- Schilddrüse
Schilddrüse (Glandula thyreoidea), bei allen erwachsenen Wirbeltieren, mit Ausnahme der Leptokardier, eine geschlossene Drüse in der Halsgegend. Beim Menschen (s. Tafel »Eingeweide des Menschen I«, Fig. 2) liegt sie dicht vor dem Bogen des Ringknorpels und dem obern Ende der Luftröhre, mit der sie durch straffes Zellgewebe verbunden ist. Sie ist rötlichbraun, sehr reich an Blutgefäßen, hat beim Erwachsenen ungefähr den Umfang eines Hühnereies, ein Gewicht von reichlich 30 g und die Gestalt eines mit seinen Hörnern nach oben gerichteten Halbmondes. Aus vergleichend-anatomischen Untersuchungen ergibt sich, daß sie ein rudimentäres Organ vorstellt. Im Embryo entsteht sie als ein Fortsatz der Schlundhöhle, der indessen sich rasch davon abschließt und zur Drüse ausbildet. Diese ist unpaar oder paar; im letztern Fall werden die beiden Massen oft durch eine Querbrücke (isthmus) miteinander verbunden, so beim Menschen. Die physiologische Bedeutung der S. ist noch nicht klargestellt. Das Absonderungsprodukt der S. ist eine sehr eiweißreiche Substanz (Kolloid), die in die Lymphgefäße ergossen wird und aus ihnen in das Blut zu gelangen scheint. Fortnahme der Drüse hat bei Tieren schwere Krankheitserscheinungen zur Folge, die mit den Symptomen einer Vergiftung Ähnlichkeit haben: Störungen in der Empfindung, Muskelsteifigkeit, abnorme Herz- und Atemtätigkeit, Krämpfe, schließlich Tod. Beim Menschen treten nach völliger Ausrottung der S. (bei der Kropfoperation) ähnliche Erscheinungen, hauptsächlich auch psychische Störungen (Verblödung) ein (kachexia strumipriva). Bleibt ein, wenn auch nur kleiner Teil der Drüse erhalten, so fehlen diese Symptome. Sie ähneln auffallend dem Kretinismus und dem Myxödem (s. d.), Krankheitszuständen, bei denen Ausbildung und Funktion der S. mangelhaft ist. Eine abnorm starke oder krankhaft veränderte Funktion der S. liegt wohl der Basedowschen Krankheit zugrunde. Hierbei besteht die Funktion der Drüse in der Absonderung einer Substanz, die, in das Blut aufgenommen, dem Körper unentbehrlich ist. Baumann hat als solche eine Jodverbindung entdeckt, das Thyreojodin (Jodothyrin). Gibt man Kranken mit entarteter S. oder nach ihrer operativen Entfernung frische Schilddrüsensubstanz von Tieren oder aus solcher hergestelltes Thyreojodin, so erzielt man überraschende Heilwirkungen. Bei an Basedowscher Krankheit Leidenden hat man durch operative Entfernung eines Teiles der vergrößerten S. gute Resultate erzielt. Da das Thyreojodin eine Steigerung des Stoffwechsels erzeugt, so hat man es auch gegen Fettsucht angewendet, doch ist hierbei große Vorsicht ratsam. Die Kenntnis der Wirkungen der S. war der Ausgangspunkt für die Entwickelung der neuern Organtherapie (s. d.). Vgl. Oswald, Über die chemische Beschaffenheit und die Funktionen der S. (Straßb. 1901); Lindstädt, Neuere Forschungen über die Verrichtung der S. (2. Aufl., Berl. 1904).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.