- Blüte [1]
Blüte (hierzu Tafel »Blütenformen I und II«), ein Sproß oder Sproßabschnitt bei den Samenpflanzen, der Geschlechtsorgane trägt und die geschlechtliche Fortpflanzung vermittelt. Die einfachste B. besitzen die Gymnospermen, sie besteht aus einem Sproßabschnitt mit meist schuppenförmigen Blättern, die weibliche (Samenanlagen) oder männliche Geschlechtsorgane (Pollensäcke) tragen, die B. ist also hier eingeschlechtig, weiblich oder männlich. Im einfachsten Fall enthält die weibliche B. wie bei der Eibe (Tafel II, Fig. 3 u. 4) nur eine einzige Samenanlage. Bei den Angiospermen sind häufig beiderlei Geschlechtsorgane in einer B. vereinigt (Zwitterblüten). Gewöhnlich stehen dann an der Achse dreierlei seitliche Organe, Blütenhüllblätter, Staubblätter und Fruchtblätter oder Karpelle, die in Kreisen oder spiraligen Gruppen um den Gipfel der Blütenachse angeordnet sind. Die Gesamtheit der Blütenhüllblätter heißt Blütenhülle (perianthium), die Gesamtheit der Staubblätter heißt Andrözeum, die Gesamtheit der Fruchtblätter heißt Gynäzeum. Der Teil der Blütenachse, der die Organe der B. trägt, ist gewöhnlich stark verkürzt, so daß die Organkreise an ihrem Gipfel dicht gedrängt stehen, wobei stets die Blütenhülle die äußern Kreise bildet, während das Gynäzeum die Mitte der Anordnung einnimmt. Die Blütenhülle trägt keine Geschlechtsorgane, sie dient als Schutzorgan für die innern Blütenteile und ist in vielen Fällen indirekt an dem Zustandekommen der Befruchtung beteiligt, indem sie die für die Übertragung des Blütenstaubes nötigen Insekten anlockt und dieselben zu Bewegungen und Körperstellungen nötigt, durch welche die Blütenbestäubung (s.d.) gesichert wird. Häufig sind alle Blätter der Blütenhülle von gleichartiger Beschaffenheit (Tafel I, Fig. 6), man bezeichnet dieselbe dann als Blütenhülle oder Perigon (perianthium). Oft aber ist sie aus zwei verschiedenen Blattkreisen zusammengesetzt, die als Kelch (calyx) und Krone (corolla) unterschieden werden. Die Kelchblätter (sepala) sind gewöhnlich laubblattartig derb und grün gefärbt, sie bilden den äußern Kreis, die den innern Kreis bildenden Kronblätter (petala) sind meist von zarterer Beschaffenheit, weiß oder farbig, sehr selten grün. Bisweilen steht unter dem Kelch ein zweiter Kreis kelch- oder auch blumenblattähnlicher Blättchen, der Außen- oder Hüllkelch (epicalyx). Die das Andrözeum bildenden Staubblätter tragen auf einem meist stabförmigen untern Teil, dem Filament, eine kolbenförmige Anthere, in der die Pollensäcke eingeschlossen sind. Sie bilden also den männlichen Teil der B. Das Gynäzeum, der weibliche Teil der B., besteht aus Fruchtblättern (carpellum, carpidium), die unter sich oder jedes für sich zu kapselförmigen Gehäusen, den Fruchtknoten, verwachsen sind, in denen die Samenanlagen eingeschlossen sind.
Die Zahlen und Stellungsverhältnisse der B. sind außerordentlich wechselnd, aber oft für ganze Pflanzengruppen konstant, so daß sie zur Erkennung der Verwandtschaftsverhältnisse benutzt werden können. Um diese Verhältnisse graphisch darzustellen, bedient man sich der Blütenformeln, in denen die Organkreise durch Buchstaben, die Zahlen ihrer Glieder durch Ziffern ausgedrückt werden. Perigon = P, Kelch = K, Krone = C, Andrözeum = A, Gynäzeum = G. Die Blütenformel P3+3A3+3G3 bezeichnet also eine B., die wie die Tulpe oder Lilie aus 6 auf zwei Kreise verteilten Perigonblättern, ebenso 6 Staubblättern in zwei Kreisen und einem aus drei Fruchtblättern zusammengesetzten Gynäzeum besteht. Die gegenseitige Stellung der Glieder in den Organkreisen zeigt übersichtlich ein schematischer Blütenquerschnitt, das Blütendiagramm, in dem die einzelnen Organe durch einfache, ihrem Querschnitt ähnliche Zeichen vertreten sind.
Die nebenstehende Fig. 1 zeigt das Diagramm einer B., die in ihrem Aufbau der oben gegebenen Blütenformel entspricht, während Fig. 2 das Diagramm einer B. mit fünfzähligen Organkreisen wiedergibt, deren Formeln K5C5A5+5G5 lauten würde. Die Diagramme lassen erkennen, daß die Organe der einzelnen Kreise in gleichen Abständen um die Achse verteilt sind, und daß die Glieder der aufeinanderfolgenden Kreise miteinander abwechseln (alternieren). Stehen die Glieder zweier aufeinanderfolgender Organkreise voreinander auf demselben Radius, so bezeichnet man sie als superponiert. Sind die Glieder aller Kreise, wie in den vorstehenden Diagrammen, in Quirlen angeordnet, so bezeichnet man die B. als zyklisch. Hemizyklisch oder azyklisch heißt dagegen die B., wenn in einzelnen oder in allen Organkreisen die Glieder in spiraliger Anordnung stehen. Stehen alle Blütenteile rings um die Blütenachse in gleichmäßiger Verteilung, so daß die B. durch jeden beliebigen Radialschnitt in zwei spiegelbildlichgleiche Hälften zerteilt wird, so bezeichnet man die B. als radiär oder akstinomorph. Häufig wird aber dadurch, daß die Blütenteile ungleich angeordnet sind, oder daß einzelne Kreise durch Unterdrückung einzelner Glieder unvollständig werden, oder daß die einzelnen Glieder des gleichen Kreises verschiedene Ausbildung erfahren, die B. unregelmäßig oder zygomorph. Man bezeichnet sie als dorsiventral, wenn sie sich durch eine einzige Ebene in zwei symmetrische Hälften teilen läßt, als unsymmetrisch, wenn eine symmetrische Teilung überhaupt nicht möglich ist.
In ganz besonderer Weise ist auch die Plastik der Blütenteile an dem Zustandekommen der Blütenformen beteiligt. Ist die Blütenachse an der Spitze kegelförmig, wie in Fig. 3 der Tafel I, so daß die innersten Blütenteile, das Gynäzeum, am höchsten stehen, so heißt die B. hypogyn, das Gynäzeum ist oberständig. Bei der perigynen B. (Tafel I, Fig. 4) bildet die Blütenachse an der Spitze eine schüssel- oder urnenförmige Vertiefung, in deren Grunde das Gynäzeum steht, während die äußern Organkreise auf den Rand emporgerückt sind. Das Gynäceum ist mittelständig. Bei der epigynen B. ist das Gynäzeum unterständig (Tafel I, Fig. 5), d. h. es ist in die Blütenachse unter die übrigen Blütenteile hinab versenkt und mit derselben zu einer knotigen Anschwellung verwachsen. Nicht selten zeigen sich in der B. Auswüchse der Achse, die entweder zwischen den Organen der B. höckerartig vorragende Nektarien bilden oder ein ringsherum greifendes Polster (Diskus) darstellen. Die Blätter der Krone stehen entweder frei nebeneinander (choripetale B.), oder sie sind zu trichterförmigen, glockenförmigen, stieltellerförmigen, radförmigen, röhrenförmigen Gebilden miteinander vereinigt (Tafel I, Fig. 7–12 [sympetale B.]). Sind dabei die einzelnen Kronblätter von ungleicher Gestalt und Größe, so entstehen dorsiventrale Formen, wie die Lippenblüten (Tafel I, Fig. 13, 14 u. 17). Auch bei Perigonblüten und choripetalen Blüten treten dorsiventrale Formen durch ungleichmäßige Gestaltung der einzelnen Blütenhüllblätter häufiger auf.
Ein Beispiel bieten die gespornten Blüten der Orchideen (Tafel II, Fig. 5) und die Schmetterlingsblüte der Papilionazeen (Tafel I, Fig. 15 u. 16). Bei der B. von Scirpus (Tafel II, Fig. 1) u. a. wird die Blütenhülle durch einen aus Borsten gebildeten Federkelch vertreten; bei den meisten Grasblüten ist sie auf zwei unscheinbare Schüppchen (Tafel II, Fig. 2) reduziert; der Esche (Tafel I, Fig. 1) fehlt sie ganz. Die Staubblätter des Andrözeums stehen meistens frei nebeneinander, seltener sind sie zu einer Säule (Tafel II, Fig. 13) oder zu mehreren Bündeln miteinander verwachsen. Durch Verwachsung der Staubblätter mit dem Gynäzeum wird in der B. der Orchideen und bei Aristolochia (Tafel II, Fig. 7 u. 8) eine Befruchtungssäule (gynostemium) gebildet. Durch Unterdrückung einiger Staubblattanlagen geht die Zahl der Staubblätter in manchen Blüten bis auf ein einziges zurück (Tafel I, Fig. 2), oder das Andrözeum verschwindet ganz, so daß eine eingeschlechtige, rein weibliche B. entsteht (Tafel I, Fig. 19). In diesem Falle müssen selbstverständlich neben den weiblichen Blüten auch noch Zwitterblüten vorkommen oder doch männliche Blüten, die durch Unterdrückung des Gynäzeums aus den erstern hervorgegangen sind (Tafel I, Fig. 18). Die Zahl der Fruchtblätter, die das Gynäzeum der B. zusammensetzen, schwankt in weiten Grenzen. Sind mehrere Fruchtblätter vorhanden, so kann entweder jedes derselben für sich einen Fruchtknoten bilden (apokarpes Gynäzeum, Tafel II, Fig. 10–12), oder alle Fruchtblätter verwachsen zu einem einzigen Fruchtknoten (synkarpes Gynäzeum, Tafel II, Fig. 14–17). Der aus mehreren Fruchtblättern gebildete Fruchtknoten ist einfächerig, wenn die Fruchtblätter nur mit den Rändern verwachsen, so daß nur ein einziger Hohlraum entsteht (Tafel II, Fig. 16), mehrfächerig, wenn der Hohlraum durch Scheidewände in einzelne Abteilungen zertrennt ist. Der Fruchtknoten ist mit einer Narbe verbunden, die zum Auffangen der die Befruchtung vermittelnden Pollenkörner bestimmt ist. Die Narbe sitzt entweder dem Fruchtknoten direkt auf (Tafel II, Fig. 11), oder sie ist durch einen Griffel über denselben emporgehoben (Tafel II, Fig. 9). Bei synkarpen Fruchtknoten sind häufig nach der Zahl der verwachsenen Fruchtknoten mehrere narbentragende Griffel vorhanden (Tafel II, Fig. 14 u. 17) oder doch mehrere Narbenlappen an einem gemeinsamen Griffel (Tafel II, Fig. 1). Die Gestaltung der Narbe kann verschieden sein. Der Fruchtknoten der Gräser trägt zwei federförmige Narben (Tafel II, Fig. 2), bei der Schwertlilie (Tafel II, Fig. 6) sind die Narbenlappen des Griffes blumenblattartig ausgebildet. Über die biologische Deutung des Gestaltenreichtums der Blüten s. Blütenbestäubung.
Viele Pflanzen, krautige wie Gehölze, werden ihrer schönen Blüten halber kultiviert, viele Blüten finden technische Verwendung (Saflor, Safran, Malven etc.), aus andern werden ätherische Öle gewonnen (Rosen, Gewürznelken, Orangen, Lavendel etc.), und wieder andre werden arzneilich benutzt (Arnika, Kamillen, Wurmsamen, Koso, Holunder etc.). Gegessen werden Blumenkohl, die Blüten von Robinie, Holunder, Veilchen, Orangen, Rosen, namentlich aber in Indien die Blüten des Mahwabaumes und einer Knöterichart (Calligonum), als Gewürze benutzt man Kapern, Gewürznelken, Zimtblüten, Safran, Kapuzinerkresse, auch wird der Tee mit verschiedenen Blüten (Jasmin, Olea fragans, Gardenia etc.) parfümiert. Lebende Blüten können mit wasserlöslichen Farbstoffen, besonders mit Teerfarben, gefärbt werden, wenn man die abgeschnittenen Stengel in die Lösung stellt. Die Färbung zeigt oft sehr zierliche Aderung.
Gefüllte Blüten stellen eine Abweichung von der normalen Bildung dar, eine Ausartung, die sich z. T. geschlechtlich fortpflanzt, meist aber nur durch ungeschlechtliche Vermehrung erhalten werden kann. In der Regel entstehen gefüllte Blüten durch Versetzen der Pflanzen in ungewöhnliche, bessere Verhältnisse, bisweilen auch, wenn die Pflanze aus bessern Wachstumsbedingungen in schlechtere übergeht. Als Seltenheit findet man gefüllte Blüten bei wild wachsenden Pflanzen, z. B. bei Cardamine pratensis, Saxifraga granulata, Chelidonium majus, Caltha palustris, Ranunculus etc. Gefüllte Blüten spielen in der Gärtnerei eine große Rolle, und Rosen, Nelken, Levkojen, Gänseblümchen etc. haben erst den jetzigen gärtnerischen Wert erhalten, seitdem man gefüllte Varietäten von ihnen züchtet; andre, wie Datura, Ipomoea, sind durch die Füllung häßlich geworden. Manche Blüten büßen bei der Füllung an Geruch ein (Veilchen), während andre stärker, anhaltender, sogar anders riechen als die nicht gefüllten. Gefüllte Blüten entstehen durch Vermehrung der einzelnen Teile der B., ohne die Befruchtungsorgane zu benachteiligen; in andern Fällen verwandeln sich die Staubgefäße und selbst der Griffel in Blumenblätter, auch wird bisweilen der Kelch blumenkronenartig, wie bei derhalbgefüllten Campanula Medium. Bei Kompositen verwandeln sich die kurzen Scheibenblumen in verlängerte Röhrenblüten oder in blatt- oder zungenförmige Strahlenblüten (Astern, Georginen, Zinnien, Tagetes). Bei Centaurea und Gaillardia mit kleinen, trichterförmigen Randblüten bilden sich auch in der Mitte ähnliche Blüten mit geteilter Korolle. Bleibt wenigstens ein Teil der Befruchtungsorgane erhalten, so können die gefüllten Blüten Samen tragen, wenn auch weniger reichlich als die einfachen Blüten. Blieb das Pistill unverwandelt, während die Staubfäden zur Befruchtung unfähig wurden, so kann man Samen durch künstliche Befruchtung mit fremden Pollen erzielen. Bei gefüllten Petunien befruchtet man die Narben mit dem Pollen andrer halbgefüllter Sorten. Es ist bisher, außer bei Levkojen und dem nahe verwandten Goldlack, noch nicht gelungen, durch besondere Kultur einen Samen zu erziehen, aus dem gefüllte Pflanzen erwachsen; vielmehr erzielt man gefüllte Blüten immer nur durch sorgfältige Auswahl und Absonderung der geeigneten Sämlinge. Die Erlangung gefüllter Blüten ist zunächst Sache des Zufalls. Ist aber einmal ein Ansatz dazu aufgefunden, dann schreitet der Gärtner ein und bringt es in der Regel bald zu dem gewünschten Erfolg.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.