Rieselfelder

Rieselfelder

Rieselfelder, Einrichtungen zur Aufnahme und Beseitigung von Abwässern, besonders von Stadtlauge, welche die Exkremente und Gebrauchswässer der Bevölkerung, verdünnt mit großen Wassermengen, enthält. Bunzlau hat ein Rieselfeld seit 1559, und englische R., namentlich die der Stadt Edinburg, sind seit 1760 im Betrieb. Deutschland besitzt größere Anlagen bei Berlin, Breslau und Danzig, Frankreich nur bei Paris. Die wissenschaftliche Grundlage der Benutzung des Bodens als entgiftendes Filter für die Abfälle des menschlichen Haushalts wurde 1868 durch eine englische Kommission geschaffen, und jetzt weiß man, daß die Zersetzung der organischen Substanz im Boden wesentlich durch Bakterien herbeigeführt wird. Eine Reinigung von Spüljauche durch Bodenfiltration kann erreicht werden, wenn die Abflußwässer von 400–500 Personen (40–50 cbm täglich), event. verdünnt und vermehrt durch Meteorwasser, auf 1 Hektar eines geeigneten Bodens so geleitet werden, daß eine intermittierende Filtration stattfindet, und wenn die Zufuhr von Luft zum Boden durch Drainage möglichst begünstigt wird. Unter solchen Umständen wird ein von organischem Stickstoff und Kohlenstoff ziemlich freies Drainwasser gewonnen. Für die Berliner R. wird mindestens 1 Hektar für 250 Personen verlangt. Berlin besitzt 8000 Hektar Rieselland (bei 2 Mill. Einw.), die täglich im Durchschnitt 240,000 cbm, also 30 cbm auf 1 Hektar aufnehmen. Die Technik der R. richtet sich nach der Menge des zugeführten Wassers, die nach Tageszeit und Witterung schwankt. Ferner gibt es Anlagen mit dauernder und solche mit vorübergehender oder ohne entsprechende Einrichtung. Manche R. sollen auf kleiner Fläche große Mengen Spüljauche reinigen, ohne Rücksicht auf landwirtschaftliche Nutzung, andre bezwecken auch die Verzinsung der Anlage, und dazu kommen Anlagen von Privaten, die Spüljauche nach Bedarf aus angrenzenden städtischen Druckrohrleitungen entnehmen und die Verwendung der Jauche lediglich ihren landwirtschaftlichen Zwecken anpassen. Alle R. werden drainiert; man benutzt weitere Röhren als bei gewöhnlicher Drainage und legt die Stränge enger, um reichlicher Wasser ab- und Luft zuzuführen. Als Sicherheitsanlagen für abnorm große Niederschläge und zur Einstauung von Spüljauche in den Jahreszeiten, wo die Vegetation ruht, benutzt man drainierte Bassins von 2–10 Hektar, die mit einem etwa 1 m hohen Wall umgeben und im Frühjahr nach dem Abtrocknen gepflügt und mit Getreide, Raps etc. bestellt werden. Auf den Rieselfeldern mit landwirtschaftlicher Nutzung kann bei stark geneigtem Gelände für Grasproduktion Hangbau, wie auf vielen Kunstwiesen, benutzt werden. Schwach geneigtes Gelände wird in flache Terrassen umgewandelt und ebenfalls zum Grasbau oder bei gleichzeitiger Furchenbewässerung auf den Terrassen für den Anbau von Gemüse und Futterrüben benutzt. Auf ebenen Flächen benutzt man Beetbau mit breitern Beeten als beim Kunstwiesenbau. Endlich wird auch Stauberieselung angewandt, eine Kombination der Berieselung mit zeitweiser Überstauung. Bevor die Spüljauche in den Verteilungsgraben gelangt, läßt man sie ein kleines aufgedämmtes Erdbassin passieren, das sie sehr langsam unter Ablagerung der gröbsten Schlammteile durchströmt. Die Rentabilität der R. ist von vielen Bedingungen abhängig, die großenteils lokaler Natur sind. Wenn auf möglichst kleiner Fläche möglichst viel Spüljauche so weit gereinigt werden soll, daß das Drainwasser ohne Anstand in einen Fluß abgelassen werden kann, ist die Verzinsung des Anlagekapitals nicht zu erwarten. Dagegen darf für R. kleiner und mittelgroßer Städte bei landwirtschaftlicher Nutzung auf eine Verzinsung von 3 Proz. gerechnet werden, zumal wenn die Felder nicht zu weit entfernt von der Stadt liegen und die eiserne Druckrohrleitung, die sich auf etwa 100,000 Mk. für 1 km berechnet, nicht zu große Summen verschlingt. Bei großen Städten verringert die Schwierigkeit des Absatzes der auf den Rieselfeldern erzielten Früchte leicht die Rentabilität der Anlage. R. bilden keine Einnahmequelle für die Städte, sie sind ein aus hygienischen Rücksichten gebotenes finanzielles Übel. Bei rationeller Anlage und gutem Betrieb der R. kann von einem gesundheitsschädlichen Einfluß derselben auf die Bewohner und Nachbarn keine Rede sein. Das Drainwasser, das aus den Rieselfeldern abfließt, ist so rein, daß in demselben Forellen und andre Edelfische üppig gedeihen. (Man hat bei Berlin von 1 Hektar Teichfläche Fischwerte bis zu 800 Mk. erzielt.) Die Ausdünstungen der R. sind nicht stärker als die eines mit Stallmist oder Latrineninhalt gedüngten Feldes, niemals konnte ein schädlicher Einfluß der R. auf die Bewohner nachgewiesen werden. Berlin hat auf seinen Rieselfeldern Rekonvaleszentenanstalten und Krankenhäuser eingerichtet, und niemals haben diese durch die R. zu leiden gehabt. Vgl. Kaftan, Die systematische Reinigung und Entwässerung der Städte etc. (Wien 1880); Hobrecht, Beiträge zur Beurteilung des gegenwärtigen Standes der Kanalisations- und Berieselungsfrage (Berl. 1883); Gerson, Vogel und Weyl, Die Schicksale der Fäkalien in kanalisierten und nicht kanalisierten Städten. Rieselfelder (Jena 1896); Hagen, Die Berliner R. (Berl. 1903); Backhaus, Landwirtschaftliche Versuche auf den Rieselgütern der Stadt Berlin (das. 1905).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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