- Enantiomorph
Enantiomorph (griech.) heißen Kristallformen, die sich als Teilflächner von Kristallformen mit mehreren Symmetrie-Ebenen darstellen, aber selbst keine Symmetrie-Ebenen haben und nicht kongruent, sondern nur »spiegelbildlich« sind (vgl. Kristall). Die Figur zeigt zwei spiegelbildlich gleiche, aber nicht kongruente Quarzkristalle.
Liegen die Flächen s und x links unter der Fläche p, so dreht der Kristall die Ebene des polarisierten Lichtes nach links, im andern Fall um denselben Winkel nach rechts (physikalischer Enantiomorphismus). Alle organischen Verbindungen, die ein asymmetrisches Kohlenstoffatom enthalten (dessen vier Affinitäten durch verschiedene Atome oder Atomgruppen gesättigt sind) und im amorphen oder flüssigen Zustand optisch aktiv sind, kristallisieren in enantiomorphen Formen, an denen die rechte Seite anders ausgebildet ist als die linke (chemischer Enantiomorphismus). Zu jeder optisch aktiven Substanz gehört ein Zwilling, der die Polarisationsebene gleich stark, aber im entgegengesetzten Sinn ablenkt (Rechts- und Linksweinsäure). Eine Mischung gleicher Moleküle der Rechts- und Linksverbindung (racemisches Gemisch) ist optisch inaktiv (Traubensäure). Bei der synthetischen Darstellung derartiger Verbindungen erhält man stets die inaktive Substanz, deren Komponenten sich aber nach drei Methoden voneinander trennen lassen. Man stellt gewisse Salze dar, von denen die rechtsdrehenden andre Löslichkeit zeigen als die linksdrehenden, und trennt diese auf gewöhnliche Weise. So kann man bei Neutralisation von Traubensäure mit Cinchonicin das rechtsweinsaure vom linksweinsauren Cinchonicin trennen. In einer verdünnten Lösung von traubensaurem Ammoniak wird durch die Vegetation eines Schimmelpilzes (Penicillium) das rechtsdrehende Salz zerstört, während das linksdrehende erhalten bleibt. Bisweilen kristallisieren die Rechts- und Linksverbindungen gesondert in entgegengesetzt hemiedrischen Kristallen (traubensaures Natriumammoniumsalz), und dann können die Kristalle durch Auslesen voneinander getrennt werden. Bei der Kristallisation von Natriumchlorat entstehen im allgemeinen gleich viele Kristalle beider Formen, wenigstens ist das Kristallpulver inaktiv, während jedes einzelne Kristallindividuum für sich rechts oder links dreht. Fügt man aber zu der Lösung des Salzes eine enantiomorphe Substanz, die ein asymmetrisches Kohlenstoffatom enthält, so ändern sich die Verhältnisse. Bei Gegenwart von 20 Proz. Dextrose entstehen nur 31,75 Proz. Rechtskristalle (mit Berücksichtigung des Gewichts), bei 5 Proz. Mannit 44,38, bei 6 Proz. Mannit 40,55 Proz. Diese Resultate zeigen, daß die Herabsetzung des Verhältnisses der Rechtskristalle von Natriumchlorat nicht direkt von dem spezifischen Drehungsvermögen der gelösten Substanz abhängt. In zweifelhaften Fällen könnte man feststellen, ob eine Substanz im amorphen Zustand enantiomorph ist, indem man die Kristalle des aus ihrer wässerigen Lösung ausgeschiedenen Natriumchlorats auf ihr Drehungsvermögen prüft. Vgl. van't Hoff, Lagerung der Atome im Raum (Braunschw. 1894); Landolt, Das optische Drehungsvermögen organischer Substanzen (2. Aufl., das. 1898).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.