Urkundenverbrechen

Urkundenverbrechen

Urkundenverbrechen sind strafbare Handlungen an und mit Urkunden, d. h. solchen Gegenständen, die dazu bestimmt sind, durch ihren Inhalt (durch Worte oder wortvertretende Zeichen) eine rechtlich erhebliche Tatsache zu beweisen. Als wertvollstes Beweismittel genießt die Urkunde von altersher erhöhten strafrechtlichen Schutz. Die moderne Gesetzgebung bestraft: 1) Die Urkundenfälschung, d. h. eine Fälschung (s. d.), die an einer Urkunde vorgenommen wird, oder, wie das deutsche Strafgesetzbuch näher definiert, das Vergehen desjenigen, der in rechtswidriger Absicht eine inländische oder ausländische öffentliche Urkunde oder eine solche Privaturkunde, die zum Beweis von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit ist, verfälscht oder fälschlich anfertigt und von derselben (im Rechtsverkehr) zum Zweck einer Täuschung Gebrauch macht. Das Strafgesetzbuch bedroht (§ 267 und 268) dies Vergehen mit Gefängnisstrafe von einem Tag bis zu fünf Jahren. Als schwere Urkundenfälschung erscheint es, wenn die Absicht des Fälschers darauf gerichtet war, entweder sich selbst oder einem andern einen Vermögensvorteil zu verschaffen, oder einem andern, sei es dem Getäuschten selbst oder einem Dritten, Schaden zuzufügen. Hier tritt, wenn die Urkunde eine Privaturkunde ist, Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren, neben der auf Geldstrafe bis zu 3000 Mk. erkannt werden kann, und, war die Urkunde eine öffentliche, Zuchthaus bis zu zehn Jahren ein, neben dem auf Geldstrafe von 150–6000 Mk. erkannt werden kann. Gleichgeachtet wird es der Urkundenfälschung, wenn jemand (§ 269) einem mit der (echten) Unterschrift eines andern versehenen Papiere durch rechtswidrige Ausfüllung einen urkundlichen Inhalt gibt; oder (§ 270) wissentlich von einer gefälschten oder verfälschten Urkunde zum Zweck einer Täuschung Gebrauch macht. Ein selbständiges Verbrechen oder Vergehen der Urkundenfälschung kennt das österreichische Strafrecht nicht; doch wird jeder Betrug ohne Rücksicht auf den Betrag des Schadens zum Verbrechen, wenn er begangen wird durch Fälschung einer öffentlichen Urkunde; durch Fälschung einer Privaturkunde wird er es nur dann, wenn der verursachte oder beabsichtigte Schade 50 Kronen übersteigt; § 199, Lit. d, und 201, Lit. a. 2) Die Falschbeurkundung, d. h. die Beurkundung einer unwahren, rechtlich erheblichen Tatsache in einer echten Urkunde, ist im allgemeinen straflos gelassen. Doch wird der Beamte, der als öffentliche Urkundsperson eine Falschbeurkundung begeht (Strafgesetzbuch, § 348, Absatz 1), mit Gefängnis von einem Monat bis zu fünf Jahren bestraft. Nichtbeamte können als Teilnehmer strafbar sein. Wer aber vorsätzlich bewirkt, daß der gutgläubige Beamte rechtlich erhebliche Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen in öffentlichen Urkunden, Büchern oder Registern als abgegeben oder geschehen beurkundet, während sie überhaupt nicht oder in anderer Weise oder von einer Person in einer ihr nicht zustehenden Eigenschaft oder von einer andern Person abgegeben oder geschehen sind, macht sich (§ 271) der sogen. intellektuellen Urkundenfälschung schuldig. Die Strafe beträgt Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 300 Mk., und wenn der Täter aus Gewinnsucht oder in Schädigungsabsicht gehandelt hat (§ 272), Zuchthaus bis zu zehn Jahren, daneben nach Ermessen Geldstrafe von 150–6000 Mk., bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu fünf Jahren, daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu 300, bez. 3000 Mk. Dieselben Strafen treffen (§ 273) denjenigen, der von einer solchen Falschbeurkundung zum Zweck einer Täuschung Gebrauch macht. 3) Die Beschädigung, Vernichtung oder Unterdrückung einer fremden Urkunde wird (nach Strafgesetzbuch, § 274, Ziffer 1) mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft, neben dem auf Geldstrafe bis zu 3000 Mk. erkannt werden kann. Strengere Strafe trifft den Beamten (§ 348, Absatz 2), der diese Handlung an einer ihm amtlich anvertrauten oder zugänglichen Urkunde vornimmt. 4) Die Grenzfälschung (s. d.) hat das Reichsstrafgesetzbuch zu Unrecht unter die U. gestellt, da der Grenzstein keine Urkunde im technischen Sinne des Wortes ist. 5) Die Fälschung von Stempeln (s. Stempelverbrechen) sowie von Post- und Telegraphenwertzeichen (s. d.) ist im deutschen Strafgesetzbuch gleichfalls zu den U. gestellt (§ 275, 276). 6) Mildere, aber immer noch Vergehensstrafe trifft denjenigen (§ 277–279), der ärztliche Zeugnisse fälscht, unrichtig ausstellt oder von solchen Zeugnissen Gebrauch macht. 7) Die Fälschung von Legitimationspapieren, wie Pässen, Wanderbüchern, Dienst- und Arbeitsbüchern (§ 363), ist nur mit einer Übertretungsstrafe bedroht. Vgl. Lenz, Die Fälschungsverbrechen, Bd. 1: Die Urkundenfälschung (Stuttg. 1897); Merkel, Die Urkunde im deutschen Strafrecht (Münch. 1902); Rietsch, Handbuch der Urkundenwissenschaft (2. Aufl., Berl. 1904); »Das Urkundwesen der deutschen Staaten« (Veröffentlichung des deutschen Notarvereins, Halle 1907).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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