- Perücke
Perücke (Perrücke, franz. perruque, ital. parrucca, span. peluca, v. lat. pilus, Haar), Kopfbedeckung von Haaren, die dem natürlichen Haupthaar mehr oder weniger ähnlich ist. Der Gebrauch fremder Haare zur Bedeckung des Kopfes kam schon im Altertum vor. Könige und Krieger setzten sich Perücken auf, um ehrfurchtgebietender oder furchterregender zu erscheinen, und diese Absicht liegt auch der P. aus Menschen- oder Tierhaaren, Pflanzenfasern, Gräsern etc. zugrunde, die noch heute von unzivilisierten Völkerschaften getragen wird. Bei den Medern, Persern, Lydiern und Kariern war die P. allgemein, und aus Asien ging sie nach Griechenland und Rom über, wo namentlich das goldgelbe Haar der Germanen sehr geschätzt und zu Perücken verarbeitet wurde. Bei dem wachsenden Luxus der römischen Kaiserzeit wurde das Tragen von Perücken unter den Damen allgemein. Sie waren schnell dem Wechsel der Mode unterworfen, und man fertigte danach sogar Porträtstatuen und -Büsten mit abnehmbaren Marmorperücken. Im Mittelalter scheint die P. unter Ludwig XI. in Frankreich wieder aufgekommen zu sein. Doch machte die Kunst, Perücken zu machen, vor dem 17. Jahrh. wenig Fortschritte. 1620 ward eine zuerst vom Abbe La Rivière getragene P. Mode, die so dicht besetzt und lang war, daß sie 4 kg wog. Erst 1680 erfand ein gewisser Ervais das Kräuseln, wodurch die Perücken leichter wurden und voll aussahen, ohne viel Haare zu brauchen. Von Frankreich verbreiteten sich die Perücken über die meisten Länder Europas. Man trug Perücken nicht bloß als ein Ersatzmittel des mangelnden Kopfhaares, sondern zur Zierde. Die wunderlichste Ausartung dieses Geschmacks waren die von Binette, dem Leibfriseur Ludwigs XIV., um 1670 erfundenen Allongeperücken (Staatsperücken; s. untenstehende Abbildung und Tafel »Kostüme III«, Fig. 7). Andre, zum Teil nicht weniger unnatürliche Arten waren: die Knotenperücken (Karreperücken), deren Hinterhaare in Knoten geschürzt wurden; die Haarbeutelperücken (Beutelperücken, Sackperücken), bei denen das lange Hinterhaar in einem Beutel eingeschlossen war; die Zopfperücken, die hinten in einem offenen oder zusammengewundenen Zopf oder auch in zwei Zöpfen endigten; die Stutz- oder Abbéperücken, die im Nacken kurz abgeschnittenes Haar hatten. Schon 1673 entstand in Paris die erste Perückenmacherzunft. Berlin erhielt eine solche 1716, nachdem schon etwa 40 Jahre früher, unter dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm, die Perücken Eingang gefunden hatten u. 1701 von König Friedrich I. mit einer Steuer belegt worden waren. Unter Ludwig XV. von Frankreich kamen zwar die großen Perücken mehr und mehr ab und blieben bloß beim Richterstand noch in Gebrauch; aber statt ihrer wurden unter der Regentschaft die Perruques à la Régence oder à la Cadogan (s. d.) eingeführt, die erst gegen Ende des 18. Jahrh. durch den Zopf (s. d.) verdrängt wurden.
Seit dem Beginn des 19. Jahrh. hat die P. ihre Bedeutung als Bestandteil der Tracht verloren. Man trägt sie nur in den Fällen, wo aus Eitelkeit der Mangel des natürlichen Haares versteckt oder dem kahlen Kopf eine vor Erkältung schützende Decke gegeben werden soll. Je nach Umständen braucht man entweder Perücken, die den ganzen sonst behaarten Teil des Kopfes einhüllen und gleich einer Mütze aufgesetzt werden (Touren), oder solche, die nur eine kleine kahle Stelle bedecken und teils (mit Quittenschleim und Hausenblase) aufgeklebt, teils durch Federn festgehalten werden (halbe Perücken, Atzeln, Toupets und Platten). Die besten Perücken wurden eine Zeitlang aus Paris bezogen. Doch kommen jetzt auch die deutschen Friseure ihren französischen Kollegen in der Anfertigung von Perücken gleich. Von besonderer Wichtigkeit ist die Perückenmacherei für Bühne, Zirkus, Maskengarderoben u. dgl. Vgl. Bolz, Der Perückenmacher (hrsg. vom Bund Deutscher Barbiere etc.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.