- Spohr
Spohr, Ludwig, Violinspieler und Komponist, geb. 5. April 1784 in Braunschweig, gest. 22. Okt. 1859 in Kassel, das älteste Kind eines Arztes, der 1786 als Physikus nach Seesen am Harz versetzt wurde, zeigte früh musikalisches Talent und wurde mit zwölf Jahren nach Braunschweig geschickt, wo ihn Kunisch und Maucourt im Violinspiel und Hartung in der Komposition unterrichteten. Bereits mit 15 Jahren wurde er vom Herzog von Braunschweig zum Kammermusikus ernannt und 1802 zu weiterer Ausbildung Franz Eck übergeben, den er auf einer Kunstreise nach Rußland begleitete; 1803 kehrte er nach Braunschweig zurück. Spohrs Ruf als ausgezeichneter Violinvirtuose verbreitete sich nun infolge einiger Kunstreisen so rasch, daß er schon 1805 die Konzertmeisterstelle in Gotha erhielt. Hier verheiratete er sich mit der Harfenvirtuosin Dorette Scheidler. 1813 bis 1815 wirkte er in Wien als Kapellmeister des Theaters an der Wien, unternahm dann aber eine Kunstreise auch nach der Schweiz, Italien und Holland, bis er im Winter 1817 die Kapellmeisterstelle am Theater in Frankfurt a. M. übernahm. Hier brachte er 1818 seine in Wien geschriebene und zuerst 1816 durch Weber in Prag ausgeführte Oper »Faust« und 1819 »Zemire und Azor« zur Ausführung, die beide enthusiastischen Beifall fanden; gleichwohl verließ S. schon im September d. J. Frankfurt und begab sich von neuem auf Kunstreisen nach Belgien, Paris und 1820 nach London. Nach kurzer Rast in Dresden akzeptierte er die zuerst Weber offerierte Hofkapellmeisterstelle in Kassel und trat im Januar 1822 in sein neues Amt ein. Größere Virtuosenreisen unternahm er von nun an nicht mehr; dagegen entfaltete er die ersprießlichste Tätigkeit, in sofern er das Kasseler Orchester zu einer zuvor nie gekannten Höhe hob und einen Gesangverein für Oratorienmusik gründete. Nicht minder bedeutend war seine Tätigkeit als Lehrer und Komponist. Er wurde das Haupt einer Violinschule, wie sie Deutschland seit Johann Stamitz nicht besessen, und von allen Teilen Europas strömten ihm die Schüler zu. Gleichzeitig entwickelte er eine erstaunliche Produktionskraft auf allen Gebieten der Komposition und betätigte sich als Dirigent zahlreicher Musikfeste in Deutschland und England. Nach Verlust seiner Gattin (1834) ging er eine zweite Ehe mit der Klavierspielerin Marianne Pfeiffer ein (gest. 4. Jan. 1892 in Kassel). Leider wurde sein Alter durch ein unerquickliches Verhältnis zu seinem Landesherrn und dessen Ministern verbittert. 1857 wurde er gegen seinen Wunsch und mit teilweiser Entziehung seines Gehalts pensioniert. Auf dem Gebiete der dramatischen Musik wurde er neben K. M. v. Weber und Marschner der Hauptvertreter der romantischen Oper, wenn er auch hinsichtlich des szenisch Wirksamen hinter diesen beiden zurücksteht und infolgedessen seine Opern, mit Ausnahme von »Jessonda«, noch zu seinen Lebzeiten von den deutschen Bühnen verschwanden. Auch seine Oratorien: »Die letzten Dinge«, »Der Fall Babylons« u. a., sind trotz bedeutender Züge heute sämtlich vom Repertoire der Konzertinstitute verschwunden. Am höchsten stehen seine Instrumentalwerke, sowohl für Orchester als für Kammermusik, unter den erstern die Symphonien in C moll und »Die Weihe der Töne«, unter den letztern die Doppelquartette, Quintette und Quartette für Streichinstrumente. Den größten und verdientesten Erfolg aber hatten fortdauernd die 15 Violinkonzerte, namentlich das siebente, achte (»in Form einer Gesangsszene«) und neunte. Auch seine Violinduette und seine große Violinschule stehen noch heute an klassischem Wert unübertroffen da. Vgl. Spohrs »Selbstbiographie« (Götting. 1860–61, 2 Bde.; bis 1838 von ihm selbst geschrieben, bis zu seinem Tode von den Angehörigen ergänzt); v. Wasielewski, Die Violine und ihre Meister (4. Aufl., Leipz. 1904); Malibran, Louis S., sein Leben und Wirken (Frankf. a. M. 1860); Schletterer, Louis S. (Leipz. 1881).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.