Heiliger Geist

Heiliger Geist

Heiliger Geist (lat. Spiritus sanctus), ein wesentlicher Lehrartikel des Christentums. Im Alten Testament heißt »Geist Gottes« oder »Geist des Herrn« zunächst der den an sich toten Stoff bildende und beseelende, der lebendig machende Hauch Gottes. Als sich der Gottesbegriff im sittlichen Sinne vertiefte und verinnerlichte, wurde auch der Geist Gottes als Quelle der prophetischen Erkenntnis und Begeisterung aufgefaßt. In der rabbinischen Theologie des nachexilischen Zeitalters erscheint der »Heilige Geist« geradezu als Offenbarungsprinzip, parallel dem von der alexandrinisch-jüdischen Philosophie ausgebildeten Begriff der »Weisheit« (sophia) oder des »Wortes« (logos). Nachdem die christliche Gemeinde in Jesus von Nazareth den Messias gefunden, führte sie zunächst seine prophetisch-messianische Begabung und Wunderkraft auf eine im Moment der Taufe stattgehabte Ausrüstung mit dem Geist Gottes zurück. Bald wurde dessen Einwirkung auf den Messias vom Moment der Taufe auf den Moment der Geburt zurückdatiert, und es entstand so die in unserm ersten und dritten Evangelium mythisch dargestellte, dann im apostolischen Symbol dogmatisch fixierte Vorstellung von der Erzeugung Jesu durch den Heiligen Geist. In andrer Weise wieder faßte Paulus den Heiligen Geist als das den Gläubigen in ihrer mystischen Verbindung mit Christus innewohnende übernatürliche Prinzip. Die ursprünglich mit dem Begriff des Heiligen Geistes verwandte Vorstellung vom Wort (s. Logos) wurde endlich im vierten Evangelium benutzt, um eine höhere Christologie (s. d.) durchzuführen, in welcher der Heilige Geist die Rolle eines unsichtbaren Fortsetzers des Lebenswerkes Jesu, eines Ersatzes für die seit der Erhöhung des Mensch gewordenen Wortes von der Erde eingetretene Entbehrung spielt und »Paraklet«, d. h. Beistand, heißt. Dies alles trug dazu bei, die Auffassung des Heiligen Geistes als einer göttlichen Person zu befestigen und ihm das Werk der Erzeugung, Erhaltung und Vollendung des spezifisch christlichen Lebens in den Gläubigen zuzuschreiben, wenn auch die ältesten kirchlichen Schriftsteller noch hier und da ein Bewußtsein davon verraten, daß das im Sohn Gottes Fleisch werdende Wort und der den Menschen zum Messias und Sohn Gottes weihende Geist ursprünglich ein und derselben Idee zum Ausdruck verhelfen wollten, nämlich der des Offenbarungsgottes im Gegensatz zu dem verborgenen und unbegreiflichen Gott. So dauerte es fast vier Jahrhunderte, bis die beiden Vorstellungen des Geistes und des Wortes Gottes nach mannigfachen Experimenten der Dogmatiker endlich untereinander ausgeglichen und durch Anwendung eines trinitarischen Schemas auf die ganze Gotteslehre mit dem Begriff Gottes des Vaters gleichgestellt waren. Die letzten Anhänger der früher fast allgemein herrschenden Lehre von einer untergeordneten Stellung des Geistes wurden auf der ökumenischen Synode von 381 zu Konstantinopel als Mazedonianer (ihr Haupt war Macedonius, 341–360 Bischof von Konstantinopel, gewesen) und »Pneumatomachen« (Geistbekämpfer) verurteilt. Bald aber erhob sich bezüglich des Verhältnisses dieser dritten Person der Trinität zu den beiden andern ein erbitterter Streit zwischen der abendländisch-lateinischen und der morgenländisch-griechischen Kirche. Denn jene machte zu dem konstantinopolitanischen Bekenntnis, wonach »der Geist vom Vater ausgeht«, im Interesse symmetrischer Abrundung der Trinitätslehre den Zusatz: »und vom Sohn« (filioque), so in Spanien auf der Synode zu Toledo 589, während die griechische Kirche darin eine Verletzung des Monotheismus sah. Die Reformatoren nahmen die ganze Lehre vom Heiligen Geist unbesehen aus den Händen der mittelalterlichen Kirche entgegen, und in diesem Sinne hat sie Kahnis (»Die Lehre vom Heiligen Geist«, Leipz. 1847) dargestellt. Die liberale Theologie wandelt dagegen in der Regel auf den Bahnen Schleiermachers, der im Hinblick auf die in der Apostelgeschichte berichtete Ausgießung des Geistes über die erste Gemeinde der Gläubigen denselben als den christlichen Gemeingeist auffaßte (s. Inspiration).

In der bildenden Kunst wurde der Heilige Geist auf Grund der Stellen im Evangelium Matthäi 3,16 (»Und er [Jesus] sah den Geist Gottes als eine Taube herabfahren«) und Evangelium Lucas 3, 22 schon frühzeitig in Gestalt einer Taube dargestellt, zuerst bei der Taufe Christi. Die älteste Darstellung befindet sich in der aus dem 2. Jahrh stammenden Krypta der heil. Lucina bei Rom. Seitdem kommt die Taube fast ausnahmslos bei allen Darstellungen der Taufe Christi, auch in der klassischen Kunst, vor. (Beispiele: Gemälde von Verrocchio und Leonardo da Vinci in der Akademie zu Florenz, von Francesco Francia in der Dresdener Galerie, von G. Reni im Hofmuseum zu Wien, von Paris Bordone in der Brera zu Mailand.) Nach dieser Analogie wurde auf Grund der Worte des Engels der Verkündigung im Evang. Luc. 1,35: »Der Heilige Geist wird über dich kommen« der Heilige Geist in Gestalt einer Taube auch bei den Darstellungen der Verkündigung Mariä eingeführt; das älteste Beispiel ist ein Mosaik aus dem 5. Jahrh. in Santa Maria Maggiore zu Rom. Seitdem ist der Vorgang unzählige Male in Gemälden, Miniaturen, Holzschnitten, Kupferstichen und Bildwerken (ein Hauptwerk: der Englische Gruß von Veit Stoß, s. Tafel »Bildhauerkunst VIII«, Fig. 6) dargestellt worden. Ferner erscheint der Heilige Geist in Gestalt einer Taube bei allen Darstellungen der Dreifaltigkeit (Gemälde von Dürer im Hofmuseum zu Wien, von Tizian in Madrid, von Rubens in Mantua, München und Antwerpen, Holzschnitt von Dürer) und bei der Darstellung der Ausgießung des Heiligen Geistes (Gemälde von Tizian in Santa Maria della Salute zu Venedig, Rubens in der Münchener Pinakothek und Karl Begas in Berlin). Vgl. Stengel, Das Taubensymbol des Heiligen Geistes (Straßb. 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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