereus-Arten, so C. gemmatus (Fig. 11) und C. pecten aboriginum (Fig. 23), der Cardon oder Hecho der Mexikaner, C. giganteus (Fig. 12). Eine andre Formenreihe der Cereus-Arten wird repräsentiert durch den von Bäumen und Felsen herabhängenden C. flagelliformis mit schlaffen, meterlangen Zweigen (Fig. 1). Den säulenförmigen Cereus-Arten schließt sich die Gattung Cephalocereus an. von der eine Art, C. senilis (Greisenhaupt, Fig. 17), einen langen, weißgrauen Haarbüschel an der Spitze trägt. Eine der bei uns am häufigsten kultivierten Arten ist Phyllocactus Ackermannii (Fig. 19) mit strauchartigem Wuchs und karmin- oder scharlachroten Blüten. Sehr eigentümlich ist die gelbblühende Leuchtenbergia principis (Fig. 8) durch die langen Warzen, die an ihrer Spitze mit zahlreichen trockenhäutigen Papierstacheln bekleidet sind, ferner Pelecyphora aselliformis (Fig. 13) mit sonderbaren, kammförmig zusammengestellten Stacheln, und Ariocarpus retusus (früher Anhalonium genannt, Fig. 20). Im Vergleich zu Mexiko ist Zentralamerika von Guatemala bis Costarica ärmer an K., da dort weit ausgedehnte trockne Steppengebiete fehlen; in den Wäldern kommen vorwiegend die baumbewohnenden Phyllocactus- und Rhipsalis-Arten vor. Auch auf den westindischen Inseln sind die K. bei weitem nicht so verbreitet wie in Mexiko; hier tritt die Gattung Melocactus als tonangebend auf (M. communis, Fig. 16, der Türkenkopf, wird bei uns häufig kultiviert), und auch die so oft wegen ihrer prächtigen Blüten gerühmte Königin der Nacht (Cereus grandiflorus; Fig. 15) hat hier ihre Heimat. Südamerika weist mehrere Gebiete auf, in denen die K. in großer Zahl auftreten. In den Llanos von Venezuela bilden große baumartige Cereus-Arten waldartige Dickichte, die gefürchteten Tunales, in die ein Eindringen ohne gefährliche Verwundungen kaum möglich ist, und an der ganzen Nordküste von Südamerika machen die baumförmigen K. auch in zerstreuten Gruppen einen wichtigen Charakterzug der Landschaft aus. Ebenso sind Vertreter der Gattungen Cereus und Pilocereus über das ganze Andengebiet von Ecuador, Peru und Bolivia zerstreut; in letzterm Land erreichen die K. sogar die größten Dimensionen, wie sie selbst in Mexiko und Arizona nicht gefunden werden; die Säulen besitzen dort zuweilen einen Durchmesser von über 0,75 m. Auch Chile und der Ostabhang der Anden in Argentinien sind noch sehr reich an K. Aus den genannten Gebieten sind auf der Tafel Echinopsis cinnabarina (Fig. 10) und Echinocactus microspermus (Fig. 18) dargestellt. Brasilien und Uruguay besitzen einen außerordentlichen Formenreichtum an Rhipsalideen, z. B. Rhipsalis sarmentacea (Fig. 5) und Hariota salicornioides (Fig. 2). Auch ist die Gattung Epiphyllum bisher ausschließlich in der Umgebung von Rio de Janeiro nachgewiesen worden (das bei uns viel kultivierte E. truncatum: Fig. 3). Gegenwärtig sind die Opuntien in allen wärmern Gegenden von Südeuropa, Asien, Afrika und Australien weitverbreitet und z. T. geradezu Charakterpflanzen geworden, die der Flora ein eigentümliches Gepräge verleihen, so Opuntia vulgaris in Europa beispielsweise in der Südschweiz, Südtirol, Dalmatien und auf Korsika; es ist aber sicher, daß diese Gewächse von Amerika eingeführt worden sind, wenn auch schon in weit zurückliegender Zeit. Schwieriger ist eine Erklärung zu geben für das Vorkommen der Gattung Rhipsalis. R. Cassytha (Fig. 6) ist nicht nur im tropischen Amerika, sondern auch in Zentralafrika, auf Mauritius und auf Ceylon verbreitet, und außerdem kommen noch einige andre Arten der Gattung in Zentralafrika vor. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist hier eine Übertragung der Samen durch Vögel anzunehmen.

Die weichen, saftigen und sehr zuckerreichen Früchte vieler Arten von Cereus, Echinocereus und Opuntia werden gegessen; besonders kultiviert man in verschiedenen Formen die Opuntia ficus indica, die in vielen Gegenden ein wichtiges Volksnahrungsmittel geworden ist; dasselbe gilt von O. Tuna (Fig. 14); auch von Peireskia aculeata (Fig. 4) werden die Beeren und Blätter gegessen. Manche K. zeigen giftige Eigenschaften, z. B. Echinocactus Williamsii (Anhalonium Williamsii). Als Futterpflanze für die Cochenilleschildlaus hat Nopalea coccinellifera (Fig. 21) in Mexiko und auch in andern Tropenländern früher eine größere Bedeutung gehabt als jetzt, wo die Benutzung des Cochenillefarbstoffs mehr und mehr abnimmt.

Die K. werden wegen ihrer interessanten Formen, der prächtigen Blüten und der Leichtigkeit ihrer Kultur als Zimmerpflanzen kultiviert. Man zieht sie aus Samen an, auch ist die Vermehrung durch Stecklinge mühelos, da jedes Zweigstück, ein abgeschnittener Stammscheitel, Wurzelschößling oder Seitensproß dazu Verwendung finden kann; bei langwarzigen Mammillarien werden auch einzelne Warzen wie Stecklinge behandelt. Pfropfung und Veredelung nimmt man vor, um langsam wachsende Pflanzen zu kräftigerer Entwickelung zu bringen oder selten blühende Spezies zur Entfaltung ihrer Blumen zu veranlassen. Da die K. vor allen Dingen Licht, Luft und Sonne verlangen, so müssen sie im Sommer ins Freie gebracht werden. Um keimfähige Samen zu erhalten, muß die Befruchtung durch künstliche Übertragung des Blütenstaubes auf die Narben vollzogen werden. Unter den Krankheiten der K. ist die Kaktussäule am verderblichsten; als Schutzmittel dagegen muß man für reichliche Zuführung von Luft und Licht und für angemessene Bewässerung sorgen. Zu den tierischen Feinden gehört die rote Spinne, Schmierlaus und verschiedene Schild-, Wurzel- und Blattläuse. Vgl. Pfeiffer, Enumeratio diagnostica Cactearum (Berl. 1837); Lemaire, Iconographie descriptive des Cactées (Par. 1841); Salm-Reifferscheid- Dyck, Über die Familie der K. (Berl. 1840); Otto und Pfeiffer, Abbildung blühender K. (Kassel 1838–47); Engelmann, The Cacteae of the United States (Cambridge 1856) und Cacteae of the Mexican Boundary Survey (das. 1858); Förster, Handbuch der Kakteenkunde (2. Aufl., Leipz. 1885); Schiller, Grundzüge der Kakteenkunde (Bresl. 1886); Daul, Illustriertes Handbuch der Kakteenkunde (Stuttg. 1890); Haage, Kakteenkultur (Bresl. 1892); Rümpler, Die Sukkulenten (Berl. 1892); Schumann, Gesamtbeschreibung der K. (2. Aufl., Neudamm 1903) und Blühende K. Iconographia Cactacearum (das. 1900–04, 4 Bde.); »Monatsschrift für Kakteenkunde« (das., seit 1891).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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