- Tokio
Tokio (spr. tōkjō; auch Tokei, spr. tōkē, »Osthauptstadt«), Hauptstadt des japan. Reiches und seit 1868 dauernde Residenz des Mikado, vordem Jedo (Yeddo) genannt, unter 35°40' nördl. Br. und 139°47' östl. L., am nordwestlichen Ende der seichten Tokiobucht (s. Kärtchen), zu beiden Seiten der Mündung des Flusses Sumidagawa, über den zahlreiche Brücken führen, durchschnitten von vielen Kanälen, Ausgangspunkt von Bahnen nach vier Richtungen, 5 m ü. M., hat eine Jahrestemperatur von 13,6° (Maximum 34,2, Minimum -7,6°), Niederschläge 1287 mm, Frost 98 Tage.
Die Stadt, die eine ungeheure, zum großen Teil nicht bebaute und mit Parken und Gärten bedeckte Fläche einnimmt (10,4 km von O. nach W., 8,6 km von N. nach S.), wird durch den Fluß in einen kleinern östlichen Teil und einen größern westlichen, den eine Mauer bis zur Tokiobucht umgibt, geschieden, und zerfällt in drei Abschnitte: Siro (die kaiserliche Zitadelle im Mittelpunkt), Soto-Siro (»außerhalb der Zitadelle«) und Midzi (»die Außenteile«), früher der Sitz der Daimyos, jetzt der Industrie. Die alten Trennungsmauern zwischen diesen Stadtteilen sind jetzt größtenteils niedergelegt worden. Noch weiter außerhalb sind Viertel in meist europäischer Bauart entstanden. Das O-Shiro oder Schloß mit dem Palast des Kaisers (1889 neu erbaut) liegt auf einem niedrigen Hügel, daneben das Schatzamt und andre Ministerien und prachtvolle Gärten. Der umgebende Soto-Siro besteht meist aus niedrigen, aber zierlichen Holzhäusern, die aber wegen der häufigen Feuersbrünste mehr und mehr durch Backsteinbauten, namentlich in den Hauptstraßen und bei Speichern, ersetzt worden sind. Unter den seltenen großartigern Gebäuden sind zu nennen einige buddhistische Tempel mit kunstvoller, vergoldeter Holzschnitzerei, Klöster, Grabdenkmäler der letzten Schôgune in Shiba und Ujeno, ein Museum in schönem Park, im westlichen Teil die Residenzen der Gesandten von Deutschland, Rußland und England sowie der Palast Hamagotan, der für fremde fürstliche Gäste des Kaisers bestimmt ist. Die Straßen sind regelmäßig, breit und sauber, zum Teil von Straßenbahnen durchzogen. T. zählte in der Mitte des 19. Jahrh. bereits 11/2 Mill. Einw. (darunter 800,000 zum Gefolge der Daimyos gehörig), verfiel aber während der Bürgerkriege, erholte sich dann wieder schnell und hatte 31. Dez. 1903: 1,818,655 Einw.
T. ist Sitz der Regierung, des höchsten Gerichtshofs, einer Division der Armee, einer Universität (1905/06: 280 Professoren, 4423 Studenten), einer höhern Normalschule, Blinden- und Taubstummenanstalt, Musikschule, Handelsakademie, Gewerbeschule, Ackerbau- und Forstschule u. a., einer öffentlichen Bibliothek, vieler wissenschaftlicher Gesellschaften, des trigonometrischen, hydrographischen und geologischen Dienstes. Es erscheinen hier etwa 400 Zeitungen und Zeitschriften, darunter auch eine deutsche u. die »Transactions of the Asiatic Society of Japan«. Die sehr bedeutende Industrie erzeugt namentlich Seiden- und Backwaren, Fayence, Porzellan, Email, es bestehen große Schiffswerften und Maschinenbauwerkstätten, und der Handel mit dem Inland ist sehr bedeutend, während der Fremdhandel, dem T. seit 1869 geöffnet ist, wegen der Seichtheit von Bucht u. Fluß meist über Yokohama geht. Der Hafen von T. ist Schinagawa. T. bildet mit seiner Umgebung ein eignes Ken von 1940 qkm mit 21/2 Mill. Einwohnern. – T. wurde 1456 von Ota Dôkwan zur Hauptstadt eines Daimyats erhoben, kam aber erst zu Bedeutung, als Jyeyasu die Stadt und Umgebung 1590 erhielt und ein stark befestigtes Schloß baute, von dem aus seine Nachfolger Japan beherrschten. Die Stadt behielt ihren uralten, auf die Ainosprache zurückzuführenden Namen Yeddo (= Flußmündung) bis 1868, wo sie zur Residenz des Mikado erhoben wurde. Seit dem großen Brande von 1881 mehren sich die relativ feuersichern Gebäude. 1900 wurde der Bau einer Stadtbahn begonnen.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.