- Hering [1]
Hering (Clupea Cuv.), Gattung der Edelfische aus der Familie der Heringe (Clupeidae), Fische mit stark zusammengedrücktem Leib, Kielschuppen am Bauch, großen, dünnen, leicht abfallenden Schuppen, nacktem Kopf, etwas vorspringendem Unterkiefer, weiter, bis zur Kehle reichender Kiemenspalte, hinfälliger Bezahnung, den Bauchflossen gegenüberstehender kurzer Rückenflosse, etwa ebenso langer Afterflosse und gabeliger Schwanzflosse. Der gemeine H. (C. harengus L., s. Abbild. u. Tafel »Fische II«, Fig. 1), 18–36 cm lang, mit kleinen, schmalen Brust- und Bauchflossen, mittelständiger Rückenflosse, weit nach hinten gerückter schmaler Afterflosse und tief gegabelter Schwanzflosse, auf der Oberseite meergrün oder grünblau, an den Seiten lebhaft bläulich schillernd, am Bauch silberfarben, mit dunkler Rücken- und Schwanzflosse und hellfarbigen Brust-, Bauch- und Afterflossen.
Er findet sich im nördlichen Atlantischen Ozean, im Nördlichen Eismeer und an der Nordküste von Asien, in der Nord- und Ostsee, ist bei Island, Finnmarken, Grönland selten und geht südlich über die französische Nordküste nicht hinaus. In den andern europäischen Meeren wird er durch andre Arten ersetzt, und auch der an der nordamerikanischen Ostküste südlich bis Carolina in ungeheuern Scharen (besonders in der Chesapeakebai) auftretende H. ist artlich verschieden von unserm H. Von letzterm unterscheidet man drei durch Flossenstellung und die Verhältnisse verschiedener Dimensionen sicher auseinander zu haltende Gruppen, die auch in den Lebensgewohnheiten voneinander abweichen, und von denen jede einen verhältnismäßig eng begrenzten Bezirk verläßt. Hochsee-o der pelagische Stämme, die auf hoher See 200–400 km von der Küste entfernt leben, und zu denen die größten (bis 36 cm Länge) und für den Fischfang wichtigsten Heringsscharen an den norwegischen und britischen Küsten gehören (der schottische Hochseehering und der Vaarsild oder Frühjahrshering an der Südwestküste Norwegens). Die Küsten-o der litoralen Stämme sind kleiner, in der Nordsee weit weniger zahlreich als die Hochseestämme, in der Ostsee aber bei weitem vorherrschend. In der östlichen Ostsee kommen außerdem noch der Strömling vor, dem die Heringe des Eismeers und des Weißen Meeres nahestehen und der nur 18–25 cm lang wird. Der größte und fetteste ist der H. der Shetlandinseln und der norwegischen Küste, etwas kleiner ist der der holländischen und englischen Küste, am kleinsten der Ostseehering. Der H. lebt nahe der Oberfläche des Meeres, selten tiefer als 20 m, und nährt sich als Raubfisch von Würmern und Krustentieren, gelegentlich auch von Fischeiern und jungen Fischen, hauptsächlich aber von sehr kleinen Kopepoden. Zur Laichzeit kommen alle Heringe, bestimmten Straßen folgend, an die Küsten, wo die Küstenstämme auch außerhalb der Laichzeit verweilen. Letztere suchen zur Laichzeit stille, flache Buchten, namentlich solche mit brackigem Wasser auf, und zwar konnte nachgewiesen werden, daß alle Heringe zum Laichen an ihren Geburtsort zurückkehren. Die Laichzeit ist bei den einzelnen Rassen verschieden. Die Hauptlaichzeit währt beim schottischen Hochseehering vom August bis Oktober, beim norwegischen Vaarsild vom Februar bis April, bei den meisten Küstenstämmen vom April bis Mai. Der Strömling der Ostsee laicht in den Sommermonaten, einzelne Schwärme im September und Oktober. Es erscheinen dann zahllose Scharen in Zügen von meilenweiter Länge und Breite (Bänke), in denen die Fische so gedrängt schwimmen, daß Boote, die dazwischen kommen, in Gefahr geraten. Unter diesen Umständen wird leicht der größte Teil der frei ins Meer austretenden, 1 mm großen, wasserhellen Eier (ein Weibchen liefert deren 40–100,000 Stück), die vermittelst eines sie überziehenden Klebestoffes an Pflanzen, Steinen etc. festhaften, durch den sich gleichförmig im Wasser verteilenden Samen befruchtet. Der Same trübt meilenweit das Wasser und verbreitet weithin einen widrigsüßen Geruch. Die Fischchen schlüpfen bei 3–5° in 40 Tagen, bei 10° in 11 und bei höherer Temperatur in 6–8 Tagen aus; sie sind 5–8 mm lang, verwandeln sich bei 2,5–2,8 cm Länge aus der durchsichtigen, länger gestreckten Larvenform in die definitive Form und sind nach dieser Umwandlung Ende Juli 4,5–5,5 cm lang. Der einjährige Fisch ist an der Ostküste Schleswigs 13–14, der kleinste laichreife 16–17,5 cm lang und dann wohl 2 Jahre alt. Der sich etwas anders entwickelnden Herbstgeneration ist es zuzuschreiben, daß zu jeder Jahreszeit Fische verschiedener Größe und Ausbildung gefangen werden. Die jungen Fische steigen etwa im Laufe des ersten Jahres in die tiefern Wasserschichten hinab. Mit den Heringszügen erscheinen auch Wale und zahlreiche Raubfische, die sich in dieser Zeit ebenso wie die Meervögel fast ausschließlich von Heringen ernähren. An manchen Orten der norwegischen Küste, wo seit langer Zeit regelmäßig Heringszüge erschienen, haben sich dieselben plötzlich vermindert oder sind ganz ausgeblieben, um erst nach vielen Jahren (meist etwa 50–60) wieder zu erscheinen (Fischperioden, deren Übereinstimmung mit den Sonnenfleckenperioden auffällt). Man fängt die Heringe teils in kleinen, offenen Booten in der Nähe der Küsten, teils in größern, seetüchtigen Fahrzeugen, die auf offener See eine geschätztere Ware erzielen. Zum Fang benutzt man große Treib-, Sperr- und Zugnetze. Künstliche Befruchtung der Heringseier ist mehrfach gelungen, doch scheitert die Zucht an der Schwierigkeit, die jungen Fische auszuziehen. Dagegen läßt sich der Verarmung mancher Heringsreviere durch Schonung der Laichplätze entgegentreten.
Man unterscheidet Matjes »(Jungfern-) Heringe, die noch nicht geschlechtsreif sind, geschlechtsreife Vollheringe kurz vor dem Laichen und die geringwertigen Hohlheringe (Ihlen, Schotten), die gelaicht haben. Der frische (grüne) H. ist sehr schmackhaft und wird an den Küsten in großer Menge verzehrt. London verbraucht davon jährlich 900,000 Fässer zu je 700 Stück, und auch bei uns werden größere Mengen ins Binnenland gebracht. Der bei weitem größte Teil der Heringe wird aber eingesalzen und bildet dann einen der wichtigsten Handelsartikel. Der gefangene H. wird sogleich (in England und Schottland am Land) ausgenommen (gekaakt), in Salz eingelegt, mit Lake übergossen und nach einigen Tagen umgepackt. Bei warmer Witterung ist der Reifeprozeß in 8–14 Tagen vollendet, in der kühlern Jahreszeit erst nach mehreren Monaten. Der gesalzene H. hält sich mehrere Jahre, doch wird die Ware meist innerhalb eines Jahres verbraucht (chemische Zusammensetzung des frischen und gesalzenen Herings s. Fischkonserven). Als Handelsartikel trat der Salzhering schon im 13. Jahrh. auf und bildete eine Hauptware des Hansebundes. Am eifrigsten betrieben aber die Holländer den Heringsfang, der sich besonders seit dem Anfang des 15. Jahrh. hob, nachdem Wilhelm Bökel (Beukelsz) eine neue Art des Einsalzens erfunden hatte. Zu Anfang des 17. Jahrh. setzten die Holländer für 90 Mill. Mk. Ware ab; alljährlich 24. Juni lief die Heringsflotte, 12,000 besegelte Schiffe stark, vom Texel aus nach Norden, um an den englischen und schottischen Küsten, den Shetlandinseln etc. zu fischen. Seitdem auch in England u. Schottland der Eifer für den Heringsfang erwacht ist, hat die holländische Heringsfischerei sehr an Bedeutung verloren, aber holländische Heringe sind immer noch wegen guter Zubereitung besonders beliebt, und man pflegt wohl alle ausgesuchte, gute und fette Ware als holländische zu bezeichnen. Die Holländer fahren in großen, seetüchtigen Büsen (Buisen) noch immer in der alten Richtung, salzen und verpacken die gefangenen und ausgeweideten Fische sofort und übergeben sie den schnell segelnden Transportschiffen (Heringsjägern), die sie alsbald auf die Märkte bringen. Dies geschieht besonders mit den Matjesheringen, von denen die ersten und feinsten sehr teuer bezahlt werden. Der bedeutendste Heringsfang findet gegenwärtig an der Ostküste Englands und Schottlands vom Juni bis Oktober mit Treibnetzen statt. Hauptplätze sind Great Yarmouth, Wick, Peterhead und Fraserburg. In Norwegen ist die Küste zwischen Bergen und Stavanger besonders ertragreich; man fischt von Ende Januar bis April den Vaarsild, bedeutender aber ist der Fang des Sommer- oder Fettherings im Sommer und Herbst. In den Provinzen Norrland und Südsinnmarken wird vom November bis Januar der Groß- oder Nordhering (Norsild) gefangen. In Deutschland betreiben Gesellschaften von Emden, Geestemünde, Elsfleth, Vegesack und Glückstadt aus die Hochseefischerei auf Heringe. Sie senden etwa 140 zweimastige Segellogger mit je 15 Mann Besatzung die Sommer- und Herbstmonate hindurch auf den Fang aus. Außerdem sind 9 Heringsdampfer vorhanden, deren jeder mit 144 Netzen von je ca. 30 m Länge und 16 m Tiefe fischt. Die Netze sind einwändig, die Fische stecken den Kopf in die Maschen und bleiben mit den Kiemendeckeln darin hängen. In der Ostsee haben Eckernförde und Hela den bedeutendsten Fang. Die Tonne Heringe faßt 400–1200 Stück; man unterscheidet Seepack, unsortierte Ware in erster Verpackung, und Brandhering, an den Handelsplätzen sortierte, umgepackte Ware in amtlich gestempelten Fässern. Als Bückling (s. d.) kommt der H. leicht gesalzen und geräuchert in den Handel. Außerdem werden Bratheringe, marinierte Heringe und Heringe in Gelée in den Handel gebracht. Junge Heringe bilden mariniert die deutschen und russischen Sardinen. Der junge H. spielt auch als Whitebait eine große Rolle in England. Man hat ihn für eine eigne Art gehalten und Rogenia alba Val. genannt; er wird an einigen Stellen der englischen Küste, besonders in der Themsemündung, gefangen und ist am meisten geschätzt, wenn er 4–10 cm lang ist. Die englischen Minister gehen jährlich vor der Vertagung des Parlaments nach Greenwich, um dort ein Whitebait-dinner zu geben, und auch manche Londoner Körperschaften befolgen diese Sitte. Die Gesamtzahl der jährlich gefangenen Heringe kann man auf 10,000 Mill. schätzen. Deutschland führt jährlich 1 Mill. Ton. gesalzene Heringe im Wert von 30 Mill. Mk. ein, außerdem sehr große Mengen frischer Heringe auf Eis oder leicht mit Salz bestreut, die zu Konserven oder Bücklingen verarbeitet werden. Vgl. Mitchell, The herring, its natural history and national importance (Lond. 1864); Heincke: Die Varietäten des Herings (Berl. 1878–1881), Die nutzbaren Tiere der nordischen Meere und die Bedingungen ihrer Existenz (Stuttg. 1882) u. Naturgeschichte des Herings (»Abhandlungen des Deutschen Seefischereivereins«, Bd. 2, Berl. 1898, 2 Tle.); Ljungman, Die Heringsfischerei (Stettin 1880).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.