- Ulm
Ulm, Hauptstadt des württemberg. Donaukreises, am linken Ufer der Donau, die hier links die Blau, rechts die Iller aufnimmt und schiffbar wird, 476 m ü. M., ist mit der gegenüber auf bayrischem Gebiet liegenden Stadt Neuulm (s. d.) eine Reichsfestung ersten Ranges (bis 1866 deutsche Bundesfestung).
Die Werke, 1842–66 angelegt und neuerdings verstärkt, bilden einen kaum in 5 Stunden zu umschreitenden Gürtel von Mauern. Gräben, Wällen und Türmen, um die sich wieder ein Kranz von Vorwerken lagert. Die innere Umwallung ist jetzt gefallen, dagegen die Außenwerke bedeutend verstärkt. Den Kernpunkt bildet die Zitadelle Wilhelmsburg. Die merkwürdigsten Bauwerke der eng und unregelmäßig gebauten Stadt sind: das Rathaus, ein imposanter Bau aus dem 15. und Anfang des 16. Jahrh., neuerdings restauriert (vgl. Ebner, »Das Rathaus in U.«, 1905), mit Malereien an der Fassade, einer großen, kunstreichen Uhr aus dem 16. Jahrh. und wichtigem Archiv, vor dem Rathause der Marktbrunnen (sogen. Fischkasten) von Jörg Syrlin dem Ältern (s. Tafel »Bildhauerkunst VIII«, Fig. 5), die ehemalige Komturei des Deutichen Ordens (jetzt Kaserne), das Kornhaus, der schiefe Metzgerturm etc., besonders aber das prot. Münster, ein großartiger, gotischer Bau in den reinsten Verhältnissen, 1377–1494 erbaut, von 1844–90 restauriert. Es bedeckt einen Flächenraum von 7039 qm. Das fünfschiffige Innere ist 124 m lang und 49 m breit und enthält das 26 m hohe Sakramentshäuschen, ausgezeichnete Holzschnitzereien (Chorstühle von Jörg Syrlin dem Ältern), Glasmalereien etc. und eine berühmte Orgel. Das Mittelschiff erreicht eine Höhe von 41 m, die vier Seitenschiffe von se 23 m, das Chor von 29 m. Der Ausbau des über dem prachtvollen Westportal sich erhebenden Hauptturmes, früher nur bis zu einer Höhe von 99 m fertig und drei Jahrhunderte lang mit einem Schutzdach versehen, begann 1885 und wurde 1890 beendigt. Mit seiner Höhe von 161 m überragt er die Türme des Kölner Doms um 5 m und ist somit der höchste und auch wohl der schönste Kirchturm der Erde. Die oberste, 143 m über dem Erdboden befindliche Galerie gewährt einen herrlichen Ausblick. (Vgl. Pfleiderer, »Das Münster zu U.«, 48 Tafeln etc. mit Text, Stuttg. 1905.) Außer dem Münster hat U. noch 3 evangelische und 4 kath. Kirchen und eine Synagoge. Von neuern Bauwerken sind noch die 1832 vollendete Donaubrücke (Wilhelm Ludwigs-Brücke), die Eisenbahnbrücke und der Saalbau zu nennen. Die Stadt hat ein Denkmal Kaiser Wilhelms I. und ein Kriegerdenkmal. Die Bevölkerung betrug 1905 mit der Garnison (ein Grenadierregiment Nr. 123, zwei Infanterieregimenter Nr. 120 und Nr. 127,3 Eskadrons Ulanen Nr. 19, ein Feldartillerieregiment Nr. 49, eine Abteilung Feldartillerie Nr. 13, ein Bataillon Fußartillerie Nr. 13 und ein Pionierbataillon Nr. 13) 51,820 Seelen, davon 18,425 Katholiken und 613 Juden. U. hat Messing- und Eisengießereien, eine große Hutfabrik, Zementwerke, Baumwollspinnerei und -Weberei, ferner Fabriken für Asphalt, Feuerwehrrequisiten, Turmuhren, Dachpappe, Maschinen, Werkzeuge, musikalische Instrumente (Harmoniums, Orgeln und Pianinos), Korb- und Holzwaren (Ulmer Pfeifenköpfe), Malz etc. Außerdem hat U. bedeutende Bierbrauereien, Gerbereien, Färbereien, Eisen- und Kupferhämmer, Messingwerke, Schiffbau etc., Obst- und Gemüsebau (Ulmer Spargel). Der Handel, unterstützt durch eine Handels- und Gewerbekammer, durch eine Reichsbankstelle (Umsatz 1906: 688,4 Mill. Mk.) und mehrere Bankinstitute, ist sehr lebhaft in Landesprodukten etc. Unter den Märkten sind die Tuch- und Ledermesse, die Frucht-, Vieh- und Pferdemärkte von Bedeutung. Dem Verkehr in der Stadt dient eine elektrische Straßenbahn. Für den Eisenbahnverkehr ist U. Knotenpunkt der bayrischen, bez. württemberg. Staatsbahnlinien Kempten-U. und U.-München-Simbach sowie Bretten-Friedrichshafen, Aalen-U. und U.-Tuttlingen. An Bildungs- und andern öffentlichen Anstalten befinden sich dort: ein Gymnasium, ein Realgymnasium, eine Oberrealschule, eine landwirtschaftliche Winterschule, ein Verein für Kunst und Altertum, eine Stadtbibliothek von 30,000 Bänden, ein Stadttheater, ein Witwen- und Waisenhaus etc. U. ist Sitz der Kreisregierung, eines Oberamts, eines Landgerichts, eines Hauptzollamts, eines Forstamts, eines Generalsuperintendenten, eines Festungsgouverneurs und -Kommandanten sowie des Stabes der 27. Division, der 53. und 54. Infanterie-, der 27. Kavallerie- und der 27. Feldartilleriebrigade. Die städtischen Behörden zählen 22 Magistratsmitglieder und 23 Stadtverordnete. Zum Landgerichtsbezirk U. gehören die acht Amtsgerichte zu Blaubeuren, Chingen, Geislingen, Göppingen, Kirchheim, Laupheim, Münsingen und U.
Geschichte. U., in der Karolingerzeit ein königliches Hofgut mit Pfalz, zuerst 854 erwähnt, unter Ludwig dem Deutschen und seinen Nachfolgern mehrfach Schauplatz von Reichsversammlungen, wird 1027 als Stadt bezeichnet und galt als Hauptstadt des Herzogtums Schwaben. Wegen seiner Anhänglichkeit an die Hohenstaufen 1134 von Heinrich dem Stolzen von Bayern niedergebrannt, erstand U. neu, blühte auf, wurde 1155 reichsunmittelbar und erhielt 1274 dieselben Freiheiten wie Eßlingen. 1247 widerstand U. heldenmütig dem Gegenkönig Heinrich Raspe, trat 1331 in den Schwäbischen Städtebund und beteiligte sich 1376 an der Einung der schwäbischen Städte. An dem Kriege von 1388 war U. als Vorort des Städtebundes beteiligt; auch entbrannten in U. besonders früh und heftig die Kämpfe zwischen den Geschlechtern und den Zünften. Die Grundlage des Ulmer Wohlstandes bildete die Leinwand- und Barchentweberei und der Handel mit ihren Erzeugnissen; die Blütezeit fällt in das 15. Jahrh. Von andern Reichsstädten unterschied sich U. durch den Besitz eines ziemlich großen Landgebiets (von 926 qkm = 17 QM.). Die Reformation fand früh in U. Eingang; 1526 trat die Stadt dem Torgauer, 1530 dem Schmalkaldischen Bund bei, mußte sich aber 1546 Karl V. unterwerfen und nahm 1548 das Augsburger Interim an. Der Vertrag von U. (3. Juli 1620) stellte den Frieden zwischen der Union und Liga her; 14. März 1647 schlossen hier Bayern, Frankreich und Schweden einen Waffenstillstand. 1803 verlor U. die Reichsfreiheit und ward Hauptstadt des bayrischen Oberdonaukreises. 1805 von den Österreichern unter General Mack besetzt, wurde es von Napoleon I. eingeschlossen und kapitulierte 17. Okt. mit 23,300 Mann. Infolge des Wiener Friedens 14. Okt. 1809 kam U. von Bayern an Württemberg, wurde 1842 Bundesfestung ersten Ranges und ist seit 1871 deutsche Reichsfestung. Vgl. G. Fischer, Geschichte der Stadt U. (Stuttg. 1863); Pressel, Ulmisches Urkundenbuch (das. 1873) und U. und sein Münster (Ulm 1877); Schultes, Chronik von U. (Stuttg. 1881, Nachtrag 1886); Haßler, Ulms Kunstgeschichte im Mittelalter (das. 1872); Nübling, Ulms Handel und Gewerbe im Mittelalter (das. 1892–1900, 5 Hefte; kleine Ausg. 1900, 2 Hefte); »Das rote Buch der Stadt U.« (hrsg. von C. Mollwo, das. 1904); Gurlitt, Historische Städtebilder, Bd. 6: Ulm (28 Tafeln mit Text, Berl. 1905); v. Löffler, Geschichte der Festung U. (Stuttg. 1900); Furse, A hundred years ago: battles by land and sea (Lond. 1905); »Beschreibung des Oberamts U.« (hrsg. vom statist. Landesamt, Stuttg. 1897, 2 Bde.); »Verhandlungen des Vereins für Kunst und Altertum in U. und Oberschwaben« (Ulm 1843 ff.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.