Heimat

Heimat

Heimat ist Bezeichnung für den Geburtsort, auch für den Ort, wo jemand sein Heim, d. h. seine Wohnung, hat. In der Rechtssprache versteht man unter H. (Heimatsrecht) die Ortsangehörigkeit oder Gemeindeangehörigkeit einer Person, die nicht ohne weiteres mit dem Gemeindebürgerrecht zusammenfällt, indem das Heimatsrecht an und für sich nur ein Einwohner- (Einsassen-, Gemeindegenossen-) Recht ist. Auch die Staatsangehörigkeit (s. d.) wird Heimatsrecht genannt. Neuerdings wird der Ausdruck H. wohl auch als gleichbedeutend mit Unterstützungswohnsitz (s. d.) gebraucht, obgleich dies zwei ganz verschiedene Begriffe sind.

Der Begriff der H. entwickelte sich seit dem 16. Jahrh. im Sinne der armenrechtlichen Zugehörigkeit zur Gemeinde, während er sich im 19. Jahrh. zur Gemeindeangehörigkeit erweiterte. Der Mangel einer einheitlichen Gesetzgebung ist namentlich auf diesem Gebiet schroff zutage getreten. Die Heimatgesetzgebung der deutschen Klein- und Mittelstaaten blieb noch in diesem Jahrhundert trotz größerer Verkehrsfreiheit eine engherzige. Das Heimatsrecht wurde regelmäßig durch Geburt, Aufnahme, Verheiratung und Anstellung in einem öffentlichen Amt erworben. Der Verlust trat nur infolge des Erwerbs einer andern Staatsangehörigkeit oder eines andern Heimatsrechts ein. Der bloße Wegzug aus einer Gemeinde in die andre hatte den Verlust des Heimatsrechts nicht zur Folge, vielmehr mußte die Heimatgemeinde den verarmten Heimatsberechtigten nötigenfalls wieder an- und aufnehmen. Die Befugnis zur Verehelichung war von dem Besitz des Heimatsrechts und von der Zustimmung der Heimatbehörde abhängig. Das Recht, Grundbesitz zu erwerben und ein bürgerliches Gewerbe zu treiben, war durch das Heimatsrecht bedingt. Die Gewinnung des Gemeindebürgerrechts war den Heimatberechtigten vielfach gegen ein geringeres Bürgergeld gestattet. Personen, die in einer Gemeinde nicht heimatberechtigt waren, hatten auf den Aufenthalt in der Gemeinde kein Recht. Schon die bloße Befürchtung künftiger Verarmung berechtigte zu ihrer Ausweisung. Dagegen hat das preußische Recht den Begriff des Heimatsrechts nicht weiter entwickelt. Jedem Preußen ward das Recht gewährleistet, an dem Ort sich aufzuhalten, wo er eine eigne Wohnung oder ein Unterkommen zu finden imstande war. Wer nach erlangter Großjährigkeit drei Jahre lang an einem Ort seinen Aufenthalt gehabt hatte, mußte im Falle der Verarmung dort unterstützt werden. Dabei war seit dem Anfang des 19. Jahrh. die volle Verehelichungsfreiheit in Preußen eingeführt.

Durch die Gründung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches erfuhr das Heimats- und Niederlassungsrecht in Deutschland eine wesentliche Umgestaltung und eine nahezu einheitliche Regelung durch die Ausdehnung des preußischen Systems auf das Bundesgebiet. Artikel 3 der deutschen Reichsverfassung vom 16. April 1871 bestimmt nämlich nach dem Vorgang der norddeutschen Bundesverfassung, daß für ganz Deutschland ein gemeinsames Indigenat bestehe mit der Wirkung, daß der Angehörige eines jeden Bundesstaates in jedem andern Bundesstaat als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb. zu öffentlichen Ämtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und zum Genuß aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln sei. Diese Bestimmung wurde noch zur Zeit des Norddeutschen Bundes durch eine Reihe von Gesetzen, die nunmehr Reichsgesetze sind, näher ausgeführt; so das Recht der Freizügigkeit (s. d.) durch Gesetz vom 1. Nov. 1867; die Verehelichungsfreiheit durch das Gesetz vom 4. Mai 1868 über die polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung, das in Bayern wegen seines Sonderrechts, in Elsaß-Lothringen, weil dort überflüssig, nicht eingeführt wurde; die Gewerbefreiheit durch die Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 (s. Gewerbegesetzgebung, S. 787 f.) und der gemeinsame Rechtsschutz durch das Gesetz vom 21. Juni 1869, betreffend die Gewährung von Rechtshilfe, während ein Gesetz vom 13. Mai 1870 die Doppelbesteuerung (s. d.) der Bundesangehörigen in verschiedenen Bundesstaaten beseitigte. Hierzu kam das Gesetz vom 1. Juni 1870, das die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit für das ganze Bundesgebiet in einheitlicher Weise regelte.

Endlich gehört hierher das (auf Bayern und Elsaß-Lothringen nicht ausgedehnte) Gesetz vom 6. Juni 1870 über den Unterstützungswohnsitz (s. d.) nebst Novelle vom 12. März 1894. Auch die Reichsgewerbeordnung hat auf diesem Gebiet namentlich insofern eingewirkt, als sie die Befugnis zum Gewerbebetrieb von der Gemeindeangehörigkeit und von dem Gemeindebürgerrecht loslöste. Infolge dieser reichsrechtlichen Neugestaltung der Heimat- und Niederlassungsverhältnisse hat das Heimatsrecht seinen wesentlichen Inhalt verloren. Übrigens fehlt es nicht an Anhängern des alten Heimatsystems, das auch in Österreich (Gesetz vom 3. Dez. 1863) maßgebend ist. Namentlich in Süddeutschland sind solche Stimmen laut geworden, und in zahlreichen Petitionen an die gesetzgebenden Körperschaften des Reiches hat man dem Wunsch nach der Rückkehr zu dem alten Heimatsrecht Ausdruck gegeben. Dieses Heimatsrecht gilt noch jetzt in Bayern, auf das kraft Sonderrecht die Gesetzgebungszuständigkeit des Reiches in bezug auf Heimat- und Niederlassungsverhältnisse sich nicht erstreckt. Demgemäß gelten die Reichsgesetze über die Aufhebung der polizeilichen Verehelichungsbeschränkungen und über den Unterstützungswohnsitz für Bayern nicht. Das bayrische Heimatsrecht ist in dem Gesetz über H., Verehelichung und Aufenthalt vom 16. April 1868 und seinen Novellen vom 28. Febr. 1872, 21. April 1884, 17. März 1892 und 17. Juni 1896 geregelt. Für Bayern rechts des Rheins ist bestimmt, daß die Verehelichung eines dort Heimatberechtigten nur auf Grund eines Verehelichungszeugnisses erfolgen darf, das die zuständige Distriktsverwaltungsbehörde ausgestellt hat. Gegen die Ausstellung dieses Zeugnisses kann die Heimatgemeinde des Mannes aus gewissen, gesetzlich festgestellten Gründen Einspruch erheben. Das Zeugnis hat nicht die Bedeutung einer polizeilichen Erlaubniserteilung; denn es kann nur aus gesetzlichen Gründen versagt werden. Vor dem Gesetz vom 17. März 1892 war die ohne Verehelichungszeugnis geschlossene Ehe regelmäßig bürgerlich ungültig; jetzt hat der Mangel des Verehelichungszeugnisses nur die Wirkung, daß die Ehe, solange das Zeugnis nicht beigebracht ist, keinen Einfluß auf die Heimatverhältnisse der Frau und der Kinder äußert. Die Novelle vom 17. Juni 1896 dagegen sucht das Auseinanderfallen von Wohn- und Heimatgemeinde dadurch zu verhindern, daß sie der Heimatgemeinde das Recht verleiht, für Personen, die sich vier, bez. sieben Jahre lang in einer andern Gemeinde aufgehalten haben, in der Aufenthaltsgemeinde Anspruch auf Verleihung des Heimatsrechts zu erheben. Wer auf diese Weise zwangsweise sein bisheriges Heimatsrecht verlieren würde, kann hiergegen Einspruch erheben, wenn der Heimatwechsel für ihn mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre. Vgl. Eger, Das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz (4. Aufl., Bresl. 1900); Wohlers, desgl. (9. Aufl., Berl. 1901); Riedel, Kommentar zum (bayerischen) Gesetz über H., Verehelichung und Aufenthalt (7. Aufl. von Pröbst, Münch. 1898).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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