Gewissen

Gewissen

Gewissen (mittelhochd. gewizzen, »Kenntnis, Bewußtsein«, dann auch »Gewissen«), das Pflichtbewußtsein, insofern es sich neben den natürlichen Trieben und Neigungen und bisweilen sogar im Gegensatz zu ihnen als Triebfeder des Wollens geltend macht oder wenigstens nachträglich die Billigung oder Mißbilligung der bereits vollbrachten Handlungen veranlaßt. Daher heißt »nach bestem Wissen und G.« handeln soviel wie so handeln, wie es (subjektiv) als richtig und pflichtmäßig erscheint; Gewissensskrupel empfinden wir, wenn wir fürchten, durch eine beabsichtigte Tat in Widerspruch zu unserm Pflichtbewußtsein zu geraten. Gewissensbisse heißen die quälenden Empfindungen der Reue (s.d.), die mit dem Bewußtsein, nicht so gehandelt zu haben, wie wir sollten, verbunden sind, und dies Bewußtsein selbst heißt böses G. im Gegensatz zum guten oder reinen G. Je nach der Art der Pflichten, um die es sich handelt, spricht man wohl auch speziell von wissenschaftlichem, künstlerischem, religiösem G. Das G. ist somit nichts andres als das in der Seele des Einzelnen zur wirksamen Macht gewordene Sittengesetz. Wie dieses (objektiv) mit seinem »du sollst« und »du sollst nicht« als unbedingt gebietende Autorität dem Individuum entgegentritt, so erhebt sich in ihm (subjektiv) die Stimme des Gewissens antreibend und abmahnend, lobend und tadelnd. In bezug auf die Erklärung des Gewissens stehen sich in der Ethik zwei Ansichten gegenüber. Nach dem Intuitionismus (s.d.) ist das G. ein ganz eigenartiges und ursprünglich in der menschlichen Seele wurzelndes (bez. von Gott ihr eingepflanztes) Vermögen sittlicher Erkenntnis, dessen Aussprüche daher bei allen Menschen und zu allen Zeiten dieselben und untrüglich sicher sind; nach dem ethischen Empirismus dagegen ist es beim Einzelnen wie bei ganzen Völkern ein Erzeugnis der sittlichen Entwickelung. Mag man sich auf den einen oder den andern Standpunkt stellen, in jedem Fall ist das G. als ein sehr wesentliches und unentbehrliches Element des sittlichen Lebens anzuerkennen. Vgl. Kähler, Das G., ethische Untersuchungen (Halle 1878, nur Bd. 1); Rée, Die Entstehung des Gewissens (Berl. 1884); Elsenhans, Wesen und Entstehung des Gewissens (Leipz. 1894).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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  • Gewissen — Gewissen: Als Lehnübersetzung von lat. conscientia »Mitwissen; Bewusstsein; Gewissen«, das seinerseits Lehnübersetzung von griech. syneídēsis ist, erscheint im Ahd. gewiz̧z̧enī »‹inneres› Bewusstsein, ‹religiös moralische› Bewusstheit«. Das ahd …   Das Herkunftswörterbuch

  • Gewissen — Gewissen, 1) so v.w. Bewußtsein; 2) das Vermögen, die eignen Gesinnungen u. Handlungen nach dem Sittengesetz zu beurtheilen u. zu richten. Jeder Mensch hat einen Gewissenstrieb, d.i. das unwillkürliche Bestreben, seine Gesinnungen u. Handlungen… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Gewissen — Sn std. (11. Jh.), mhd. gewizzen f., ahd. giwizzanī f. Stammwort Lehnübersetzung zu l. cōnscientia f., ursprünglich ein Ausdruck der Rhetorik vor Gericht, mit dem die Auswirkungen des Schuldbewußtseins (Unruhe, Unsicherheit usw.) bezeichnet… …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • Gewissen — [Aufbauwortschatz (Rating 1500 3200)] Bsp.: • Robert hatte ein reines Gewissen …   Deutsch Wörterbuch

  • Gewissen — Gewissen, das Bewußtsein der Schuld oder Unschuld, vor oder nach einer That oder Absicht; die gewaltige Stimme des innern Menschen, die jeden Gedanken, jede Handlung richtet und ungestraft nie überhört wird; – des eignen Urtheils Richterin, und… …   Damen Conversations Lexikon

  • Gewissen — (lat. conscientia, Bewußtsein), das von Gott in jedes Menschenherz geschriebene Gesetz (Röm. 2, 12 bis 17), woraus das Innewerden des Werthes oder Unwerthes unserer Gedanken, Worte und Werke sowie des Verhältnisses der Seele zu Gott fließt. Das G …   Herders Conversations-Lexikon

  • Gewissen — 1. Ae gut Gewissen schläft ruhig ufen Kissen. (Waldeck.) – Curtze, 363, 585. 2. An Gewêten üs an Schlaghterhünj. (Nordfries.) – Firmenich, III, 6, 91. 3. Bei gutem Gewissen und trocknem Brot leidet man nicht Noth. 4. Besser in einem unverletzten… …   Deutsches Sprichwörter-Lexikon

  • Gewissen — Das Gewissen (lateinisch conscientia, wörtlich „Mit Wissen“) wird im Allgemeinen als eine besondere Instanz im menschlichen Bewusstsein angesehen, die sagt, wie man urteilen soll. Es drängt, aus ethischen bzw. moralischen und intuitiven Gründen,… …   Deutsch Wikipedia

  • Gewissen — Ge|wis|sen [gə vɪsn̩], das; s, : ethisch begründetes Bewusstsein von Gut und Böse: er hat ein sehr kritisches, kein Gewissen; mein Gewissen ist rein (ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen); ein gutes, schlechtes Gewissen haben (sich keiner …   Universal-Lexikon

  • Gewissen — Das ist eine Gewissensfrage: es ist eine Frage, die eine ehrliche Antwort verlangt, aber mehrere Möglichkeiten zuläßt, die man nur nach bestem Wissen und Gewissen beantworten kann. Unter ›Gewissen‹ versteht man allgemein den Ort in der Seele des… …   Das Wörterbuch der Idiome

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