Reval

Reval

Reval (esthn. Tallina, in den russ. Chroniken Kolywan), Hauptstadt des russ. Gouvernements Esthland, malerisch an einer tiefen Bucht des Finnischen Meerbusens, an der Baltischen Eisenbahn und der Schmalspurbahn R.-Fellin gelegen, ist nächst Petersburg und Riga der bedeutendste Seehandelsplatz des russischen Reiches an der Ostsee.

Wappen von Reval.
Wappen von Reval.

R. hat in seiner Bauart völlig den mittelalterlichen Charakter beibehalten. Die Straßen der von starken Mauern und Türmen umgebenen Altstadt sind eng und unregelmäßig; auf 43 m hohem Fels liegt der sogen. Dom mit dem alten Schloß und den Kron- und Landesbehörden; rings um die Stadt dehnen sich weit die Vorstädte aus, die sich jetzt, da die Festungsgräben ausgefüllt sind, meist unmittelbar an die frühern Tore anschließen. R. hat 10 evangelische (darunter 2 esthnische), 8 griechische, eine kath. Kirche und eine Synagoge. Sehenswerte Gebäude sind: die Domkirche (wahrscheinlich im Anfang des 13. Jahrh. erbaut, seit 1684 erneuert) mit vielen Gräbern; die Olaikirche (aus dem 13. Jahrh., 1840 wiederhergestellt) im gotischen Stil, mit 139 m hohem Turm; die Nikolaikirche (aus dem 14. Jahrh.), mit interessanten Altertümern aus katholischer Vorzeit, einem Totentanz und Grabmälern; die griechisch-orthodoxe Nikolaikirche (aus dem 15. Jahrh.); die Alexander-Newskij-Kathedrale, 1894–1900 erbaut; das Rathaus, mit dem reichsten baltischen Urkundenarchiv seit dem 13. Jahrh.; das Ritterhaus; das alte Domschulengebäude; das Schwarzhäupterhaus (Sitz eines 1343 gegründeten Klubs), mit wertvollen Altertümern; das Haus der großen Gilde, mit Sälen in prachtvoller Spitzbogenführung, jetzt Börse; das Haus der Canuti-Gilde, worin die Esthländische Literarische Gesellschaft (gegründet 1842) und das Provinzialmuseum, das seltene Altertümer, Kunstwerke, numismatische und ethnographische Sammlungen enthält. Die Einwohnerzahl betrug 1900: 66,292 und besteht aus 53,8 Proz. Esthen, 25,4 Deutschen, 17,2 Proz. Russen. R. besitzt eine Admiralität und einen sichern, geräumigen Hafen. Es hat (1902) 99 Fabriken mit 12,5 Mill. Rubel Produktionswert und 7429 Arbeitern. Darunter sind 4 Maschinenfabriken, eine große Waggonfabrik, eine Spinnerei und verschiedene andre gewerbliche Anstalten hervorzuheben. Von größerer Bedeutung ist der Handel. Die Einfuhr zur See betrug 1904: 69,1 Mill. Rubel und umfaßte hauptsächlich Rohbaumwolle (44,3 Mill. Rubel), Steinkohlen und Koks, Metalle, Maschinen, Chemikalien, Dungstoffe. Die Ausfuhr wertete 29,2 Mill. Rubel, wobei Hafer, Flachs, Eier, Butter, Mineralöle die Hauptposten bildeten. Dazu tritt ein ansehnlicher Küstenhandel. 1904 liefen 2398 Schiffe mit einem Tonnengehalt von 625,319 Ton. ein, davon 590 Schiffe von 417,230 T. aus ausländischen Häfen. Es liefen aus 2395 Schiffe von 618,139 T., davon 585 von 409,923 T. nach dem Ausland. Den Bedürfnissen des Handels dienen ein Hauptlagerzollamt, eine Aktienbank, 2 Kreditgesellschaften sowie zahlreiche Speditionsgeschäfte. R. hat 64 Schulen, darunter die 1906 wiedereröffnete Domschule und 8 andre Mittelschulen, ein Theater, besuchte Seebäder und ist Sitz eines deutschen Konsuls; es erscheinen 16 Zeitschriften (davon 4 russische, 3 deutsche und 9 esthnische). Neben der Stadt das von Peter I. erbaute Lustschloß Katharinental mit herrlichem Eichen- und Lindenpark, ein Hauptvergnügungsort. – R. wurde 1219 vom Dänenkönig Waldemar II. gegründet, hatte von Anbeginn an eine niedersächsische Bevölkerung, kam 1346 mit Esthland durch Kauf an den Deutschen Orden und war im 14. und 15. Jahrh. eine der hervorragendsten Städte der Hansa. Nach dem Untergang der livländischen Selbständigkeit kam es 1561 an Schweden und 1710 durch Kapitulation an Rußland. Vgl. »Führer durch R. und seine Umgebungen« (3. Aufl., Reval 1901); Bunge, Die Revaler Ratslinie nebst Geschichte der Ratsverfassung (das. 1874); v. Hansen, Die Kirchen und ehemaligen Klöster Revals (3. Aufl., das. 1885) und Aus baltischer Vergangenheit (das. 1894); Pezold, Schattenrisse aus Revals Vergangenheit (2. Aufl., das. 1901); v. Nottbeck und Neumann, Geschichte und Kunstdenkmäler der Stadt R. (das. 1896–1904, 2 Bde.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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