Galle [1]

Galle [1]

Galle (Bilis, Fel) ist das Absonderungsprodukt der Leber, aus der sie teils direkt in den Zwölffingerdarm abfließt, teils in die Gallenblase (s.d.) übergeht, um von hier aus in den Darm zu gelangen. Frische G. reagiert meistens schwach alkalisch, doch soll diese Reaktion nur von dem ihr reichlich beigemengten Schleim herrühren, der von den in der Wand der größern Gallengänge und der Gallenblase gelegenen Schleimdrüsen abgesondert wird. Stetig abfließende G. ist dünnflüssig; ist ihr Abfluß gehindert, so wird sie durch Wasserresorption dickflüssiger und zugleich reicher an Schleim. Ihr spezifisches Gewicht schwankt zwischen 1,026 und 1,032. Die Farbe der G. in der Gallenblase ist gelb, grün oder braun. An der Luft färbt sich G. grün, welche Farbe der G. der Vögel und Pflanzenfresser schon während des Lebens eigentümlich ist. Die charakteristischen Bestandteile der G. sind die Gallensäuren und die Gallenfarbstoffe. Die Gallensäuren, nämlich die Glykocholsäure und die Taurocholsäure (Choleïnsäure), sind gepaarte Säuren, Verbindungen gewisser Aminosäuren mit Cholalsäure (Cholsäure); beide sind stickstoffhaltig und die Taurocholsäure außerdem reich an Schwefel. Sie sind in der G. an Natron gebunden Die Glykocholsäure kommt besonders in der G. der Pflanzenfresser vor. Die Gallensäuren sind die Ursache des bittern Geschmacks der G. Ihre Farbe verdankt die G. zwei Farbstoffen, von denen das Biliverdin durch Einwirkung des Sauerstoffes aus dem Bilirubin dargestellt werden kann. Der Gallenfarbstoff ist ein eisenfreier Abkömmling des Blutfarbstoffes. Salpetersäure verwandelt Bilirubin in Biliverdin und weiterhin in blaue, rötliche und andre Farbstoffe. Darauf beruht die Gmelinsche Gallenreaktion (s.d.), durch die z. B. bei Gelbsucht die Anwesenheit von G. im Harn nachgewiesen werden kann. Außerdem enthält G. neben Wasser (ca. 90 Proz.) Mucin, Cholesterin, Lecithin, Cholin und Salze (unter diesen phosphorsaures Eisen). Die G. wird durch die Tätigkeit der Leberzellen gebildet, und das Material, aus dem sie bereitet wird, ist das Blut, das durch die Pfortader in die Leber einströmt, also aus Magen, Darmkanal und Milz stammendes Venenblut. Die Bildung der G. geschieht stetig; doch wechselt ihre Menge je nach der Nahrungszufuhr: im Hungerzustand ist sie verringert; einige Stunden nach einer Mahlzeit ist sie am beträchtlichsten. Die Menge G., die ein erwachsener Mensch durchschnittlich in 24 Stunden absondert, dürfte etwa 500–750 g betragen.

Die Bedeutung der G. für den Verdauungsprozeß bezieht sich vorzugsweise auf die Resorption der Fette im Darm. Eine chemische Einwirkung übt die G. auf neutrale Fette nur insofern aus, als sie diese löst. Sie hat ferner die Eigenschaft, sich mit Fett sowohl als mit Wasser zu mischen. Indem nun die in den Darm ergossene G. die Schleimhaut des Darmes benetzt und die seinen Öffnungen und Poren der Darmzotten erfüllt, soll sie den im Speisebrei enthaltenen Fetten den Übergang in die Darmzotten und damit in deren Lymphgefäße möglich machen. Dies wird durch folgenden Versuch erläutert. Tränkt man von zwei Papierfiltern das eine mit Wasser, das andre mit G., so ist das erstere für Öl ganz undurchgängig, während das zweite dem Öl den Durchtritt gestattet. Die G. würde danach die Fettresorption mechanisch überhaupt erst möglich machen. Die G. verstärkt ferner die Bewegungen des Darmkanals; dadurch wirkt sie auch antiseptisch, indem der schneller fortbewegte Darminhalt weniger Gelegenheit zur Fäulnis hat.

Der Inhalt des Dünndarms wird durch die G. gelb gefärbt; auch die Kotmassen verdanken ihre Farbe größtenteils dem Gallenfarbstoff. Tiere, denen man eine Gallenfistel anlegt, durch welche die G. nach außen abfließt, so daß in den Darm wenig oder gar keine G. gelangt, zeigen sich außerordentlich gefräßig und magern trotz massenhafter Nahrungsaufnahme sehr stark ab. Dies rührt davon her, daß, wenn keine G. im Darm vorhanden ist, auch kein Fett aus der Nahrung aufgenommen werden kann. Solche Tiere sind daher ausschließlich auf die Eiweißstoffe und Kohlehydrate ihrer Nahrung angewiesen, deren Fett ist dagegen für sie verloren und verläßt den Darmkanal großenteils unverdaut. Ist der Abfluß der G. aus der Leber in den Darm durch mechanische Momente gehindert, so geht die G. in das Blut über, und es entsteht Gelbsucht (s.d.). Beim Erbrechen tritt durch die antiperistaltische Bewegung des Darmkanals häufig G. in den Magen über und wird als grünliche, sehr bitter schmeckende Masse mit ausgebrochen.

Für technische Benutzung wird frische G. mit dem doppelten Gewicht Alkohol gemischt, von dem abgeschiedenen Schleim abfiltriert und auf dem Wasserbad verdampft. Zum Entfärben der G. löst man den Rückstand in Alkohol, schüttelt mit Tierkohle, filtriert nach einigen Stunden und verdampft. Der Rückstand ist farblos, haltbar und wie frische G. verwendbar. Billiger reinigt man G., wenn man sie (Ochsengalle) 12–14 Stunden ruhig stehen läßt, die klare Flüssigkeit vom Bodensatz abgießt und auf dem Wasserbad abdampft. Aus einer Lösung der mit Alkohol gereinigten G. fällt Äther glykocholsaures Natron (kristallisierte G.). Frische G. dient zum Reinigen von Geweben und zum Fleckenausmachen, gereinigte G. zum Überziehen von Zeichnungen, um das Verwischen zu verhindern, zur Darstellung von Tusche aus Lampenschwarz und zum Anreiben seiner Wasserfarben. Die damit bereiteten Farben haften gut auf dem Papier, breiten sich schön und gleichmäßig aus, trocknen schnell und zeigen keinen störenden Glanz. Reibt man Elfenbein mit G. ab, so haften die Farben darauf ebensogut wie auf Papier; ebenso benutzt man G., um auf geöltes oder gefirnißtes Papier, das zu Transparentbildern benutzt werden soll, malen zu können. Gallenseife erhält man durch Zusammenschmelzen von 8 Teilen eingetrockneter Ochsengalle, 60 Teilen Seife, 12 Teilen Zucker, 4 Teilen Honig, 4 Teilen venezianischem Terpentin, 2 Teilen Ammoniakslüssigkeit.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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