- Gravitation
Gravitation (neulat., v. lat. gravis, schwer, Schwerkraft), die von Newton nachgewiesene Anziehung, die je zwei Massenteilchen im geraden Verhältnis ihrer Massen und im umgekehrten Verhältnis des Quadrats ihrer Entfernung auseinander ausüben. Bezeichnen m und m´ die Massen zweier Stoffteilchen, r ihre Entfernung und seinen unveränderlichen Zahlenfaktor (Gravitationskonstante), der nur von der Wahl der Grundeinheiten für Masse und Entfernung abhängt, so wird diese Anziehungskraft ausgedrückt durch f. mm´/rr. Aus den von Kepler entdeckten Gesetzen der Planetenbewegung folgt, daß die Planeten von der Sonne nach diesem Gesetz angezogen werden. Durch einen fallenden Apfel, so erzählt man, wurde Newton auf den Gedanken gebracht, daß die Schwere nichts andres sei als die von dem Erdkörper ausgeübte Massenanziehung und sich nicht bloß an der Erdoberfläche durch den Fall der Körper äußere, sondern sich mit abnehmender Stärke bis zum Mond und darüber hinaus erstrecke und letztern zwinge, die Erde zu umkreisen, ja daß auch die Planeten durch die Anziehungskraft der Sonne in ihren Bahnen erhalten werden. Aus astronomischen Beobachtungen weiß man, daß der Mond, der vermöge der Trägheit in jedem Augenblick bestrebt ist, längs der Berührungslinie seiner Bahn geradeaus zu gehen, in jeder Sekunde gegen die Erde hin eine Beschleunigung von 0,00271 m erfährt. Ist nun diese Beschleunigung eine Äußerung der Schwerkraft, die bekanntlich einem fallenden Körper am Äquator der Erde eine Beschleunigung von 9,78 m erteilt, so muß sich die Mondbeschleunigung nach obigem Gesetz aus der Fallbeschleunigung berechnen lassen. Da die Entfernung des Mondes von der Erde 60 Erdhalbmesser beträgt, derselbe also 60mal weiter von dem Erdmittelpunkt entfernt ist als ein Punkt des Äquators, so müßte die Mondbeschleunigung 60 x 60 oder 3600mal kleiner sein als die Beschleunigung eines an der Erdoberfläche fallenden Körpers, also 9,78 : 3600 = 0,00271 m. Durch die vollkommene Übereinstimmung dieses Wertes mit dem aus den astronomischen Beobachtungen abgeleiteten ist der sichere Beweis geführt, daß die Schwerkraft und die allgemeine Anziehungskraft, die den Weltkörpern ihre Bewegungen vorschreibt, ein und dasselbe sind.
Die Anziehung, die ein Körper auf irgend ein Massenteilchen ausübt, entspringt aus dem Zusammenwirken aller von den einzelnen Massenteilchen des Körpers ausgehenden Einzelkräfte. Ist der Körper eine gleichartige oder aus gleichartigen konzentrischen Schalen gebildete Kugel, so ist die auf ein außerhalb befindliches Teilchen ausgeübte Gesamtanziehung nach dem Mittelpunkt der Kugel gerichtet und erfolgt gerade so, als wäre die ganze Masse der Kugel in ihrem Mittelpunkt zusammengedrängt. Deshalb ist der Mittelpunkt der Erde gleichsam als Sitz der Anziehungskraft anzusehen, von dem aus die Entfernungen zu rechnen sind, wie oben bei Berechnung der auf den Mond ausgeübten Wirkung geschehen ist. Eine Hohlkugel übt auf einen auf ihrer innern Oberfläche oder im Hohlraum gelegenen Punkt gar keine Wirkung aus, weil die diesseit und jenseit des Punktes gelegenen Teile der Kugelschale mit gleicher Kraft nach entgegengesetzten Richtungen ziehen. Ein Punkt im Innern der Erde, z. B. auf der Sohle eines Bergwerks, erfährt daher von allen Teilen des Erdkörpers, die weiter als er selbst vom Mittelpunkt abstehen, keine Einwirkung mehr und wird nur noch von dem unter ihm befindlichen Erdkern nach dem Mittelpunkt gezogen.
Wenn aber jeder Körper den andern anzieht, warum wird man nicht, wenn man an einem Haus vorübergeht, nach dem Haus hingezogen? Die Antwort auf diese Frage lautet: man wird in der Tat nach dem Haus hingezogen, die Wirkung ist aber im Vergleich zu der Anziehung der ungeheuern Erdmasse so geringfügig, daß sie unsrer Wahrnehmung entgeht. Dennoch kann man durch hinreichend empfindliche Hilfsmittel die Anziehung, die z. B. eine große Bleikugel auf eine kleinere Kugel ausübt, nachweisen und sogar messen, wie Cavendish (1798), Reich und Baily, Cornu, Boys, Braun und Poynting (mittels der Drehwage) getan haben. Man kann auch die Änderung des Gewichts eines auf einer sehr empfindlichen Wage ins Gleichgewicht gebrachten Gewichtstücks messen, wenn eine andre größere Masse von unten genähert wird (Jolly, Poynting), oder wenn es einmal über, sodann unter einer großen festen Masse gewogen wird (Richarz und Krigar-Menzel). Solche Messungen haben ergeben, daß die Kraft, mit der 1 Kilogrammstück ein zweites in 1 m Entfernung anzieht, 6,95 Millionstel des Gewichts (der Schwere) eines Milligramms = 6,68 Mikrodynen (Millionstel Dynen) beträgt. Da nun die Kraft, welche die Erde auf 1 Kilogrammstück ausübt, 1 kg = 981,000 Dynen beträgt, und zwar in dem Abstand von 6,367,400 m vom Erdmittelpunkt, so ergibt sich hieraus das Gewicht x der Erde in Kilogramm, da sein muß 981,000 = 0,00000668.x/6,367,4002. Indem man nun x mit dem Volumen der Erde = 4/3 π 6,367,4003 dividiert, wird deren mittleres spezifisches Gewicht gefunden = 5,505. Dieses Ergebnis ist insofern von besonderm Interesse, als das spezifische Gewicht der meisten Erdarten und Gesteine weit unter diesem Werte liegt, so daß angenommen werden muß, daß im Innern der Erde wett schwerere Massen vorhanden sind. Am besten stimmt die Zahl zu der Annahme, daß die Erde im wesentlichen aus Meteoreisen bestehe, was auch aus andern Gründen wahrscheinlich ist. Maskelyne hat ferner gezeigt, daß zur Seite einer frei stehenden Bergkette das Bleilot von dieser angezogen und daher aus der lotrechten Richtung abgelenkt wird; aus der Größe dieser Ablenkung und dem durch Schätzung ermittelten Gewicht des Berges kann ebenfalls die Masse der Erde gefunden werden. S. auch Schwere.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.