Zahnkrankheiten

Zahnkrankheiten

Zahnkrankheiten, krankhafte Zustände, welche die Zähne selbst betreffen; gewöhnlich aber auch alle Krankheiten, welche die mit den Zähnen zusammenhängenden Teile, die ihre Wurzeln umgebende Haut. die Zahnzellen, das Zahnfleisch etc., befallen. Die weitaus wichtigste Zahnkrankheit ist die Zahnkaries (Zahnfäule, Stocken oder Hohlwerden, Anolmen [Prov.] der Zähne, Caries dentium). Im Mund wie im ganzen Verdauungskanal finden beim gesunden Menschen fortwährend Fäulnisvorgänge statt; die nach dem Essen zurückbleibenden Speisereste fallen fauliger Zersetzung anheim. Vor den Wirkungen der Fäulnisprodukte werden die Zähne geschützt durch das sogen. Schmelzoberhäutchen, eine gegen äußere, namentlich chemische Einwirkungen sehr widerstandsfähige Masse. Bilden sich aber Defekte im Schmelzoberhäutchen, so dringen Fäulnisbakterien in das Innere des Zahnes ein und zerstören unaufhaltsam seine Substanz. So entstehen kleine Löcher, Grübchen mit ihren charakteristischen schwarzen, bräunlichen oder bläulichen Rändern (der mit den Fäulnisorganismen imprägnierten, abgestorbenen Zahnsubstanz); dieselben werden immer tiefer und tiefer (die Zähne werden hohl), die Krone bröckelt ab und die Karies dringt bis zur Pulpahöhle vor. Meist entstehen nun sehr lebhafte, bohrende, stechende und reißende Schmerzen (s. Zahnschmerz). Mitunter gehen allerdings auch Zähne durch Karies vollständig verloren, ohne daß jemals bedeutender Schmerz vorhanden gewesen ist. Die Behandlung der Zahnkaries ist je nach ihrer Ausbreitung verschieden. Ist sie nicht sehr ausgebreitet und oberflächlich, so wird die ergriffene Partie abgefeilt und das bloßgelegte Zahnbein poliert. Ist dagegen das Zahnbein schon bis zu einer gewissen Tiefe zersetzt, so muß der Zahn gefüllt (plombiert) werden. Man entfernt sorgfältig alle kariösen Teile durch Ausschneiden oder Ausfräsen und füllt dann die Höhle mit Gold, Zinn, auch mit Amalgam, Zahnzement oder Guttapercha. Wo die Pulpa sehr reizbar ist und bei jüngern Individuen wendet man die zuletzt genannte Substanz als Interimsfüllung an und läßt erst später die definitive Goldfüllung, die unter starkem Druck angebracht werden muß, oder eine sonstige Metallfüllung folgen. Wenn die Karies bereits bis zur Pulpahöhle fortgeschritten, die Pulpa erkrankt ist und geschmerzt hat, dann muß letztere getötet, d. h. geätzt (Nervtöten) und darauf soweit wie irgend möglich herauspräpariert oder am besten ganz entfernt, der Wurzelkanal und die gereinigte Zahnhöhle aber gefüllt werden. Ausgezogen wird der Zahn nur, wenn die Kunsthilfe keinen Nutzen mehr gewährt, wenn die Eiterung im Zahnfach des kranken Zahnes die Nachbarschaft bedroht, oder wenn die Zahnkrone der Füllung keinen Halt mehr gibt. Entzündet sich auch die Wurzelhaut, so erfordert diese besondere Behandlung. Bei Eiterbildung werden die nächsten Knochenpartien infiltriert, und es entsteht eine Anschwellung (Zahngeschwür), die wegen des Druckes, den der Eiter auf die Nerven der Wurzelhaut und des Periosts ausübt, in der Regel sehr schmerzhaft ist. Der Eiter bricht sich endlich durch das Zahnfleisch Bahn, und man kann zur Beschleunigung dieses Vorganges auch wohl einen Schnitt in das Zahnfleisch machen. Findet der beschrieben e Prozeß, von einem Zahn der obern Kinnlade ausgehend, am Gaumen statt, so bezeichnet man die Geschwulst als Gaumengeschwür (Gaumenabszeß). Hört die Eiterabsonderung mit der einmaligen Entleerung des Zahngeschwürs nicht auf, so bleibt an der betreffenden Stelle des Zahnfleisches meist eine kleine Öffnung zurück, die zuweilen oberflächlich nur zuheilt, von Zeit zu Zeit aber wieder ausbricht und Eiter absondert (Zahnfleischfistel). Un gleich schlimmer ist die Zahn- oder Backenfistel, die sich bildet, wenn der Eiter, statt von der Alveole direkt in das Zahnfleisch einzudringen, seinen Weg in die Substanz des Kieferknochens nimmt und schließlich außen am Backen hervortritt. Zahnfisteln entstehen weit häufiger am Unterkiefer als am Oberkiefer, weil der Eiter, dem Gesetz der Schwere folgend, sich leicht senkt und der Bau des Unterkieferknochens dies begünstigt. Doch finden sich nicht selten auch Fisteln an kranken Zahnwurzeln des Oberkiefers, und durch Erguß von Eiter in die Oberkieferhöhle (Empyem der Highmoreshöhle) und Knochenfraß der angrenzenden Kopfknochen kann der Tod herbeigeführt werden. Zur Heilung der Zahnfistel, noch mehr aber der entstandenen Nekrose, ist das Herausziehen des kranken Zahnes unerläßlich. Eiterige Entzündung des Zahnfleisches (s. d.) kann sich auf die Kieferknochen fortsetzen und die Zahnfachwände zerstören, so daß die Zähne locker werden und ausfallen (Zahnfacheiterung, Alveolarpyorrhöe). Die hauptsächlichsten Verletzungen der Zähne sind: die Zahnfissur, der Zahnbruch, Dislokationen oder Verschiebungen der Zähne infolge der Einwirkung mechanischer Gewalt und Abnutzung der Zähne infolge längern Gebrauchs derselben. Eigentümliche Entartungen der Zähne werden bedingt durch Rachitis und ererbte Syphilis. Im erstern Falle bilden sich meist die Riffzähne mit parallelen Querstreifen im Schmelz, im letztern entstehen die halbmondförmigen, mit Rinnenbildung verbundenen Defekte der Schneidezähne. Literatur s. bei Zahnheilkunde.

Auch bei den Haustieren kommen Zahnkaries, Zahngeschwüre und Zahnfisteln vor, namentlich bei Pferden und Rindern. Das Ausziehen eines Backenzahnes, das namentlich beim Pferd öfters nötig wird, stellt an die Kraft des Operateurs große Anforderungen und gefährdet bisweilen auch das Tier. Die Zahnfisteln beim Rind gehen meist nicht vom Zahn aus, sondern sind Aktinomykome. Zahnschmerzen macht auch der Zahnwechsel, wie man bei Fohlen bemerken kann. Altersausfall der Zähne erleben in der Regel nur die Hunde. Bei alten Ebern können die krummen Haken (Hauer) nach hinten in das Fleisch einwachsen und sollten dann entfernt werden. Bei Schweinen, namentlich aber bei Hunden, kommt auch Skorbut mit Ausfall der Zähne vor. Die praktisch größte Bedeutung hat die Beschaffenheit der Backenzähne des Pferdes, weil dessen ganze Verdauung, im Gegensatz zu den andern Haustieren, auf gründlichem Kauen beruht. Das Kauen wird nicht bloß durch kariöse Zähne behindert, sondern viel häufiger durch die sogen. Schieferzähne (richtiger Zahnschiefer, auch kantiges Gebiß). Die Kauflächen zeigen nämlich ein System von Falten, Leisten und Furchen, die aus härterer und weniger fester Substanz bestehen und sich an den gegenüberstehenden Zähnen abschleifen. Hierbei bleiben oft Hervorragungen, Zahnspitzen (Schiefer), stehen, die schließlich das Mahlen der Zähne aneinander hindern, auch die Backenschleimhaut verletzen. Die Entfernung dieser Spitzen geschieht mittels Maulgatter und Raspel, meist in der Schmiede. Unheilbar ist das Scherengebiß (s. d.). Abnorme Bildungen des Gebisses, namentlich auch der Schneidezähne, kommen gelegentlich bei allen Tieren vor (s. auch Karpfengebiß).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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