Potential [2]

Potential [2]

Potential (das), die Wirkungsfähigkeit oder potentielle Energie (Spannung), welche die in einem Punkte des Raumes konzentriert gedachte Masseneinheit besitzt vermöge der abstoßenden oder anziehenden Kräfte, die von andern im Raume befindlichen Massen auf jenen Massenpunkt ausgeübt werden. Die hierbei in Betracht kommenden, fernwirkenden Kräfte sind die allgemeine Massenanziehung oder Gravitation, ferner die elektrische und magnetische Anziehung und Abstoßung (s. Elektrisches Potential, Magnetische Kraft). In allen drei Fällen ist die Kraft F, die zwischen zwei mit den Massen m und m' beladenen Punkten wirkt, dem Produkte der Massen direkt und dem Quadrat ihrer Entfernung r umgekehrt proportional, oder es ist, bei geeigneter Wahl der Masseneinheit, F = mm'/r2 (Newtons Gravitationsgesetz, Coulombs Gesetze der elektrischen und magnetischen Abstoßung und Anziehung). Den von dem Einfluß der wirksamen Massen beherrschten Bezirk nennt man das Feld und die in einem seiner Punkte auf die Masseneinheit wirkende Kraft die daselbst vorhandene Feldstärke. Das Feld erstreckt sich eigentlich bis in unendliche Ferne, wo die Kraft Null ist, kann aber da, wo die Wirkung wegen zu großer Entfernung unmerklich ist, als begrenzt gedacht werden.

Im Bereich eines abstoßend wirkenden Massenpunktes m befinde sich in der Entfernung r die Masse 1; indem die abstoßende Kraft das letztere Massenteilchen bis zur äußersten Grenze des Feldes zurücktreibt, leistet sie eine Arbeit von bestimmter Größe, und ebenso groß ist die Arbeit, die aufgewendet werden muß, um das Teilchen von der Grenze des Feldes an seine ursprüngliche Stelle zurückzuschaffen. Diese Arbeit ist das Maß der Wirkungsfähigkeit oder des Potentials, das der Masseneinheit vermöge ihrer Lage in diesem Punkte des Feldes zukommt; das P. ist also die Arbeit, die verrichtet würde bei Überführung der Masseneinheit aus unendlicher Entfernung in ihre wirkliche Lage. Da das Teilchen in seiner ursprünglichen Lage die Entfernung r von der Masse m haben sollte, so ergibt sich, wenn man diese Arbeit berechnet, dafür der Wert m/r, und es wird demnach das P. V in der Entfernung r durch den Ausdruck V = m/r dargestellt. Für alle Punkte des Raum es, die von m gleichweit abstehen, hat hiernach das P. den nämlichen Wert. Beschreibt man daher um m als Mittelpunkt Kugelflächen mit immer größern Halbmessern, so ist jede derselben eine Fläche gleichen Potentials (Äquipotentialfläche) oder Niveaufläche; auf jeder derselben hat das P. ringsum denselben Wert, nimmt aber ab, wenn man nach außen hin von einer zur andern fortschreitet. Beschränkt man die Betrachtung auf eine Ebene, so treten an ihre Stelle die Äquipotentialkurven, die Durchschnitte der Niveauflächen mit dieser Ebene. Wirken beliebig viel Massenpunkte m, m', m''... aus den Entfernungen r, r', r''... auf einen Punkt mit der Masse 1, so ist das P. in diesem Punkte gleich der Summe

Tabelle

Einen mit Masse stetig erfüllten Körper denkt man sich in unendlich viele unendlich kleine Massenteilchen (dm) zerlegt; das P. V erscheint alsdann als eine Summe aus unzählig vielen verschwindend kleinen Gliedern oder als ein Integral V = ʃ(dm)/r, dessen Wert durch Integralrechnung ermittelt wird. Für eine mit gleichartiger Masse erfüllte Kugel oder Kugelschale z. B. ergibt sich, daß sie auf einen äußern Punkt gerade so wirkt, als wenn die gesamte Masse im Kugelmittelpunkt konzentriert wäre.

Der Ausdruck V ist nur von der räumlichen Lage des Feldpunktes abhängig, auf den er sich bezieht, oder er ist, wie man sagt, eine Funktion dieser Lage; man bezeichnet daher den Ausdruck V auch als Potentialfunktion. Wird, wie gewöhnlich, die Lage des Punktes durch seine drei rechtwinkligen Raumkoordinaten x, y, z (s. Koordinaten) angegeben, so erscheint V als Funktion der drei voneinander unabhängigen veränderlichen Größen x, y und z.

Bestimmt man eine Reihe von Feldpunkten so, daß V einen konstanten Wert C behält, so bilden diese Punkte in ihrer stetigen Aufeinanderfolge eine Fläche gleichen Potentials oder eine Niveaufläche; die Bedingung V = C heißt daher die Gleichung einer Niveaufläche; sie liefert alle Niveauflächen, wenn man der Konstanten C nach und nach alle möglichen Werte beilegt. Bei einem einzelnen Massenpunkt oder bei einer homogenen Kugel sind die Niveauflächen, wie bereits gezeigt worden, konzentrische Kugelflächen; im allgemeinen aber sind sie krumme Flächen andrer Natur, die aber in jedem Fall, wie auch die wirkenden Massen beschaffen und gelagert sein mögen, ein anschauliches Bild von der Verteilung des Potentials im zugehörigen Felde liefern. – Bringt man die Masse 1 von einer Niveaufläche auf eine andre, so wird hierbei eine Arbeit geleistet oder verbraucht, die dem Unterschiede der entsprechenden Potentialwerte gleich ist. Zwischen zwei gegebenen Niveauflächen bleibt also diese Arbeit immer die gleiche, auf welchem Weg auch das Massenteilchen von der einen Fläche zur andern gelangt; um z. B. eine Last auf ein bestimmtes höheres Niveau zu heben, hat man der Schwerkraft gegenüber dieselbe Arbeit zu leisten, gleichviel, ob die Hebung vertikal oder längs einer schiefen Ebene oder längs einer beliebigen krummen Linie erfolgt.

Zur Verschiebung eines Massenteilchens längs einer Niveaufläche bedarf es keines Arbeitsaufwandes, denn die Potentialdifferenz ist in diesem Falle Null, ebenso die Kraft, die sich einer Verschiebung widersetzen könnte. Die Kraft steht vielmehr auf der Niveaufläche allenthalben senkrecht. Denkt man sich daher Linien gezogen, welche die aufeinander folgenden Niveauflächen überall rechtwinklig durchsetzen, so gibt jede derselben in dem Punkte des Feldes, durch den sie geht, die Richtung der Kraft an, die daselbst wirkt; man nennt sie deshalb Kraftlinien. Bei einer Kugel sind die Kraftlinien Gerade, die vom Zentrum ausstrahlen; im allgemeinen aber sind sie gekrümmt. Hat die Kraft überall in einem Felde die gleiche Größe und, Richtung, so nennt man das Feld gleichförmig oder homogen; die Kraftlinien sind in diesem Falle parallele Gerade, die Niveauflächen dazu senkrechte Ebenen. So ist z. B. das Feld der Schwerkraft in der Nähe der Erdoberfläche homogen; die Kraftlinien sind lotrechte Gerade, die Niveauflächen horizontale Ebenen. Auch das Magnetfeld der Erde ist innerhalb eines nicht zu großen Bezirkes homogen; die erdmagnetischen Kraftlinien laufen parallel zur Richtung der Inklinationsnadel, die Niveauflächen sind Ebenen senkrecht zu dieser Richtung. Die sogen. magnetischen Kurven, die sich bilden, wenn man Eisenfeile auf einen über die Pole eines Magnets gebreiteten Karton siebt, sind nichts andres als die sichtbar gemachten Kraftlinien, die das magnetische Feld durchziehen.

Wird die Masseneinheit von einem Punkte des Feldes aus um eine sehr kleine Strecke d s verschoben, und wirkt an jenem Punkt in der Richtung der Verschiebung die Kraftkomponente F', so ist F'ds die hierbei geleistete Arbeit. Diese Arbeit ist aber auch gleich dem kleinen Unterschiede der Potentialwerte V und V' am Anfangs- und Endpunkt der kleinen Strecke. Bezeichnet man den sehr kleinen Unterschied V-V' mit d V, so hat man F'ds = -dV oder F' = -(dv)/(ds). Das Verhältnis des kleinen Unterschiedes der Potentialwerte an den Enden einer kleinen Strecke zu der Länge dieser Strecke nennt man das in dieser Richtung stattfindende Potentialgefälle; dasselbe drückt zugleich, wie man sieht, die Größe der Kraftkomponente aus, die im betrachteten Feldpunkt nach dieser Richtung wirkt. Das Gefälle ist am steilsten in der Richtung der Kraftlinie; in dieser Richtung wirkt die volle Kraft, in jeder andern Richtung nur deren entsprechende Komponente. Senkrecht zu den Kraftlinien, also längs den Niveauflächen selbst, ist das Gefälle und somit auch die Kraft Null, wie bereits erwähnt. Infolge des Gefälles geht ein frei bewegliches Massenteilchen immer von Stellen höhern Potentials zu Stellen niedrigern Potentials über, wie das Wasser, von der Schwerkraft getrieben, stets vom höhern zum niedrigern Niveau herabfließt.

Hieraus erhellt, daß mit der Potentialfunktion V stets auch die Verteilung der Kraft im Felde gegeben ist. Man erhält nämlich die Komponente der Kraft in irgendeiner Richtung, indem man den Feldpunkt in dieser Richtung um eine unendlich kleine Strecke verschoben denkt und die daraus hervorgehende Änderung der Potentialfunktion durch die Größe der Verschiebung dividiert. Dieser in jedem Falle leicht zu berechnende »Differentialquotient« (dV/ds, s. Differentialrechnung, S. 906) ist die gesuchte Kraftkomponente. Ist z. B. V als Funktion der rechtwinkligen Raumkoordinaten x, y, z gegeben, so findet man die Komponenten X, Y, Z der (abstoßenden) Kraft nach den drei zueinander senkrechten Koordinatenrichtungen wie folgt:

Tabelle

Da diese (partiellen) Differentialquotienten wiederum Funktionen von x, y, z sind, so kann man aus ihnen durch dasselbe Verfahren die zweiten Differentialquotienten von V (Bezeichnung: d2V/dx2 etc.) ableiten. Auch diese zweiten partiellen Differentialquotienten spielen in der Potentialtheorie eine wichtige Rolle. Es ist nämlich für jeden Punkt außerhalb der wirksamen Masse: (d2V)/(dx2) + (d2V)/(dy2) + (d2V)/(dz2) = 0 (Laplacesche Gleichung), und für jeden Punkt innerhalb der wirksamen Masse (d2V)/(dx2) + (d2V)/(dy2) + (d2V)/(dz2) = -4πρ, (Poissonsche Gleichung), wo ρ die Dichte (die Masse für eine Volumeneinheit) in diesem Punkt und π die Ludolfsche Zahl 3,14159... bedeutet.

Das P. eines Massensystems auf ein andres erhält man durch abermalige Summierung, wenn die Potentialfunktion des erstern, d. h. ihr P. auf die in einem Feldpunkt konzentrierte Masseneinheit, bekannt ist. Ebenso ergibt sich das P. eines Massensystems auf sich selbst, in dem jeder Punkt mit allen andern in Wechselwirkung steht; dieses P. (Selbstpotential) stellt die Arbeit dar, die verrichtet würde bei Übertragung sämtlicher Punkte des Systems aus unendlicher Entfernung in ihre wirkliche Lage.

Die Lehre vom P. ist besonders wichtig im Gebiete der elektrischen und magnetischen Erscheinungen. In der Elektrostatik hat man es vorzugsweise mit Oberflächenpotentialen zu tun, da auf einem Leiter im Falle des Gleichgewichts die elektrischen Massen nur auf dessen Oberfläche ausgebreitet sind. Um die Entwickelung der Potentialtheorie haben sich außer den schon genannten: Laplace und Poisson, besonders Green, Gauß und Dirichlet und in neuerer Zeit namentlich C. Neumann verdient gemacht. Vgl. Clausius, Die Potentialfunktion und das P. (4. Aufl., Leipz. 1885); Riemanns Vorlesungen über Schwere, Elektrizität und Magnetismus (hrsg. von Hattendorff, Hannov. 1876); Tumlirz, Das P. und seine Anwendung zu der Erklärung der elektrischen Erscheinungen (Wien 1884); Neumann, Vorlesungen über die Theorie des Potentials und der Kugelfunktionen (Leipz. 1887); Betti, Lehrbuch der Potentialtheorie (deutsch von F. Meyer, Stuttg. 1885); Mathieu, Theorie des Potentials (deutsch von Maser, Berl. 1890); Holzmüller, Das P. und seine Anwendung (Leipz. 1898); Korn, Lehrbuch der Potentialtheorie (Berl. 1900–01, 2 Tle.) und Abhandlungen zur Potentialtheorie (das. 1902, 5 Hefte); Grimsehl, Angewandte Potentialtheorie in elementarer Behandlung (Leipz. 1905, Bd. 1).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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