- Enfantin
Enfantin (spr. angfangtäng), Barthélemy Prosper (gewöhnlich Père E. genannt), Saint-Simonist und Hauptvertreter des Saint-Simonismus (s. Sozialismus), geb. 8. Febr. 1796 in Paris als Sohn eines Bankiers, gest. daselbst 31. Aug. 1864, wurde in der Polytechnischen Schule gebildet und besuchte dann als Weinreisender Belgien, Deutschland und Rußland. 1821 trat er in ein Bankhaus zu Petersburg, kehrte jedoch 1823 nach Paris zurück, wo er Kassierer bei der Hypothekenbank wurde. In Gemeinschaft mit dem ihm befreundeten Olinde Rodrigues studierte er die Schriften Saint-Simons und gründete 1825 eine Kommanditgesellschaft zur Unterhaltung des Journals »Le Protecteur«, in dem er Saint-Simons Ideen entwickelte. Nach und nach bildete sich um ihn und Bazard (s. d.), namentlich seit 1829, ein Kreis von Anhängern, die Schule der Saint-Simonisten. Während Bazard die philosophisch-politische Seite des Saint-Simonismus ausbildete, verfolgte E. die philosophisch-soziale Richtung und hüllte sie in ein phantastisch-religiöses Gewand. Er erklärte die von der Gesellschaft aufgestellten Gesetze für ungerecht, namentlich in bezug auf die Ehe, forderte die völlige Emanzipation der Frauen und verteidigte auch in der Entwickelung der zynischen Theorie von einem Doppelpriester die Freiheit des geschlechtlichen Verkehrs. Hierüber brach 1831 Zwist unter den Häuptern der Schule aus, E. zog sich mit einigen 40 ihm treu gebliebenen Anhängern auf seine Besitzung in Ménilmontant zurück und organisierte dort eine patriarchalisch-sozialistische Gesellschaft nach seinen Lehren. Die Staatsgewalt sah in der Verbindung eine Verletzung des Vereinsgesetzes, zugleich auch der guten Sitten und stellte E. mit seinen Genossen (Rodrigues, Michel Chevalier, Duveyrier, Barrault etc.) vor die Assisen. Im August 1832 wurde E. zu Gefängnis und Geldstrafe verurteilt, die Verbindung wurde aufgelöst, der Saint-Simonismus war damit vernichtet. E. ging, nach einigen Monaten seiner Hast wieder entlassen, nach Ägypten und wurde dort als Ingenieur des Paschas an den Nildämmen beschäftigt. Wieder nach Frankreich zurückgekehrt, erhielt er eine Anstellung als Postmeister und ging dann als Mitglied einer mit der Untersuchung der Kolonisationsfrage beauftragten Kommission nach Algerien. Diese Frage besprach er in seiner Schrift »Colonisation de l'Algérie« (Par. 1843). Nach der Februarrevolution redigierte er wieder ein Journal, »Le Crédit public«, das viel von dem alten Saint-Simonistischen Geist in sich hatte, aber bald aus Geldmangel einging. Später ward er bei der Verwaltung der Lyoner Bahn angestellt. Von seinen Schriften verdienen Erwähnung: »Économie politique, et politique Saint-Simonienne« (1831); »Morale« (1832); »Le livre nouveau« (1832); »La religion Saint-Simonienne« (1831). Seine Werke erschienen gesammelt mit denen von Saint-Simon in 17 Bänden (Bd. 24–40, Par. 1865 ff.). Vgl. Castille, Le père E. (Par. 1859).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.