- Standesherren
Standesherren (Mediatisierte), die Mitglieder derjenigen fürstlichen und gräflichen Häuser, die vormals reichsunmittelbar waren und Reichsstandschaft besaßen, deren Gebiet aber bei Auflösung des frühern Deutschen Reiches andern deutschen Staaten einverleibt wurde (s. Medialisieren); im engern Sinne die Häupter dieser Familien. Die zu dem vormaligen Deutschen Bunde vereinigten Regierungen gaben den S. in der Bundesakte (Art. 14) die Zusicherung, daß diese fürstlichen und gräflichen Häuser zu dem hohen Adel Deutschlands gerechnet werden sollten, und daß ihnen das Recht der Ebenbürtigkeit (s. d.) verbleiben solle. Spätere Bundesbeschlüsse sicherten den Fürsten das Prädikat »Durchlaucht« und den Häuptern der vormals reichsständischen gräflichen Familien das Prädikat »Erlaucht« zu. Außerdem wurden den Mediatisierten folgende Rechte gewährleistet: die unbeschränkte Freiheit, ihren Aufenthalt in jedem zum Bunde gehörenden oder mit demselben in Frieden lebenden Staate zu nehmen; ein Vorrecht, das mit der nunmehrigen allgemeinen Freizügigkeit gegenstandslos geworden ist. Ferner sollten die Familienverträge der S. aufrecht erhalten werden, indem den letztern zugleich die Befugnis zugesichert ward, über ihre Güter- und Familienverhältnisse, vorbehaltlich der Genehmigung des Souveräns, gültige Bestimmungen zu treffen. Hierüber sind jetzt die Landesgesetze der einzelnen deutschen Staaten maßgebend. Die den S. weiter für sich und ihre Familien garantierte Befreiung von der Wehrpflicht ist auch in dem Bundes- (Reichs-) Gesetz vom 9. Nov. 1867, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienst, anerkannt, ebenso Befreiung von der Quartierleistung im Frieden und ihr Recht auf Aufträge (s. d.), dagegen ist ihnen der privilegierte Gerichtsstand sowie die Ausübung der bürgerlichen Rechtspflege und der Strafgerichtsbarkeit durch das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Jan. 1877 entzogen worden. Durch Art. 58 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch bleiben in Ansehung der Familienverhältnisse und der Güter der standesherrlichen und der ihnen bis 1. Jan. 1900 landesrechtlich gleichgestellten Häuser die Vorschriften der Landesgesetze, bez. der Hausverfassungen nach Maßgabe der Landesgesetze unberührt. Übrigens hatte der Deutsche Bund nachmals auch verschiedenen Familien, die nicht zu den Mediatisierten im Sinne der Bundesakte gehörten, die Befugnisse der S. verliehen. Dies bezog sich jedoch nicht auf die Grundbesitzungen der Betreffenden, die damit nicht zu einer sogen. Standesherrschaft wurden, sondern nur auf die persönliche Stellung, weshalb man in solchen Fällen von standesherrlichen Personalisten sprach. Hervorzuheben ist noch, daß den S. regelmäßig in den Staatsverfassungen der deutschen Länder die erbliche Mitgliedschaft in der Ersten Kammer eingeräumt ist. In Schlesien werden die adligen Besitzer einer Anzahl von Gütern (sogen. freie Standesherrschaften) gleichfalls S. genannt. Diese haben im preußischen Herrenhaus erblichen Sitz und Stimme. Seit 1864 besteht der Verein der deutschen Standesherren, der die Wahrung der gemeinsamen Rechte und Interessen der deutschen S. bezweckt und die einzelnen S. in der Verteidigung ihrer standesherrlichen Rechte unterstützt. Gegenwärtig gehören ihm 70 Chefs standesherrlicher Häuser an, die sich alljährlich in Frankfurt a. M. versammeln; Präsident des Vereins ist Fürst Ernst zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg. Der Verein hat zahlreiche Veröffentlichungen über die gegenwärtigen Rechte der S. veranlaßt, so: Rehm, Prädikat- und Titelrecht der deutschen S. (Münch. 1905), Loening, Die Autonomie der standesherrlichen Häuser Deutschlands nach dem Rechte der Gegenwart u. u. Vgl. Heffter, Sonderrechte der souveränen und der mediatisierten, vormals reichsständischen Häuser Deutschlands (Berl. 1871).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.