- San Marīno
San Marīno, Republik in Mittelitalien, der kleinste Staal Europas, umfaßt ein Areal von 61 qkm mit einer Bevölkerung von 11,002 Seelen (180 auf 1 qkm) und bildet einen hügeligen Landstrich zwischen den Provinzen Pesaro e Urbino und Forlt, der von Ausläufern des Etruskischen Apennin (Monte Titano 748 m) durchzogen und von den Küstenflüssen Ansa und Marano und dem zur Marecchia gehenden Flüßchen San Marino bewässert wird. Der Boden ist nicht sehr fruchtbar; Produkte sind: Getreide, Wein, Kastanien und andres Obst, Seide, Holz, Futtergewächse und Steine. Hauptbeschäftigung ist Ackerbau und Viehzucht; die gewerbliche Industrie ist unbedeutend. Was die Verfassung des Ländchens anbelangt, so beste ist der souveräne Große Rat (Generale Consiglio Principe), der mit der gesetzgebenden Gewalt betraut ist, aus 60 Mitgliedern, die (seit 1270) auf Lebenszeit, und zwar zu je einem Drittel aus dem adligen Patrizierstand, den städtischen Bürgern und den ländlichen Grundeigentümern, gewählt wurden. Am 25. März 1906 ist von der (seit 1560 nicht mehr zusammenberufenen) Versammlung der Familienhäupter eine Verfassungsänderung beschlossen worden. Der Große Rat wird nunmehr von ihnen alle drei Fahre neu gewählt. Die vollziehende Gewalt besitzen zwei Capitani Reggenti, die vom Großen Rat aus seiner Mitte (der erste aus den Adligen, der zweite aus den Bürgern und ländlichen Grundbesitzern) gewählt werden. Jeder von ihnen bleibt sechs Monate im Amte. Der vom Großen Rate gewählte Rat der Zwölf hat für die Förderung der Volkswirtschaft Sorge zu tragen und bildet zugleich das oberste Straf- und Zivilgericht. Sonst ist die Staatsverwaltung unter zwei Staatssekretäre verteilt, neben denen ein Generalschatzmeister, ein Oberkommandant der Miliz und zwei für drei Jahre gewählte auswärtige Richter (einer für die Straf- und einer für die Zivilrechtspflege) bestellt sind. 1906/07 sind die Staatseinnahmen auf 540,833 und die Staatsausgaben auf 537,720 Lire veranschlagt; eine Staatsschuld existiert nicht. Die Miliz, die aus den diensttauglichen Bewohnern zwischen dem 18. und 60. Lebensjahre gebildet wird, besteht aus 9 Kompanien, die 38 Offiziere und 950 Mann zählen. Außerdem besteht eine Garde des Großen Rates und eine Gendarmerieabteilung. Nach der mit Italien 22. März 1362 abgeschlossenen und 27. März 1872 erneuerten Konvention steht die Republik unter dem Schutze des Königreichs Italien, das auch das Zoll-, Post- u. Telegraphenwesen besorgt. In kirchlicher Beziehung gehört das Ländchen zur Diözese von Montefeltro. Seit 1359 besteht ein Ritterorden (mit den fünf Graden der Ehrenlegion). Das Wappen zeigt in blauem Schilde drei mit silbernen Federn besteckte, gezinnte silberne Türme mit roten Öffnungen, die sich auf je einem Felsen erheben (s. Tafel »Wappen II«). Die Landesfarben sind Blau und Weiß.
Die Hauptstadt S., am Mon le Titan o, 20 km südwestlich von Rimini gelegten, mit dem sie durch eine neue Straße verbunden ist, hat Ringmauern mit Turm en, enge, steile Straßen, 5 Kirchen, eine hochgelegene Burg, einen neuen Regierungspalast (in italienisch-gotischem Stil seit 1894 errichtet), ein Lyzeum, ein von Borghesi (s. d.), dem 1904 ein Denkmal errichtet wurde, angelegtes Museum, eine Sparkasse, ein Spital und ca. 1600 Ein w. unterhalb der Stadt liegt die Vorstadt Borgo di S., mit 2 von Arkaden umgebenen Plätzen, 3 Kirchen und 400 Ein w.
Geschichte. Die Gründung der Stadt wird von der Legende auf den heil. Marinus zurückgeführt, der im 4. Jahrh. aus Dalmatien ein gewandert sein soll. Sie gehörte zum Exarchat von Ravenna, dann zum fränkisch-langobardischen Reiche, gewann im spätern Mittelalter munizipale Freiheit und trat um die Mitte des 13. Jahrh. zu den Grafen von Montefeltro (s. d.) und Urbino in ein freundschaftliches Verhältnis, das allmählich zu einem förmlichen Schutzbündnis ward. Diesem verdankt S. seine Unabhängigkeit. Als Papst Urban VIII. 1631 von dem Herzogtum Urbino Besitz nahm und es dem Kirchenstaat einverleibte, erkannte er die Selbständigkeit der Republik an und verlieh ihr Zollfreiheit für ihre Ausfuhr nach seinen Staaten. Auch Napoleon I. schonte S., das nach der Restauration S. ein freier Staat unter dem Schutze des Papstes blieb. 1849 flüchtete sich Garibaldi nach der Übergabe Roms mit dem Rest seines Heeres nach S. und entkam von hier während der Kapitulationsverhandlungen mit den Österreichern. Da auch andre Flüchtlinge aus dem Kirchenstaat sich hierhin wandten, deren Verbannung oder Auslieferung die päpstliche Regierung verlangte, rückten im Juni 1851 mit Zustimmung der Regierung der Republik 800 Österreicher von Ancona und 200 päpstliche Gendarmen und Soldaten in S. ein; die politischen Verbrecher erhielten Pässe ins Ausland, die gemeinen wurden an die Gerichte des Kirchenstaates abgeliefert. Von den staatlichen Umwälzungen, die 1859 und 1860 ganz Italien betrafen, wurde S. nicht berührt, und seine Selbständigkeit und republikanische Verfassung blieben bestehen. Des 1862 mit Italien abgeschlossenen Schutzvertrags wurde schon oben gedacht. Vgl. Delfico, Memorie della repubblica di S. (Mail. 1804, 2 Bde.; Flor. 1843); Bent, A freak of freedom, or the republic of S. (Lond. 1879); Hauttecoeur, La république de S. (Brüss. 1894); Amico, Die Republik S. (Augsb. 1899); Montalbo u.a., »Dizionario bibliografico-iconografico della repubblica di S. M.« (Rom u. Par. 1898); Ricci, La repubblica di S. M. (Bd. 5 des Sammelwerks »Italia artistica«, Bergamo 1903); Daguin, La république de Saint-Marin, ses institutions et ses lois (Par. 1904); Malagola, ll cardinale Alberoni e la repubblica di S. (Bologna 1886) und L'archivio governativo di repubblica di S. (das. 1891).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.