Naturalverpflegungsstationen

Naturalverpflegungsstationen

Naturalverpflegungsstationen (Naturalverpflegungsanstalten), Einrichtungen mit dem Zweck, mittellosen, aber arbeitsfähigen und Arbeit suchenden, auf der Wanderschaft befindlichen Personen Kost und Nachtlager zu gewähren. Es soll dadurch auch die Belästigung des Publikums durch Bettelei verringert, eine Kontrolle und wirksame Bekämpfung der Gewohnheitsbettelei erreicht und das planlose, zersplitterte Almosenspenden unterdrückt werden. Solche Anstalten erfüllen ihren Zweck am vollständigsten, wenn sie, netzartig über das ganze Land verbreitet, miteinander in Verbindung stehen, ihre Unterstützungen nur gegen Arbeitsleistung gewähren und gleichzeitig in der Lage sind, Arbeit nachzuweisen. In Deutschland entstanden N. ungefähr seit 1880 unter dem Druck der damals stark überhandnehmenden Vagabundenplage teils als Veranstaltungen von wohltätigen Vereinen, teils als solche von Gemeinden und größern politischen Verbänden, die 1892 zu einem Gesamtverband zusammentraten. Als dann in den 1890er Jahren infolge ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse die Inanspruchnahme und damit die Kosten der N. erheblich wuchsen, stellten zahlreiche N. ihre Tätigkeit ein. In Württemberg sind sie ganz eingegangen, nur in Bayern und Baden weisen sie eine Zunahme auf. Die preußische Regierung versuchte bereits 1895 eine staatliche Regelung, wonach die Kreise gegen Ersatz der Hälfte der Kosten durch die Provinz verpflichtet sein sollten, N. zu errichten; doch hatte weder dieser Versuch noch weitere Anregungen des Gesamtverbandes und der preußischen Regierung einen Erfolg. Nur die Provinz Westfalen hat seit Ende 1902 den Anfang einer planmäßigen Regelung des Verpflegungswesens mit Unterstützung aus Provinzialmitteln gemacht, deren Grundzüge darin bestehen, daß die (in den Städten befindlichen) N. den mittellosen Wanderern 1–3tägige gewöhnliche Arbeit (Erdarbeit, Steinklopfen) geben, daß nur solche aufgenommen werden, die Wanderschein, Arbeitsschein und Abmeldeschein aufweisen, und daß mit ihnen zumeist ein Arbeitsnachweis verbunden ist. In Niederösterreich und Böhmen sind die N. gesetzlich geordnet. In der Schweiz sind seit den 1880er Jahren in verschiedenen Kantonen N. entstanden, die 1893 zu einem Verband zusammentraten. Vgl. Stursberg, Über Arbeiterkolonien und Naturalverpflegung etc. (Gotha 1883); Huzel, Das System der kommunalen Naturalverpflegung (Stuttg. 1883); Märker, Vagabundennot, Arbeiterkolonien und Verpflegstationen (Heilbronn 1887); v. Massow, Statistik der N. 1890 (Gadderbaum 1891); Protokolle der Versammlungen des Gesamtverbandes deutscher Verpflegungsstationen (Berl. 1902). Weiteres s. Artikel »Arbeiterkolonien« und »Herberge« (Herbergen zur Heimat).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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