Blindheit

Blindheit

Blindheit (griech. Anopsie, lat. Caecitas), Mangel des Sehvermögens, und zwar vollkommene B. im wissenschaftlichen Sinn (Amaurose), d. h. Aufhebung jeder Lichtempfindung, oder B. im sozialen Sinn, Aufhebung des Sehvermögens bis auf geringe Reste, die zur Erwerbsfähigkeit nicht mehr genügen (Amblyopie, Schwachsichtigkeit), bei der die Lichtempfindung vollkommen erhalten sein kann. B. ist teils angeboren, meist aber erworben. Angeborne B. beruht in der Regel auf Bildungshemmung des Auges und seiner Häute oder des Sehnervs und des Gehirns. Oft ist angeborner grauer Star, zuweilen auch entzündliche Prozesse während des Fötallebens Ursache der angebornen B. Erworben kann die B. werden durch zahlreiche Erkrankungen des Auges an sich, durch Verletzungen desselben, auch durch Allgemeinerkrankungen des Körpers, die zu Augenerkrankungen führen können. Nach Magnus (»Preußische Statistik«, Heft 69) kommen Blinde auf 10,000 Einwohner in Deutschland 8,79 (Preußen 8,3), Frankreich 8,57, Spanien 11,23, Italien 10,5, England 9,51, Irland 11,73, Dänemark 6,99, Österreich 5,59 (1890: 8,8), Ungarn 11,92. Auf 10,000 Evangelische kommen 3,3, auf 10,000 Katholiken 8,86, auf 10,000 Juden 12,3 Blinde. Von 2528 Blinden kamen auf:


Augenentzündung der Neugebornen 10,87 Proz.

Trachom und Blennorrhoea adultorum 9,49 Proz.

Glaukom 8,97 Proz.

Iridochoroiditis und Cyklitis 8,86 Proz.

Erkrankungen der Cornea 8,06 Proz.

Atrophia nervi optici idiopathica 7,75 Proz.

Krankheit des Gehirns 6,96 Proz.

Ablösung der Netzhaut 4,74 Proz.

Ophthalmitis sympathica traumatica 4,50 Proz.

Direkte Veletzung 4,03 Proz.

Angeborne Blindheit 3,77


Die neuern statistischen Angaben von Losch und Krailsheimer über die Blinden im Königreich Württemberg zeigen vielfache Übereinstimmung mit den obigen. Im allgemeinen läßt sich eine Abnahme der Erblindungen feststellen. Nach Steffens hätten 40 Proz. aller Blinden bei rationellen prophylaktischen Maßregeln ihr Augenlicht behalten können. Vgl. Fuchs, Die Ursachen und die Verhütung der B.(Wiesb. 1885); Kerschbaumer, Die Blinden des Herzogtums Salzburg nebst Bemerkungen über die Verbreitung und die Ursachen der B. (das. 1886); Derselbe, Wie viele Blinde gibt es und kann es geben? (Wien 1886); Magnus, Die B., ihre Entstehung und Verhütung (Bresl. 1883); Derselbe, Die Jugendblindheit (Wiesb. 1886); Fick, Die B. (in Gräfe-Sämischs »Handbuch der Augenheilkunde«, 2. Aufl., Leipz. 1899); Hirsch, Entstehung und Verhütung der B. (Jena 1902).

Rechtliches. Im Mittelalter hatte der Blinde, namentlich der Blindgeborne, nur eine geminderte Rechtsfähigkeit. Nach altfriesischem Rechte z. B. wurde er bei lebendigem Leibe beerbt; was ihm zustand, war ein Unterhaltungsanspruch gegen seine Verwandten. Nach deutschem Lehnrecht war er vom Erbrecht ausgeschlossen, ein Rechtssatz, der sich für Reichslehen, namentlich die Kurfürstentümer, auch gegenüber dem das deutsche Lehnrecht verdrängenden langobardischen Lehnrecht erhielt. Aus ihm erklärt sich, daß bis zum Ausgang des alten Deutschen Reiches unheilbar Blinde als regierungsunfähig von der Thronfolge ausgeschlossen blieben. Nach den neuern Verfassungen ist B. weder ein Grund der Thronfolgeunfähigkeit, noch ein Grund zur Ein setzung einer Regentschaft. Im übrigen schwanden mit der Rezeption des römischen Rechts alleprivat- und öffentlich-rechtlichen Minderungen der Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Blinden. – Nach dem seit 1. Jan. 1900 in Deutschland geltenden Recht kommt B. nur noch wenig in Betracht. Das Bürgerliche Gesetzbuch gestattet den Blinden jedoch zu ihrem eignen Schutze die Errichtung eines Testaments nur in der Form des ordentlichen vor einem Richter oder Notar errichteten (§ 2247), wobei nach § 169 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie überhaupt bei allen Urkunden, in denen die Erklärung eines Blinden aufgenommen werden soll, der Richter einen Gerichtsschreiber oder zwei Zeugen, der Notar einen zweiten Notar oder zwei Zeugen beizuziehen hat; außerdem kann dem Blinden für seine Person und sein Vermögen ein Pfleger gegeben werden, falls er unfähig ist, seine Angelegenheiten zu besorgen (§ 1910). Ebenso kann der Blinde nicht als Solennitätszeuge mitwirken, da ihm die erforderliche Wahrnehmungsfähigkeit fehlt (§ 2242).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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