Südpolarexpeditionen

Südpolarexpeditionen

Südpolarexpeditionen, Fahrten zur Erforschung der Südpolargebiete (s. Karte bei S. 185). Die Hypothese von einem großen Südkontinent, die schon von Ptolemäus ausgesprochen und von den Geographen des Mittelalters angenommen war, veranlaßte die ersten Südpolarfahrten. 1675 fand Antonio de la Roché, Führer einer aus Hamburg stammenden Handelsexpedition, das vielleicht schon 1501 bis 1502 von Amerigo Vespucci entdeckte Südgeorgien, 1739 entdeckte der französische Admiral Lozier Bouvet die nach ihm benannte Insel, 1772 Marion du Frezne die Prinz Eduard- und Crozetinseln und in demselben Jahr der Bretone Kerguelen die Kergueleninsel. Als erster drang Cook über den Südpolarkreis hinaus. Auf seiner zweiten Weltumsegelung 1772–75 wies er durch wiederholte Vorstöße nach Süden das Nichtvorhandensein eines Südkontinents in gemäßigten Breiten nach, erreichte 30. Jan. 1774 die größte südliche Breite mit 71°10' und entdeckte 31. Jan. 1775 die Sandwichgruppe. Auf der dritten Weltumsegelung untersuchte er genauer die Kergueleninsel. Nach Cook erlahmte das Interesse für die Südpolarforschung. Erst durch das Vordringen von Robbenschlägern im Beginn des 19. Jahrh. wurde die Kenntnis der antarktischen Gebiete gefördert: William Smith und Bransfield entdeckten 1819 die Südshetlandinseln und James Weddell, Palmer und Powell die Südorkney-Inseln und Palmerland. Auf einer Forschungsfahrt in das Südliche Eismeer entdeckte die russische Expedition unter Bellingshausen (s. d.) 1821 die Peter I.-Insel und das Alexander I.-Land und einen tätigen Vulkan auf der Sawadowskij-Insel in der Sandwichgruppe. Der obenerwähnte Robbenschläger Weddell drang 1823 in dem nach ihm benannten Meere bis 74°15' vor. John Biscoe vollführte 1831–32 eine Umsegelung des Pols, auf der er Enderbyland, Grahamland und die Biscoe-Inseln entdeckte. Kemp sichtete 1833 das hohe Kempland, Balleny die nach ihm benannten Inseln. Durch die Arbeiten von Gauß über den Erdmagnetismus wurde auch die wissenschaftliche Erforschung der Südpolargegenden angeregt, und in der Zeit von 1838–43 widmeten sich fast gleichzeitig drei Expeditionen dieser Aufgabe, eine französische mit den Schiffen Astrolabe und Zélée unter Dumont d'Urville, eine amerikanische unter Wilkes mit fünf Schiffen und eine englische unter J. C. Roß mit den Schiffen Erebus und Terror. Dumont d'Urville entdeckte 1838 Louis Philippe-Land und 1840 Clarie- und Adélieland; Wilkes fuhr 1840 an der jetzt als Wilkesland bezeichneten, 2300 km langen Küstenstrecke entlang, die er als Rand des antarktischen Kontinents ansah. Weitaus die bedeutendsten Erfolge aber hatte Roß, der auf drei Vorstößen 1841–42 das gebirgige Victorialand mit dem tätigen Vulkan Erebus entdeckte und bis zu 78°4' südl. Br. und in die Nähe des magnetischen Südpols gelangte. Eine mächtige, mehrere Hunderte von Kilometern weit verlaufende Eiswand setzte schließlich seinem Vorrücken ein Ziel. Zur Ergänzung der magnetischen Forschungen unternahm 1845 der amerikanische Leutnant Moore einen Vorstoß gegen Enderbyland, 1874 drang die Challenger-Expedition gegen das Ende von Wilkesland vor, einige geographische Entdeckungen im Palmer-Archipel und auf Grahamland brachte 1873–74 die Fahrt des deutschen Kapitäns Dallmann in das Südliche Eismeer, im übrigen ruhte die Südpolarforschung bis gegen Ende des 19. Jahrh. Neue Entdeckungen wurden erst wieder von Fangschiffen gemacht. Der Jason unter Kapitän Larssen und die Hertha unter Kapitän Evensen durchstreiften 1892–93 das Gebiet zwischen den Südorkneys und Grahamland und entdeckten das König Oskar II.-Land und zwei neue tätige Vulkane, den Christensen-Vulkan und den Lindenberg-Zuckerhut. Erfolgreicher noch war der norwegische Dampfwaler Antarktik unter Kapitän Bull mit dem als Matrosen angeworbenen norwegischen Naturforscher Borchgrevink an Bord. Zum erstenmal seit Roß wurde das Victorialand besucht, und Borchgrevink bewerkstelligte 1895 bei Kap Adare die erste Landung auf dem antarktischen Kontinent. Jetzt wurde besonders in Deutschland eine rührige Agitation für wissenschaftliche antarktische Forschung ins Werk gesetzt und auf dem Geographentage zu Bremen 1895 die deutsche Kommission für Südpolarforschung unter Neumayers Vorsitz gegründet. Zunächst aber kam eine belgische Expedition unter Adrien de Gerlache zustande, der mit dem Dampfer Belgica 1897–98 in den Palmer-Archipel eindrang und die Belgicastraße entdeckte, aber fast ein Jahr lang unter 71°34' südl. Br. und 82°10' westl. L. vom Eis eingeschlossen blieb und dadurch zur ersten Überwinterung in der Antarktis gezwungen wurde. Mit der Absicht einer Überwinterung auf dem antarktischen Festlande ging 1898 Borchgrevink auf dem von dem Londoner Verleger Newnes ausgerüsteten Southern Croß nach Victorialand, wo er bei Kap Adare eine Station einrichtete und auf Schlittenreisen das Victorialand erforschte, während das Schiff nach Neuseeland zurückkehrte. Im Südsommer 1899–1900 brachte dann der Southern Croß die Expedition längs der Küste des Victorialandes nach Süden und an den Rand der von Roß entdeckten und seitdem erheblich niedriger gewordenen Eismauer. nach deren Ersteigung Borchgrevink zum erstenmal mit Schlitten das Inlandeis betrat und bis 78°50' vordrang. Einen Vorstoß nach Süden bis in die Nähe von Enderbyland führte 1898 auch die deutsche Valdivia-Expedition aus, wobei die Bouvetinsel, deren Existenz zweifelhaft geworden war, wiederentdeckt wurde. Endlich gelangte auch durch Zusammenwirken des deutschen Kaisers und der Reichsregierung die deutsche Südpolarexpedition zur Ausführung. Unter Leitung von Drygalski brach die Expedition 11. Aug. 1901 auf dem eigens für diese Zwecke erbauten Schiffe Gauß von Kiel auf, drang über die Kerguelen, wo unter Leitung von Enzensperger eine Zweigstation errichtet worden war, und die Heardinsel nach Süden vor und traf 21. Febr. 1902 auf die Küste eines unbekannten Landes, das Kaiser Wilhelm II.-Land getauft wurde. Das Schiff überwinterte, vom Eis eingeschlossen, in der Posadowskybucht. Hier wurden die wissenschaftlichen Arbeiten fast ein Jahr lang fortgeführt und mehrere Schlittenreisen nach dem nahen Kontinent und dem 366 m hohen Gaußberg unternommen. Nach Ausbruch des Eises (30. Jan. 1902) und einem Versuch, die Küste weiter nach Westen zu verfolgen, wurden auf der Rückreise nach Europa noch die Inseln St. Paul und Neu-Amsterdam besucht. Die Kerguelenstation erlitt einen schweren Verlust durch den Tod Enzenspergers, der am 2. Febr. 1903 der Beriberikrankheit erlag. Gleichzeitig mit der deutschen Expedition wurde nach vorher verabredetem Plan auch von andern Nationen die Südpolarforschung aufgenommen. Eine englische Expedition unter R. F. Scott mit der Discovery ging nach dem Roßmeer, wo nach Gründung einer festen Station auf der Erebusinsel im Januar 1902 das König Eduard VII.-Land entdeckt wurde. Von der Station aus wurden zahlreiche Schlittenfahrten ausgeführt. Nach Süden drang Scott mit zwei Gefährten bis 82°17' vor (29. Dez. 1902), nach Westen über das 2700 m hohe Plateau des Victorialandes bis 1641/2° östl. L., wobei er unter 1551/2° östl. L. den magnetischen Nullmeridian überschritt. Erst im Februar 1904 konnte die Discovery aus ihrem Winterlager in der Mc. Murdostraße freikommen und mit den beiden zu ihrem Entsatz ausgesandten Schiffen, Morning und Terra Nova, über Neuseeland die Heimreise antreten. Wechselvolle Schicksale hatte die durch private Mittel ausgerüstete norwegische Expedition der Antarktik unter Otto Nordenskjöld. Über Feuerland gelangte die Antarktik an die Ostseite von Grahamland, wo Nordenskjöld mit fünf Gefährten 21. Febr. 1902 das Schiff verließ, um auf der Snow Hill-Insel eine Station zu gründen, während das Schiff zur Überwinterung nach Südgeorgien ging. Bei der Rückkehr der Antarktik im Südsommer 1902/03 versuchten drei Leute, darunter der Naturforscher Andersson, mit Schlitten zu Nordenskjöld zu gelangen, wurden aber vor Erreichung der Station zur Überwinterung gezwungen und trafen erst 12. Okt. 1903 unvermutet mit Nordenskjöld zusammen. Die Mannschaft der am 12. Febr. 1903 im Schiffbruch verunglückten Antarktik hatte sich unter Führung von Kapitän Larssen nach der Pauletinsel gerettet und dort überwintert. Alle drei Abteilungen, die getrennt überwintert hatten, wurden dann im November 1903 durch die Hilfsexpedition des argentinischen Kriegsschiffes Uruguay entsetzt. Eine schottische Südpolarexpedition unter Leitung von Bruce untersuchte mit der Scotia 1902 bis 1904 das Weddellmeer und gelangte 22. Febr. 1903 bis 70°30' südl. Br. Bei der Überwinterung in den Südorkneys wurde auf der Laurieinsel eine Beobachtungsstation eingerichtet, die später von Argentinien übernommen wurde. Auf einem zweiten Vorstoß in das Weddellmeer erreichte die Scotia unter 74° südl. Br. 13. März 1904 ihren südlichsten Punkt nahe der Küste eines »Coatsland« genannten Landes. Eine französische Südpolarexpedition unter Charcot, die ursprünglich als Hilfsexpedition für Nordenskjöld geplant war, erforschte den Palmer-Archipel und Grahamland, überwinterte 1904 auf der Insel Wandel und drang im Januar 1905 bis Alexander I.-Land vor.

Literatur: Zusammenfassende Darstellungen geben Fricker, Antarktis (Berl. 1898); Neumayer, Auf zum Südpol (das. 1901); Murray, The Antarctic manual for the use of the expedition of 1901 (Lond. 1901); Balch, Antarctica (Philad. 1902); Hassert, Die Polarforschung (2. Aufl., Leipz. 1907); v. Richthofen, Ergebnisse und Ziele der Südpolarforschung (Berl. 1905); Regel, Die Südpolarforschung (das. 1907); Mill, Siege of the South Pole (Lond. 1905). Für die neueste Zeit vgl. noch F. A. Cook, Through the first Antarctic night (New York 1900; deutsch von Weber, Kempten 1903); Borchgrevink, First on the Antarctic Continent (Lond. 1901; deutsch, Bresl. 1905); Bernacchi, To the South Polar regions; expedition of 1898–1900 (Lond. 1901); de Gerlache, Voyage de la Belgica; quinze mois dans l'Antarctique (Brüss. 1903); Lecointe, Im Reiche der Pinguine, Schilderungen von der Fahrt der Belgica (deutsch von Weismann, Halle 1904); O. Nordenskjöld (mit Andersson, Larsen und Skottsberg), Antarctic. Zwei Jahre in Schnee und Eis am Südpol (deutsch von Mathilde Mann, Berl. 1904, 2 Bde.); v. Drygalski, Zum Kontinent des eisigen Südens. Fahrten und Forschungen des Gauß (das. 1904); »Die deutsche Südpolar-Expedition 1901–1903« (hrsg. von E. v. Drygalski, das. 1905 ff.); R. F. Scott, The voyage of the Discovery (2. Aufl., Lond. 1907, 2 Bde.); Armitage, Two years in the Antarctic (das. 1905); »Voyage of the Scotia, by three of the staff« (das. 1906); Charcot, Le, Français' an pôle sud (Par. 1906) und über die wissenschaftlichen Ergebnisse: »Expédition antarctique française 1903–1905« (das. 1907 ff.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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