- Strafaufschub
Strafaufschub (Aufschub der Strafvollstreckung), die vorläufige Aussetzung der Vollstreckung einer rechtskräftig zuerkannten Strafe. Solange ein Strafurteil noch nicht rechtskräftig ist, d. h. solange es noch durch ein ordentliches Rechtsmittel, wie Berufung oder Revision, angefochten werden kann, ist die Strafe nicht vollstreckbar. Wird innerhalb der dazu gesetzten Frist ein solches Rechtsmittel eingelegt, so kann die erkannte Strafe nicht vollstreckt werden, bis über das Rechtsmittel entschieden ist (sogen. Suspensiveffekt des Rechtsmittels). Ist aber eine Strafe rechtskräftig erkannt, so ist sie zu vollstrecken, doch kann nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 488) ein S. gewährt werden, wenn durch die sofortige Vollstreckung dem Verurteilten oder seiner Familie erhebliche, außerhalb des Strafzweckes liegende Nachteile erwachsen würden. Der S. darf aber in solchen Fällen den Zeitraum von vier Monaten nicht übersteigen; er kann an eine Sicherheitsleistung oder an andre Bedingungen geknüpft werden. (Nach der österreichischen Strafprozeßordnung kann ein S. aus gleichem Grunde nur bezüglich einer Freiheitsstrafe von höchstens sechsmonatiger Dauer und nur ausnahmsweise für eine Zeit von mehr als sechs Wochen bewilligt werden [§ 401].) Die Gewährung eines vier Monate übersteigenden Strafaufschubes fällt in das Gebiet der Begnadigung. In einigen andern Fällen muß ein S. eintreten; so, wenn der Verurteilte eine Freiheitsstrafe zu verbüßen hat und in Geisteskrankheit verfällt, ebenso bei andern Krankheiten, wenn von der Strafvollstreckung eine nahe Lebensgefahr für den Verurteilten zu besorgen steht, oder wenn dieser sich in einem körperlichen Zustand befindet, bei dem eine sofortige Vollstreckung mit der Einrichtung der Strafanstalt unverträglich ist (Strafprozeßordnung, § 487). Bei Todesurteilen tritt insofern stets ein S. ein, als sie nicht eher vollstreckt werden dürfen, als bis die Entschließung des Staatsoberhauptes, und in denjenigen Sachen, in denen das Reichsgericht in erster Instanz erkannt hat, die Entschließung des Kaisers ergangen ist, von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch machen zu wollen. Auch den zu geringen Freiheitsstrafen Verurteilten kann S. gewährt werden, damit sie durch gute Führung während der ihnen vergönnten Frist (sogen. Bewährungsfrist) eventuell eine Begnadigung sich verdienen können. Dies ist der Gedanke der sogen. bedingten Begnadigung, wie sie 1896 in fast allen deutschen Bundesstaaten eingeführt worden ist (vgl. auch Bedingte Verurteilung). An schwangern oder geisteskranken Personen dürfen Todesurteile nicht vollstreckt werden. Durch einen Antrag auf Wiederaufnahme (s. d.) des Verfahrens wird die Vollstreckung des Urteils nicht gehemmt. Das Gericht kann jedoch einen S. oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.