Martinuzzi

Martinuzzi

Martinuzzi, Georg (wie er sich selbst unterzeichnete: Frater Georgius, danach Bru der Georg genannt), siebenbürg. Staatsmann, geb. 1482 zu Kamičic in Kroatien, gest. 17. Dez. 1551 in Alvincz. Er stammte mütterlicherseits von der venezianischen Patrizierfamilie M. ab; sein eigentlicher Familienname war Ulissenich, dessen er sich aber selten bediente. Er lebte zuerst am Hofe des Joh. Corvinus und der verwitweten Fürstin Zápolya als Page und Kammerherr, trat dann in den Paulinerorden und wirkte als Prior in Czenstochau und im Kloster von Sajó-Lad. Hier lernte ihn König Johann Zápolya 1528 kennen, der ihn vorwiegend als Gesandten verwandte, 1534 zum Bischof von Großwardein (Várad) und Schatzkanzler und 1540 zum Vormund seines unmündigen Nachfolgers, Joh. Siegmund, ernannte. Als solcher setzte M. die Wahl und Krönung des letztern zum ungarischen König durch und verschaffte ihm auch den Schutz des Sultans Suleiman. Als aber der Großtürke 1541 sich der Hauptstadt Ofen mit List bemächtigte und Joh. Siegmunds Macht auf Siebenbürgen beschränkte, näherte sich M. im Geiste des Vertrages von Großwardein (24. Febr. 1538) dem Gegenkönig Ferdinand I. und war für Wiedervereinigung des ganzen Reiches unter dem Zepter des Habsburgers bemüht (Vertrag von Gyalu, im Dezember 1541); Joh. Siegmund und dessen Mutter, Isabella von Polen, sollten anderseitig entschädigt werden. Da aber Ferdinand I. mit der ausbedungenen Hilfe zögerte und der Hilfszug des Deutschen Reiches (im September 1542) vor Ofen ein klägliches Ende nahm, kehrte M. zur türkenfreundlichen Politik zurück und organisierte umsichtig das selbständige siebenbürgische Fürstentum, dessen Geschicke er als Schatzkanzler, Statthalter und oberster Richter trotz der Königin-Witwe Isabella und ihrer Partei fast unbeschränkt leitete. 1548 bewogen ihn die Gefahr der türkischen Überflutung und Suleimans neue Forderungen wieder zu Unterhandlungen mit Ferdinand I. Isabella und Joh. Siegmund sollten gegen reichliche Entschädigung Siebenbürgen verlassen und ihr Anrecht an Ferdinand abtreten, der seinerseits Truppen unter Joh. Castaldo (s. d.) nach Siebenbürgen entsendete, während er M. die Würde eines Woiwoden und Schatzmeisters und den Kardinalhut zusagte. Nachdem M. den Widerspruch der Königin-Witwe mit Hilfe der Stände gebrochen und Isabella mit ihrem Sohn das Land verlassen hatte, übergab M. die Krone und die wichtigsten Burgen 1551 an Castaldo, der die Huldigung der Stände entgegennahm. Mittlerweile aber hatte die argwöhnisch gewordene Pforte von drei Seiten Truppen gegen Siebenbürgen gesandt, ohne sich durch Martinuzzis Ausflüchte irremachen zu lassen. Um den Sultan versöhnlicher zu stimmen und Ferdinand für neue Truppensendungen Zeit zu verschaffen, bewilligte M. der türkischen Besatzung von Lippa freien Abzug. Dadurch rief er aber aufs neue den Argwohn Castaldos hervor, der ihn schon von Anbeginn eines geheimen Einverständnisses mit dem Sultan beschuldigte. Von einer Vollmacht Ferdinands Gebrauch machend, ließ er den vielleicht größten Staatsmann Ungarns jener Zeit 17. Dez. in seinem Schloß Alvincz ermorden. In der Verteidigungsschrift, die Ferdinand I. im Januar 1552 an Papst Julius III. schickte, legte er dem Kardinal mehrfachen Verrat zur Last; er solle Isabella und ihren Sohn zurückberufen und mit Hilfe des Sultans selbst die Herrschaft über Siebenbürgen angestrebt haben. Der Papst billigte nur ungern 1555 die Ermordung, die für Ferdinand den Verlust Siebenbürgens zur Folge hatte. Am Ende hat auch die wertvolle Sammlung von Kunstschätzen Martinuzzis die Habgier der italienischen Soldateska gereizt. Die Frage, ob M. ein Verräter gewesen sei, verneinen die meisten neuern Historiker; doch wird eingeräumt, daß M. unter dem Zwang der Verhältnisse zu falschen Ausflüchten und Schlichen seine Zuflucht nahm, was seinen Untergang beschleunigte. Vgl. M. Hatvani (Horvath), Leben des Bruders Georg Utyeszenich (in ungar. Sprache, Pest 1859); J. K. Schuller, Die Verhandlungen von Mühlbach 1551 und Martinuzzis Ende (Hermannstadt 1862); O. Utiešenović, Lebensgeschichte des Kardinals G. Ütiešenović, genannt Martinusius (Wien 1881); Arp. Károlyi, Die Korrespondenz Frater Georgs (in der »Történelmi Tár«, 1878–82); Sam. Barabás, Regesten zur Geschichte Siebenbürgens im Zeitalter Martinuzzis (ebenda 1892); Die Aufzeichnungen Martinuzzis: Regestum 1544–1546 (ebenda 1893); Druffel, Der Mönch von Siebenbürgen und Kurfürst Johann von Brandenburg (»Forschungen zur deutschen Geschichte«, Bd. 7); insbes. Als. Huber, Geschichte Österreichs, Bd. 4, und Die Erwerbung Siebenbürgens durch Ferdinand I. und Bruder Georgs Ende (im »Archiv für österreichische Geschichte«, Bd. 75, Wien 1889).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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