Zivilehe

Zivilehe

Zivilehe heißt die Eheschließung vor einem staatlichen Beamten. Sie ist ein Kind der Toleranz: sie wurde zuerst 1580 in Holland und Westfriesland fakultativ für Reformierte und obligatorisch für Dissidenten eingeführt und aus ähnlichen Gründen 1787 fakultativ für Nichtkatholiken in Frankreich. England führte 1653 die Z. ein, um der Kirche diese Arbeitslast abzunehmen, was aber bald wieder beseitigt wurde; seit 1836 besteht dort die fakultative Z. Die Trennung von Staat und Kirche bildet die Grundlage für die obligatorische Z., die in Frankreich 1792 und danach durch den Code civil von 1804 eingeführt wurde. Obligatorische Z. gilt auch in Belgien, Deutschland, Holland, Italien, Schweiz, Chile, Mexiko, Rumänien, Ungarn und Japan. Für das Deutsche Reich wurde sie durch das Gesetz vom 6. Febr. 1875 eingeführt, während früher einzelne deutsche Staaten die Z. nur in der Form der Notzivilehe kannten, d. h. als eine Aushilfe für die Fälle, in denen die an sich normale kirchliche Eheschließungsform nicht angängig war, weil zwar der Staat, aber nicht die Kirche die Ehe für zulässig hielten, z. B. bei Ehen mit Nichtchristen. In dieser Form gilt die Z. heute in Österreich, Dänemark, Skandinavien, Spanien, Portugal und Rußland. In Nordamerika sind sowohl die Geistlichen der Religionsgesellschaften als auch richterliche Beamte zur Vornahme der Trauung berechtigt. Während bei der obligatorischen Z. die Nupturienten die Ehe nur vor dem Staatsbeamten schließen dürfen, steht es bei der fakultativen Form in ihrem Ermessen, ob sie die staatliche oder die kirchliche Form wählen wollen. Wo der Staat die Z. eingeführt hat, ist es für das staatliche Rechtsgebiet gleichgültig, ob die Parteien auch noch die kirchliche Trauung nachsuchen wollen; jedoch hat das deutsche Recht unter Strafe den Geistlichen verboten, eine Trauung vorzunehmen, bevor ihnen der Nachweis der standesamtlichen Eheschließung erbracht sei (außer bei drohender Lebensgefahr, § 67 des Gesetzes vom 6. Febr. 1875 nach der Fassung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Art. 46), und anderseits hat das Reichsgesetz vom 6. Febr. 1875, § 82, und noch allgemeiner gefaßt das Bürgerliche Gesetzbuch in § 1588 dem Willen des staatlichen Gesetzgebers Ausdruck verliehen, daß durch die Z. die kirchlichen Verpflichtungen in bezug auf die Trauung nicht berührt werden sollen, wie es auch als eine Rücksichtnahme auf die Kirche zu betrachten ist, daß nach § 1318 des Bürgerlichen Gesetzbuches der Standesbeamte die Brautleute als »kraft dieses Gesetzes (d. h. des Bürgerlichen Gesetzbuches, nicht etwa kraft des Rechtes oder Gesetzes im allgemeinen) nunmehr rechtmäßig verbundene Eheleute« erklären soll.

Die Stellungnahme der Kirchen zur Z. ist eine verschiedene. Die katholische Kirche spricht dem Staat jede Zuständigkeit in Ehesachen ab und behandelt daher die Z. als einen Übergriff des Staates und darum als ungültig, wo die von der Kirche vorgeschriebene tridentinische Eheschließungsform gilt. Wo das vortridentinische, rein formlose Eheschließungsrecht gilt, muß natürlich auch die standesamtliche Form genügen. In dieser Richtung hat nun Pius X. durch das Dekret »Provida« vom 18. Jan. 1906 festgestellt, daß das Tridentinum für ganz Deutschland in Geltung sei. Für ungemischte katholische Ehen bringt daher in Deutschland nur die kirchliche Trauung eine kirchlich gültige Ehe hervor. Dagegen hat das Dekret von 1906 weiter bestimmt, daß Katholiken, die eine gemischte Ehe in Deutschland eingehen wollen, wenn sie die katholische Trauung unterlassen, also z. B. nur eine Z. eingehen, zwar unerlaubt handeln und eine Sünde begehen, aber doch eine gültige Ehe schließen, so daß eine kirchliche Lösung des Ehebandes unmöglich ist. Die Deklaration Pius' X. »Ne temere« vom 2. Aug. 1907 hat an diesem Recht für Deutschland nichts geändert, im übrigen aber die Geltung des tridentinischen Eheschließungsrechts für die ganze Welt festgestellt (mit Ausnahme der nichtkatholischen Ehen). Die protestantische Kirche, die nach den maßgebenden Anschauungen der Reformatoren in der Ehe ein überwiegend weltliches Rechtsgeschäft zu erblicken hat, kann die Kompetenz des Staates zur Einführung der Z. nicht bestreiten und muß daher die nur staatlich geschlossene Ehe als auch kirchlich gültige behandeln. Die kirchliche Trauung hat damit für sie die Bedeutung der Einsegnung der gültigen Ehe und der kirchlichen Bestätigung des christlichen Charakters der Ehe erhalten. Literatur s. Eherecht und Trauung.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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