Gabelsberger

Gabelsberger

Gabelsberger, Franz Xaver, Begründer der deutschen graphischen Stenographie, geb. 9. Febr. 1789 in München, gest. daselbst 4. Jan. 1849, besuchte die Schulen der Benediktinerstifte Am am Inn und Ottobeuren, dann seit 1802 das Knabenseminar, von 1804–1807 das Gymnasium und von 1807–1809 das Schullehrerseminar in München. Aus Gesundheitsrücksichten mußte er die Absicht, Elementarlehrer zu werden, aufgeben und wurde Subalternbeamter: 1809 Diurnist, 1810 Kanzlist, 1823 Geheimer Kanzlist zweiter Klasse mit dem Titel Sekretär im Ministerium des Innern. Bei der Verwaltungsreform 1825 in den Ruhestand versetzt, wurde er seit 1826 ständig in verschiedenen Ministerien beschäftigt, ohne eine feste Anstellung wieder erhalten zu können. G. befaßte sich seit 1809 mit verschiedenen graphischen Studien, gab Schulvorschriften zum Gebrauch in Elementarschulen heraus und erfand eine mechanische Rechentafel. Im März 1817 begann er aus eignem Antriebe stenographische Versuche, wurde darin durch die Einführung der bayrischen Verfassung vom 26. Mai 1818 bestärkt und arbeitete von Juli 1818 bis Januar 1819 sein Stenographiesystem aus. Schon in der ersten bayrischen Ständeversammlung von 1819 nahm er die Verhandlungen der Kammer der Reichsräte stenographisch auf, dann mit seinem Schüler Zeiler auch die der folgenden Kammertagungen. Aus den Schülern, die er seit 1829 in amtlichen Kursen unterrichtete, bildete er 1831 ein Stenographenbureau für die bayrische Kammer, zu dessen Vorstand er 1840 ernannt wurde. Er veröffentlichte sein System, das er namentlich 1820–22 durch Ausbildung der sinnbildlichen Vokalbezeichnung gefördert hatte, in der »Anleitung zur deutschen Redezeichenkunst oder Stenographie« (Münch. 1834, 2. Aufl. 1850; Neudruck 1900) und vollendete es durch ein neues, auf dem Sprachbau und der Logik beruhendes Kürzungsverfahren in den »Neuen Vervollkommnungen der deutschen Redezeichenkunst« (das. 1843, 2. Aufl. 1849). Eine »Lesebibliothek« erschien 1838. Im J. 1894 wurde ihm in München ein Denkmal (von Eberle) errichtet.

G. hat im Gegensatze zu den frühern sogen. geometrischen Systemen sein Alphabet aus den Teilzügen der gewöhnlichen Schrift gebildet und ist dadurch maßgebend und vorbildlich für die deutsche (graphische oder kursive) Stenographie geworden; auch hat er der deutschen Stenographie einen Reichtum an Kürzungsmitteln erschlossen. Während er sein System mit der Zeit mehr als Kammerschrift ausbildete, suchten seine Schüler es durch einfachere und festere Gestaltung der Regeln und genauere Schreibung der Vokale auch für eine Verkehrs- und Geschäftsschrift geeignet zu machen. Dieser Absicht entspringen die von den Vertretern der Gabelsbergerschen Stenographenvereine 1852 zu München, 1857 zu Dresden, 1895 zu Wien und 1902 zu Berlin beschlossenen Änderungen am System Gabelsbergers. Die Berliner Beschlüsse (sogen. »Systemurkunde«) hat ein Teil der Vereine nicht anerkannt. Zurzeit sind daher die Gabelsbergerschen Vereine in zwei Verbände getrennt: in den alten, 1868 gegründeten Deutschen Stenographenbund Gabelsberger (Versammlungen 1874 in Leipzig, 1879 Frankfurt a. M., 1884 Berlin, 1890 München, 1895 Wien, 1900 Dresden, 1902 Berlin) mit 1755 Vereinen und den 1901 gegründeten Allgemeinen Deutschen Stenographenbund mit etwa 130 Vereinen; ersterer vertritt die Berliner Beschlüsse, letzterer die frühere Systemgestalt (Wiener Beschlüsse). Der Gegensatz besteht z. T. in der Verschiedenheit von Schreibweisen, in der Hauptsache aber darin, daß die Gegner der Berliner Beschlüsse in diesen zu weitgehende Zugeständnisse an die Grundsätze der neuern stenographischen Systeme sehen und demgegenüber mehr die Kürze als die Genauigkeit, Einfachheit und Regelmäßigkeit der Schrift berücksichtigt sehen wollen. Näheres über das Gabelsbergersche System mit Schriftproben in dem Artikel »Stenographie«.

Das deutsche Gabelsbergersche System wurde 30. Juni 1903 von 1847 Vereinen mit 69,397 Mitgliedern vertreten; daneben bestehen im Auslande nach den verschiedenen Übertragungen desselben auf fremde Sprachen (namentlich auf die ungarische, italienische und dänische Sprache) 102 Vereine mit 5777 Mitgliedern. Als wahlfreier Lehrgegenstand ist die Gabelsbergersche Stenographie ausschließlich eingeführt in den höhern Lehranstalten von Bayern 1854, Österreich 1871, Sachsen 1873, Sachsen-Weimar-Eisenach 1896, Oldenburg 1897, Koburg-Gotha 1897–99, neben Stolze in Ungarn 1871, neben Stolze-Schrey und Roller in Baden 1895 und in Württemberg 1896; ferner allein in den sächsischen Kapitulantenschulen 1897 und den österreichischen Militärbildungsanstalten, neben Stolze-Schrey in den preußischen Kapitulantenschulen 1897 und preußischen Eisenbahndirektionen 1900. In Bayern, Sachsen und Österreich bestehen staatliche Prüfungskommissionen für das Lehramt in Gabelsbergerscher Stenographie. In mehr als 40 deutschen und außerdeutschen Landes- und Provinzialvertretungen sind Gabelsbergersche Stenographen tätig, darunter im deutschen und ungarischen Reichstag neben Stolzeanern, in Baden und in der Schweiz neben Stolze-Schreyanern, im schwedischen Reichstag neben Arendsianern, während im preußischen Landtag nur Stolzeaner arbeiten. In Sachsen besteht zur Aufnahme der Landtagsverhandlungen seit 1839 das auch dem Unterricht und der wissenschaftlichen Pflege der Stenographie gewidmete königliche Stenographische Institut, in Bayern seit 1902 ein staatliches Stenographisches Institut. Vgl. Gerber, Gabelsbergers Leben und Streben (2. Aufl., Münch. 1886); Alteneder, Franz Xaver G. (das. 1902); Faulmann, Entwickelungsgeschichte des Gabelsbergerschen Systems (Wien 1868); Heck, Geschichte der Schule Gabelsbergers (Wolfenb. 1901–1902); Krumbein, Entwickelungsgeschichte der Gabelsbergerschen Stenographie (Dresd. 1901); Noé, Die ersten sechs Jahrzehnte der Gabelsbergerschen Redezeichenkunst (Graz 1878). Größere Lehrbücher: Rätzsch, Lehrbuch (13. Aufl., Dresd. 1886); R. Fischer, Handbuch (2. Aufl., Altenb. 1896); kleinere Lehrbücher nach den Berliner Beschlüssen unter andern von Clemens, Zukertort-Fröhliger, nach den Wiener Beschlüssen von Fischer, Weizmann. Hauptzeitschriften: »Deutsche Stenographenzeitung« (Wolfenb.); »Korrespondenzblatt des königlichen Stenographischen Instituts« (Dresd.); die alte Richtung vertreten die »Allgemeine deutsche Stenographenzeitung« (Leipz.) und die »Österreichischen Blätter für Stenographie« (Wien). Die jährliche Statistik und Literatur enthält das »Jahrbuch der Schule Gabelsbergers« (Wolfenb. 1904,47. Jahrg.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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