- Baupolizei
Baupolizei, die öffentliche Gewalt, die das Recht des Besitzers eines Grundstückes, dieses nach seinem Belieben zu bebauen, beschränkt. Die Beschränkung erfolgt zur Wahrung des freien Verkehrs, der öffentlichen Sicherheit (Feuer- und Konstruktionssicherheit) und vor allem der Gesundheit. Umfassendere allgemeine Bauordnungen haben z. B. Württemberg, Bayern, Sachsen, während in Preußen das Bauordnungswesen fast ganz örtlich ist. Allgemein anerkannt ist, daß eine große Stadt nicht in allen ihren Teilen baupolizeilich gleich behandelt werden darf. Für bestehende verbesserungsbedürftige und für werdende Zustände müssen getrennte Vorschriften erlassen werden. Die Frage, nach welchen Grundsätzen dies geschehen soll, bildet infolge des Aufblühens großer Gemeinwesen allerorten den Gegenstand lebhafter Erörterungen, hervorgerufen durch die Schwierigkeit, den richtigen Ausgleich zwischen den allgemeinen Vermögensrücksichten und dem Eigentumsrecht des Einzelnen einerseits und den oben erwähnten öffentlichen Rücksichten anderseits zu finden. Im Innern, dem alten, vielfach durch frühere Befestigungswerke bezeichneten Kern einer Stadt kann den Wohlfahrtsanforderungen, namentlich den gesundheitlichen, nicht in dem Umfang entsprochen werden wie in den äußern, später angebauten oder der Bebauung noch vorbehaltenen Bezirken. Geschäftsviertel, Viertel, in denen gewerbliche Anlagen und Wohnungen gemischt sind, reine Wohn- oder gar Landhausviertel, endlich Fabrikviertel erheischen verschiedene Behandlung und geben somit verschiedene Grundstücksklassen ab. Auch die Frage, ob ein Grundstück an regulierter Straße belegen und mit geregelter Wasserzuführung und Ableitung der Abwässer versehen ist, ist für die auf dasselbe anzuwendenden Baupolizeivorschriften von einschneidender Bedeutung.
In Bezug auf die Baudichtigkeit werden Bestimmungen über die Größe der bebaubaren Grundfläche und des Hofraumes getroffen. Diese Größe ist verschieden für die verschiedenen oben angeführten Grundstücksklassen, sie ist für Häuser in der Straßenreihe anders als für Eckbauten, für bisher bebaute Grundstücke anders als für noch unbebaute; es werden bei ihrer Berechnung die Breiten der Straßen und der eventuell vorhandenen Vorgärten in Ansatz gebracht oder nicht, gewisse Abstände der einzelnen Gebäude und Gebäudeteile untereinander und von den Nachbargrenzen werden verlangt u. dgl. m. Für die größte zulässige Höhe der Gebäude werden absolute Grenzmaße festgesetzt. Für die Höhe der an Straßen stehenden Baulichkeiten (Vordergebäude) pflegt dann eine von der Straßenbreite abhängige Maximalhöhe vorgeschrieben zu werden. Gewöhnlich ist diese Höhe gleich der Straßenbreite. Nur in alten Städten mit engen Straßen pflegt hiervon abgewichen zu werden. Dächer müssen dann innerhalb eines bestimmten Winkels (meist 45°) bleiben, kleine Aufbauten, wie Türme, Giebel, Dachfenster, Erkerdächer u. dgl., werden darüber hinaus aus ästhetischen Gründen und, da sie den Luftwechsel und das Sonnenlicht nur unwesentlich beschränken, in gewissen Grenzen gestattet. Die Höhen der Seitenflügel und Quergebäude werden von den Hofflächen und den Abständen der Gebäude und Gebäudeteile voneinander und von den Nachbargebäuden abhängig gemacht. Für Eckgrundstücke gelten besondere Vorschriften. Im Zusammenhang mit diesen Bestimmungen stehen diejenigen für die Zahl oder Höhe der Geschosse, namentlich der bewohnten. Als Mindesthöhe eines zum dauernden Aufenthalt von Menschen dienenden Raumes kann dabei 2,5 m gelten. Bewohnte Kellerräume dürfen nur etwa 50 cm in den Erdboden eingesenkt werden.
Andre Vorschriften gewährleisten vornehmlich die öffentliche Sicherheit. So sind die zurückliegenden Teile (Höfe etc.) jedes Grundstücks von gewisser Tiefe mittels Zu- oder Durchfahrten von bestimmter Breite, bez. Höhe zugänglich zu machen. Die Gebäudewände müssen im allgemeinen massiv sein; insbes. gilt dies von den Umfassungswänden notwendiger Treppen sowie von Brandmauern, welch letztere an den Nachbargrenzen und im Gebäude selbst in bestimmten Abständen anzulegen sind. Holzwände sind nur als eingebaute Verschläge (in Kellern, Dachböden etc.) zulässig, im übrigen müssen sie feuersicher verputzt werden. Eisenkonstruktionen müssen unter Umständen mit feuerfesten Materialien umkleidet werden. Holzfachwerk wird in Städten nur für ganz kleine Gebäude oder bei offener (Landhaus-) Bebauung unter Innehaltung gewisser Abstände der Gebäude voneinander oder vom Nachbar zugelassen. Unverputzte Holzdecken werden nur bei einzelnen Gebäudegattungen gestattet: ihr Füllmaterial darf keine Krankheitserreger bergen. Die Dachdeckungen müssen hinreichend feuersicher sein, z. B. werden Strohdächer jetzt fast nirgends mehr erlaubt. Bezüglich des Vortretens einzelner Bauteile, wie Treppen, Plinthen, Erker etc., vor die Fronten werden namentlich an den Straßen (Bürgersteigen) Beschränkungen auferlegt. Öffnungen vor Gebäuden dürfen bestimmte Abmessungen nicht überschreiten und müssen abgedeckt oder umwehrt sein. Treppenanlagen müssen in bestimmten Entfernungen voneinander vorhanden sein; ihre Anzahl richtet sich nach der Größe und Höhe der Gebäude. Für die Steigungsverhältnisse der Treppen werden Grenzen festgesetzt; notwendige Treppen müssen feuersicher sein etc. Für Licht-, Luft- und Aufzugsschächte pflegen feuerfeste Wandungen und entsprechende Lüftung vorgeschrieben zu werden. Bei Feuerstätten, Rauchröhren und Schornsteinen wird besonderer Wert auf Feuersicherheit gelegt, während die Sorge für die Gesundheit der Bewohner bei diesen Anlagen meist noch zu wünschen übrigläßt. Die Sicherheit der Baukonstruktionen sucht man durch Festigkeitskoeffizienten zu gewährleisten, deren Höhe von Ort zu Ort vielfach wechselt. Für jedes Grundstück wird Wasserleitung oder ein gutes Trinkwasser liefern der Brunnen verlangt. Für die Entwässerungs- und Abortanlagen sind die Bestimmungen verschieden, je nachdem unterirdische Entwässerung (Kanalisation) vorhanden ist oder nicht. In letzterm Falle werden jetzt gewöhnlich Schlammsänge für die Wirtschaftswässer und Abfuhr in beweglichen Behältern (Tonnen etc.) für die Aborte vorgeschrieben. Die Aborträume sind direkt zu beleuchten und zu lüften. Alle Rohrleitungen sind undurchlässig herzustellen, diejenigen für unreine Abwässer überdies zu entlüften. Verschiedene dieser Bestimmungen enthalten Verschärfungen, sobald es sich um Gebäude oder Räume handelt, die zum dauernden Aufenthalt von Menschen dienen; es wird dann namentlich auf die Zuführung genügender Mengen von Licht und Luft sowie auf Abhaltung schädlicher Bodenfeuchtigkeit gehalten. Besondern Vorschriften mit Rücksicht auf Feuersgefahr werden Gebäude unterworfen, in denen größere Menschenansammlungen stattfinden, wie Theater, Zirkusgebäude etc., ebenso wie Lagerstätten (Speicher etc.) und Stätten ungewöhnlich feuergefährlicher gewerblicher Betriebe, während anderseits bei öffenlichen Bauten gewisse Ausnahmen von den allgemeinen Vorschriften gemacht werden. Endlich enthalten die Bauordnungen Bestimmungen bezüglich der polizeilichen Überwachung, d. h. bezüglich der Genehmigung der Bauentwürfe, bezüglich der Baugerüste, Bauzäune, der Sicherung im Innern und in der Umgebung von Neubauten, der Bauabnahme, Gebrauchsabnahme etc. Die Bauabnahme (Rohbauabnahme) erfolgt, wenn der Bau in seinen Wänden und Eisenkonstruktionen, seinen feuersichern Treppen, Dach und Balkenlagen vollendet ist. Nach vorschriftsmäßiger Ausführung wird die Abnahme des Rohbaues von der Polizei bescheinigt. Dabei wird bestimmt, wann mit den Putzarbeiten begonnen werden darf. Bei dauernd von Menschen bewohnten Gebäuden wird die Frist in der Regel auf 6 Wochen bemessen, während derartige Gebäude gewöhnlich nicht früher als 6 Monate nach der Rohbauabnahme bezogen werden dürfen. Nur nebenher beteiligt ist die B. bei der Ausstellung der Bebauungspläne (s. d.), die in der Regel von großen Unternehmern entworfen und behördlicherseits nur kontrolliert werden.
Die B. bildet einen Teil des Baurechts, unter welch letzterm man (den Begriff im objektiven Sinn genommen) die Gesamtheit aller das Bauwesen betreffenden Rechtsvorschriften versteht, während das Baurecht im subjektiven Sinn die Befugnis des Grundeigentümers bedeutet, auf seinem Grund und Boden bauliche Anlagen vorzunehmen. Der nicht mr B. gehörige Teil des Baurechts ist meist privatrechtlicher Art, auf ihn bezügliche Streitfragen unterliegen der Entscheidung des Zivilrichters. Zu seinen Einrichtungen, die auch wieder vornehmlich auf Eigentumsbeschränkungen hinauslaufen und durch Vertrag oder erwerbende Verjährung entstehen können, gehören die verschiedenen Servituten (s. d.), wie das Überbaurecht, Erbbaurecht, Balkenrecht (s. diese Artikel), die sämtlich durch das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch geregelt sind.
Vgl. Eulenburg, Handbuch des öffentlichen Gesundheitswesens, Bd. 1 (Berl. 1881); Baumeister, Stadterweiterungen in technischer, baupolizeilicher und wirtschaftlicher Beziehung (das. 1876); Derselbe, Normale Bauordnung (Wiesbad. 1880); Krüger, Hilfe u. a., Bauführung und Baurecht (im »Handbuch der Baukunde«, 1. Abt., Berl. 1887); Bochmann, Die B. im Gebiete des allgemeinen Landrechts (das. 1887); Rau, Die B. (2. Aufl., Pforzh. 1894); Schubert, Kompendium des Baurechts und der B. (Leipz. 1897); Rößler, Die Baupolizeiordnungen für Berlin und seine Vororte (Berl. 1900); Baltz, Preußisches Baupolizeirecht (2. Aufl., das. 1900); Born, Das preußische Baupolizeirecht etc., Kommentar (das. 1902.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.