- Mitgefühl
Mitgefühl (sympathetisches Gefühl), im allgemeinen jedes durch Wahrnehmung eines fremden Gefühlszustandes in uns selbst erregte gleiche oder entgegengesetzte Gefühl. Wirkt fremde Lust in uns Unlust, so entsteht Mißgunst oder Neid, umgekehrt Schadenfreude (negative Mitgefühle); wirkt fremde Lust oder Unlust in uns ebenfalls Lust oder Unlust, so entstehen Mitfreude oder Mitleid (positive Mitgefühle, M. im engern Sinn). In allen Fällen setzt das M. das Bewußtsein einer gewissen Gleichartigkeit zwischen uns selbst und dem fremden Wesen voraus; Näherstehende (Familien-, Stammesgenossen, überhaupt Mitmenschen) erregen unser M. mehr als Fernerstehende (z. B. räumlich oder zeitlich von uns getrennte, übermenschliche oder untermenschliche Wesen etc.). Insbesondere gehört zum M. im engern Sinn immer eine Erweiterung des eignen Ichs, ein Sichfühlen im andern, wie es am innigsten zwischen Mutter und Kind besteht, doch haftet ihm im Unterschied von dem negativen M. zugleich etwas Kindliches und Naives an, insofern es von einer minder scharfen Ausprägung und Abgrenzung des eignen Ichs zeugt. Dabei ist Mitfreude im allgemeinen seltener als Mitleid (»Zum Mitleid genügt ein Mensch, zur Mitfreude gehört ein Engel«, Jean Paul), jene setzt uneigennützige Teilnahme, wahre Liebe voraus, diesem haftet wenigstens im Anfang oft eine gewisse (egoistische) Selbstgefälligkeit an, wenn es auch nicht selten weiterhin eine innige Verbindung stiftet. Mitfreude und Schadenfreude stimmen darin überein, daß beide sich leicht abstumpfen, wogegen Mitleid und Neid nachhaltiger wirken, indem jenes leicht zu affektartigen Ausbrüchen führt, dieser in ein leidenschaftliches Begehren übergeht. Zugleich neigt die Mehrzahl der Menschen mehr zu letzterm als zu ersterm: großer Schmerz kann im allgemeinen des Mitleids, große Freude des Neides andrer gewiß sein. Über die sittliche Bedeutung des Mitgefühls s. Sympathie. Vgl. W. Stern, Das Wesen des Mitleids (Berl. 1903).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.