Anselm von Canterbury

Anselm von Canterbury

Anselm von Canterbury, scholast. Philosoph, geb. 1033 zu Aosta in Piemont, gest. 21. April 1109, unter dem Einfluß seiner Mutter Emmerberga religiös, unter dem seines Vaters Gandulf weltlich erzogen, trat er nach einem wilden Jünglingsleben 1060 in das Benediktinerkloster Bec in der Normandie, wurde 1064 Prior und 1093 als Nachfolger seines Lehrers Lanfranc Erzbischof von Canterbury. Als eifriger Vorkämpfer für die Rechte der Kirche und des Papstes geriet er in Streitigkeiten mit Wilhelm II. und Heinrich I. von England, infolge deren er zweimal (1097–1100 und 1103–1106) sein Bistum verlassen mußte und erst nach dem Vertrag von Bec, der dem Investiturstreit ein Ende machte, definitiv zurückkehrte. A. ward nach seinem Tode kanonisiert. Er ging davon aus, daß der Glaube unantastbar feststehe, daß aber die Wissenschaft die Aufgabe habe, den Inhalt des Glaubens zu selbständiger Einsicht für die Vernunft zu bringen (fides praecedit intellectum; credo ut intellegam). Indem er so den überlieferten theologischen Lehrstoff mit dem Denken bearbeitete, ist er der Vater der Scholastik geworden. Als Philosoph ist er am einflußreichsten durch den sogen. ontologischen Beweis für das Dasein Gottes geworden, den er in der Schrift »Proslogium« (Alloquium Dei) zuerst aufstellt, während er in einer zweiten, »Monologium« (beide hrsg. von Haas, Tübing. 1863), den Gottesbegriff mehr in kosmologischer Weise gewinnen will. Der ontologische Beweis ist ein Versuch, aus dem Begriff Gottes das Dasein desselben durch die Schlußfolgerung darzutun, daß im Begriff Gottes als des schlechthin Größten, über das hinaus ein Höheres nicht mehr gedacht werden kann, liege, daß derselbe nicht nur im Verstand, sondern außerhalb desselben Wirklichkeit habe. Ein Zeitgenosse Anselms, der Mönch Gaunilo im Kloster Marmoutiers bei Tours hat (wie später Kant) dagegen bemerkt, daß aus dem Denken des Gottesbegriffs ein Sein Gottes in der Wirklichkeit nicht folge. In der Schrift »Cur deus homo« (hrsg. von Fritzsche, 3. Aufl., Zür. 1894; deutsch von Tschirlitz, Quedlinb. 1861) sucht A. aus bloßer Vernunft darzutun, daß und wiefern Gott sich selbst für die Sünden der Welt Genugtuung gebe, indem er juristische Begriffe auf ethisch-religiöse Verhältnisse anwendet. In dem Streit zwischen Realisten und Nominalisten (s. Nominalismus) stand A. auf Seite der erstern gegen Roscellinus (s. d.). Die Werke Anselms wurden zuerst 1491 und 1494 in Nürnberg, dann öfter zu Paris (namentlich 1675, hrsg. von Gabr. Gerberon) und im 155. Bande der »Patrologia« von Migne (Par. 1852–54) wieder abgedruckt. Vgl. über ihn die Monographien von Hasse (Leipz. 1843–52, 2 Bde.), Rémusat (Par. 1854), Rule (Lond. 1882, 2 Bde.) und Rigg (das. 1896).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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