- Nowgorod [2]
Nowgorod (N. Weliki, »der große N.«), Hauptstadt des gleichnamigen russ. Gouvernements (s. oben), liegt am Wolchow, 2,5 km von seinem Ausfluß aus dem Ilmensee (dadurch oft von Überschwemmungen heimgesucht), 52 m ü. M., durch Schmalspurbahn mit der Linie Petersburg-Moskau verbunden, und zerfällt wie in alten Zeiten in zwei Hauptteile: die Sofiiskaja Storona mit dem Kreml am linken und die Torgowaja Storona (»Handelsseite«) am rechten Wolchowufer, beide durch eine steinerne Brücke verbunden. N., im Mittelalter (s. unten) eine bedeutende Handelsstadt, bietet heute nur einen schwachen Abglanz ihrer frühern Herrlichkeit. Von den Hunderten von Kirchen und Klöstern, deren einige jetzt 5–7 km von der Stadt entfernt liegen, hat es noch 47 aufzuweisen; die wertvollste ist die Sophienkathedrale im Kreml, ursprünglich 988 aus Holz erbaut und nach einem Brand 1045–52 durch byzantinische Baumeister nach dem Muster der Sophienkirche zu Konstantinopel in Stein aufgeführt, 1893–1900 restauriert. Dieselbe beherbergt die Überreste verschiedener Heiligen, ein wundertätiges Christusbild aus der Mitte des 11. Jahrh., interessante Reliquien früherer Zaren und Metropoliten u.a. Beachtenswert sind ferner die berühmten, 1152–56 von einem deutschen Künstler gearbeiteten Korssunschen sowie die schwedischen oder Sigtunschen Bronzepforten (angeblich im 12. Jahrh. aus der schwedischen Stadt Sigtuna hergebracht). Das Innere der Kathedrale macht mit seinen in mystisches Halbdunkel gehüllten, unförmlichen Pfeilern, Kapellen, Sarkophagen etc. einen ernsten, fast unheimlichen Eindruck. Denkmäler früherer Größe sind ferner: die den Kreml (sogen. Djetinez) umgebende mächtige Ringmauer (1409 vom italienischen Baumeister Fioraventi erbaut), die Kirche des heil. Sergii Radoneshski (1463), die Kirche Mariä Schutz und Fürbitte (1305), sodann auf der Torgowaja Storona die Ruinen des Schlosses des Großfürsten Jaroslaw, wo die Volksversammlung (Wetsche) tagte, die Snamenskikathedrale (14. Jahrh.) und die Nikolo-Dworischtschenskikathedrale (1113). Unter den vier Klöstern sind beachtenswert das Antonius- (1116) und das Jurjewsche Kloster (1119); ferner besitzt N. ein Kaufhaus und ein zur Feier des 1000jährigen Bestehens des russischen Reiches 1862 errichtetes Denkmal (von Mikjeschin). Die Einwohnerzahl betrug 1900: 26,972 Seelen. An Anstalten sind vorhanden: ein Gymnasium für Knaben und eins für Mädchen, eine Realschule, ein geistliches Seminar, ein Irrenhaus, ein Museum russischer Altertümer und ein Theater. Handel und Industrie sind ganz bedeutungslos. – N., als Holmgardr eine der ersten Ansiedelungen der Waräger, war schon im 9. Jahrh. eine bedeutende Stadt und wurde um 864 von Rurik (s. d.) zur Residenz gewählt. Doch schlug hier das Fürstentum keine festen Wurzeln; vielmehr war es die Bürgerversammlung (weče), die jahrhundertelang, mindestens seit 1300, den bis zum Weißen Meere sich erstreckenden Freistaat N. (s. die Geschichtskarte zum Artikel »Russisches Reich«) leitete. Durch die Wasserverbindung mit dem Finnischen Meerbusen erblühte Nowgorods Handel. Schon im 12. Jahrh. hatten deutsche und skandinavische Kaufleute von Wisby hier Handelsfaktoreien eingerichtet. Zur Zeit der Hansa wurde N., damals Naugart oder Novwerden genannt, der wichtigste Marktplatz des Nordostens. Russisches Leder, Felle, Wachs, Talg, Hanf, Flachs, Daunen wurden gegen deutsche Leinen-, Woll- und Metallwaren, Blei, Schwefel, Salz, Wein, Bier, Pergament, später auch Papier- und Schießbedarf eingetauscht. Aber die freie republikanische Verfassung Nowgorods war den Großfürsten von Moskau ein Dorn im Auge, und 1477–79 unterwarf Iwan III. die Stadt; 1494 wurde der »Deutsche Hof« geschlossen, und 1570 plünderte sie Iwan der Grausame, auch wurde ein großer Teil der Einwohner getötet und die ausländischen Kaufleute wurden verbannt. Damit war die Blüte Nowgorods für immer geknickt. Der Versuch, sich gegen den Zaren Alexei zu erheben (1650), mißlang völlig. Vgl. Winkler, Die deutsche Hansa in Rußland (Berl. 1886); Buck, Der deutsche Handel in N. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Petersburg 1895).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.