- Magenkrebs
Magenkrebs (Carcinoma ventriculi), ein bösartiges Gewächs des Magens, das, von der Magenschleimhaut ausgehend, bald in die Magenhöhle hineinwächst, bald eine knotige Verdickung der Magenwand darstellt oder auch gleichmäßig diese durchsetzt, so daß nur eine unscharf begrenzte Verdickung und Verhärtung der Magenwand zustande kommt. Unter allen Organen des Körpers ist der Magen nächst den Geschlechtsorganen des Weibes am häufigsten, in 60 Proz. der Fälle, vom Krebs betroffen. Im ganzen erkranken Männer häufiger an M. als Frauen. Zwischen dem 40. und 60. Jahr ist die Krankheit am häufigsten, doch tritt der M. auch schon zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr auf. Nicht selten entwickelt sich der M. in der Narbe eines vorhergegangenen Magengeschwürs. Der M. entwickelt sich am häufigsten in der Pförtnergegend und an der kleinen Kurvatur, seltener in der Nähe des Mageneinganges oder im Magengrund und an der großen Kurvatur. Da der M. ein gewisses Bestreben zeigt, sich in die Quere auszubreiten, so entstehen leicht ringförmige krebsige Einschnürungen des Magens am Pförtner und am Magenmund. Die Magenkrebse sind bald zellenreicher und weich (Markschwamm), bald zellenärmer und hart (Scirrhus); bald sind ihre Zellen schleimig entartet, wodurch der sogen. Gallertkrebs entsteht. Zuweilen sind sie sehr gefäßreich und sitzen wie Pilze mit breiter Basis der Innenfläche auf (Fungus haematodes, Blutschwamm). Durch Wachstum der anfänglich kleinen Knoten oder nicht scharf umschriebenen Verdickungen entsteht eine großhöckerige Geschwulst, in die allmählich die Schleimhaut in ihrer ganzen Dicke, später auch die Muskelhaut und Serosa des Magens eingeht. Die weichen Magenkrebse breiten sich viel schneller aus als die harten. Beide wachsen, ohne eine Begrenzung zu finden, an ihrer Peripherie und zugleich in der Dicke fort, während ihre mittlern Partien sich schon dem Zerfall zuneigen. Hat nämlich die Geschwulst die freie Schleimhautfläche erreicht, so beginnt sie auf ihrer Oberfläche zu schwärzlichen, zottigen, weichen Massen zu zerfallen, die abgestoßen werden und unter sich ein kraterförmiges Geschwür zurücklassen, das von aufgeworfenen Rändern wie von einem Wall umgeben ist. Von diesem Geschwür aus schreitet der Zerfall der Geschwulst nach außen weiter, das Geschwür erreicht eine oft sehr ansehnliche Größe, dabei kann die krebsige Wucherung so bedeutend sein, daß die Höhle des Magens darmartig verengert ist. Häufig greift die krebsige Entartung des Magens auf die Nachbarorgane über, und durch Zerfall der Krebsmasse können abnorme Kommunikationen zwischen den Höhlen dieser Organe eintreten, z. B. der Höhle des Magens und Grimmdarms. Zerfällt der M. bis zu seinem Bauchfellüberzug, bevor letzterer mit andern Organen verklebt ist, so öffnet sich der Magen nach der Bauchhöhle hin, und es entsteht eine tödliche Unterleibsentzündung. Die Symptome und der Verlauf des Magenkrebses hängen wesentlich von dem Orte seines Auftretens ab, so daß sich zwischen einem M., der den Mageneingang verlegt, und einem solchen, der den Ausgang verschließt, die größten Unterschiede ergeben. Wenn die Krebsgeschwulst zur Verengerung des Pförtners führt, so wird der übrige Magen vor dem Pförtner stark ausgedehnt und seine Wand hypertrophisch (Magenerweiterung). Ist dagegen Verengerung des Mageneinganges durch einen dort sitzenden Krebs vorhanden, so pflegt der ganze Magen zusammengezogen, seine Höhle verengert zu sein; die Erscheinungen können dabei ähnlich denen bei Speiseröhrenkrebs sein (Schluckbeschwerden). Schmerzen können vorhanden sein, aber auch fehlen; vor allem leidet der Kranke in beiden Fällen an schwerer allgemeiner Verdauungsstörung, er magert stark ab und bekommt eine schmutzig gelbgraue (kachektische) Hautfarbe. Meist gesellt sich hierzu Erbrechen, das besonders dann nach jeder Mahlzeit eintritt, wenn der M. am Pförtner sitzt und diesen verengert. Teilweiser Zerfall eines am Pförtner sitzenden und diesen verengernden Magenkrebses kann vorübergehendes Nachlassen des Brechens und der übrigen Krankheitserscheinungen zur Folge haben. Ein M., der nicht am Mageneingang oder Pförtner liegt, kann, da die Nahrungsaufnahme und die Magenentleerung wenig gestört ist, oft lange Zeit ohne sehr erhebliche Beschwerden verlaufen. Die erbrochenen Massen bestehen aus den genossenen, häufig mit dickem Schleim umhüllten Speisen, die mehr oder weniger verändert sind. Bei dem Zerfall der Krebsgeschwulst kommen gewöhnlich leichte kapillare Blutungen vor; das Blut vermischt sich mit dem Mageninhalt, und dieser wird dann als schwärzliche, krümelige, kaffeesalzähnliche Masse erbrochen. Seltener werden beim Zerfall des Magenkrebses größere Gefäße angefressen, und dann kommt es zu reichlichen Magenblutungen mit oft tödlichem Blutbrechen. Das sicherste Zeichen für das Vorhandensein eines Magenkrebses ist das Auftreten einer Geschwulst, die, falls der M. nicht an der hintern Magenwand seinen Sitz hat, am Magen selbst bemerkbar wird; später aber fühlt man auch metastatische, d. h. auf dem Wege der Verschleppung von Krebsgeschwulstkeimen durch die Blut- und Lymphbahnen vom primären M. in das Lebergewebe hinein entstandene Krebsgeschwülste in der Leber durch die Bauchdecken hindurch. Dieses Symptom fehlt jedoch in vielen Fällen von M. Ist die Neubildung ein weicher, zellenreicher Krebs, so ist der Verlauf meist in mehreren Monaten abgeschlossen; der harte Krebs dagegen, und vor allem der Gallertkrebs, kann mehrere Jahre lang bestehen. Der M. endigt niemals anders als mit dem gewöhnlich unter den Zeichen allmählicher Erschöpfung eintretenden Tode, viel seltener nach Durchbohrung der Magenwand und schnell tödlich verlaufender Bauchfellentzündung. Noch seltener führen Magenblutungen den Tod herbei. Die Unterscheidung des Magenkrebses vom chronischen Magenkatarrh und chronischen Magengeschwür ist in den Anfangsstadien des Krebsleidens recht schwierig. Neben der fühlbaren Geschwulst, dem Erbrechen, der Kachexie ist für die Erkennung des Magenkrebses das Fehlen von freier Salzsäure im Mageninhalt nach Nahrungsaufnahme von großer Bedeutung. Dieser Mangel, über dessen Erklärung noch nicht Einstimmigkeit herrscht, ist bei andern Magenkrankheiten jedenfalls selten. Daneben findet sich meist abnorm reichlicher Milchsäuregehalt infolge der Gärung des Mageninhalts, die durch die Abwesenheit der gärungswidrigen Salzsäure und langes Verweilen des Speisebreies im Magen begünstigt wird. Es ist nämlich auch, wenn der Pförtner nicht ergriffen ist, die Entleerungszeit des an Krebs erkrankten Magens verspätet.
Bei der Behandlung des Magenkrebses ist vor allem Regelung der Diät wichtig. Die zweckmäßigste Nahrung ist die Milch, die aber nicht immer vertragen wird; daneben muß andre leichtverdauliche Kost (Eier, Suppen, künstliche Eiweißpräparate u. a.) in häufigen kleinen Mahlzeiten gereicht werden. Wenn alles Genossene sofort wieder erbrochen wird, sind Nahrungsklistiere erforderlich. Die im Magen fehlende oder zu gering vorhandene Salzsäure kann man durch Darreichung von verdünnter Salzsäure wenigstens teilweise zu ersetzen suchen. Bei starker Stauung des Mageninhalts infolge Pförtnerverengerung sind häufige Magenspülungen äußerst nützlich. Auch Einführung von geeigneten antiseptischen Arzneimitteln (Thymol, Salizylpräparate) ist in solchen Fällen nützlich zur Einschränkung der im Magen vor sich gehenden Zersetzungen. Operative Behandlung ist in günstig gelagerten Fällen oft aussichtsreich. Verhältnismäßig selten wird es freilich möglich sein, einen M. durch Entfernung eines Stückes der Magenwand, die Magenresektion (zuerst von Billroth versucht), oder bei Pförtnerkrebs durch die Resectio pylori (Rydigier) völlig zu heilen, da in den meisten Fällen das Leiden nicht mehr scharf umschrieben ist und daher bald nach der Operation Rückfälle eintreten. Bei der Pförtnerresektion wird der Anhang des Zwölffingerdarms an eine Öffnung des Magens angenäht, die nach teilweiser Vernähung der großen Magenwunde in geeigneter Größe zurückbleibt. In vorgeschrittenern Fällen, wo diese Operationen wegen zu großer Ausdehnung des Careinoms nicht mehr ausführbar sind, wo der Pförtner unwegsam geworden und der Hungertod die armen Kranken bedroht, wird der Magendarmschnitt (Gastroenterostomie) von Wölfler oft noch mit Erfolg gemacht, d. h. man bringt eine nicht zu tiefe, leicht bewegliche Dünndarmschlinge an den Magen heran, schneidet in die Wand des letztern und der Darmschlinge eine Öffnung und vernäht Magen und Darm in der Weise, daß die Öffnungen auseinander passen und der Mageninhalt aus dem Magen direkt in den Darm treten kann mit Umgehung des unwegsamen Pförtners. Man lindert damit den Kranken die Schmerzen und rettet sie vom Verhungern, auch wird das Leben dadurch oft erheblich verlängert.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.