Lebensbaum [3]

Lebensbaum [3]

Lebensbaum (Baum des Lebens) und Lebenskraut. Die unverwüstliche Lebenskraft, die der kurzbemessenen des Tieres gegenüber in manchen Bäumen lebt, deren Stämme ein nach vielen Jahrhunderten zählendes Alter erreichen, hat zu einer Personifikation der unerschöpflichen Lebenskraft als lebenverleihender Baum in vielen Religionssystemen geführt, die in den religiösen Schriften eine große Rolle spielen. Der L. der Bibel wächst mitten im Paradies, und das Essen seiner Frucht hätte dem ersten Menschenpaar ein ewiges Leben gesichert; damit ihnen nach dem Sündenfall der Zugang zu demselben verwehrt würde, mußten nach der Austreibung Wachen (Cherubim) vor den Eingang gestellt werden. Wie weit diese Vorstellung von dem Ukkanûbaum der Babylonier, den man oft auf chaldäischen und assyrischen Denkmälern abgebildet sieht, beeinflußt war, bleibe dahingestellt. Letzterer wird in den Keilschrifttexten auch der Baum Eas, der in Eridu wächst, genannt und von zwei adlerköpfigen Dämonen, in spätern Darstellungen auch von zwei Löwen und Drachen bewacht abgebildet. Durch die Sasaniden und Araber drang diese Vorstellung in die mittelalterliche christliche Symbolik ein, und eine im Abteischatz von St. Maurice (Wallis) befindliche derartige Emaildarstellung soll aus den an Karl d. Gr. gesandten Geschenken des Harun al Raschid stammen. In der Religion des Zarathustra wird der L. als der weiße Hone bezeichnet und soll nach dem Zendawesta an einer Quelle auf dem Berge Albordsch als »aller Bäume König« wachsen, von Ferverdin gegen Ahriman bewacht, da seine Frucht nicht nur Lebende unsterblich macht, sondern auch bei der Auferstehung der Toten neues Leben spenden soll. Seine Darstellungen zeigen ihn indessen nicht als eigentlichen Baum, sondern als ein dem Weinstock ähnliches Gewächs, so daß er wohl mit dem Haoma oder Amomon der Griechen und Römer zusammenfällt. Die Inder nannten ihren L. Kalpavriksha und sagten, daß sich ihre Götter durch den Genuß der Früchte in ewiger Jugend erhielten. Es war das also ziemlich die gleiche Vorstellung, wie die der Germanen vom Apfelbaum der Iduna, dessen Früchte den Asen ewige Jugend gaben, und der griechischen vom gleichfalls drachenbewachten Apfelbaum der Hesperiden. Bei den Mohammedanern heißt der L. Sidra oder Tuba und wächst im siebenten Himmel an der rechten Seite des göttlichen Thrones im Paradies. Er wird vom Wächter Risvan bewacht, damit niemand seine Früchte erlangen kann. Er sollte ein irdisches Abbild haben im arabisch-indischen Sidrabaum (Ziziphus jujuba). dessen Blätter die Muslime in das Wasser werfen, mit dem sie ihre Toten waschen. In die christliche Religion drang die Sage vom L. außer durch die schon erwähnten assyrisch-arabischen Bilder durch die im Mittelalter von deutschen, französischen und englischen Dichtern und später von Tirso de Molina, Calderon, Rückert und Seidl episch und dramatisch bearbeitete Sage vom Kreuzholz Christi ein, wonach Seth, als sein Vater Adam sich dem Tode nahe fühlte, nach dem Paradies eilte und von dem Cherub wirklich einen Zweig oder drei Samen vom L. erhielt, die er in den Mund des inzwischen verstorbenen Adam legte, woraus dann der Baum erwuchs, der zum Kreuze Christi, dem neuen L., genommen wurde. Viele kirchliche Bildwerke stellen diese Sage oder den sogen. Stammbaum Christi dar. Zur Ergänzung erzählt Sozomenos, daß der altägyptische L., die Persea, aus deren Wipfel Isis den Toten das Wasser des Lebens spendete, sich zu Hermopolis vor dem Christkinde, welches das ewige Leben verleiht, tief geneigt hatte. Der Name des Lebensbaumes (Arbor vitae) ging später auf den kanadischen L. (Thuja occidentalis) über, den schon Clusius als solchen im Schloßgarten von Fontainebleau bezeichnen hörte, weil er ein Symbol der Unsterblichkeit sei, richtiger wohl ein Symbol der Wiedergeburt, weil er im Winter braunes, verwelkt erscheinendes Laub trägt, das im Frühjahr wieder frisch ergrünt, als ob es sich wieder verjüngte. Neben dem L. kommt in jüdischen, griechischen und deutschen Märchen ein Lebenskraut vor, das Tote wieder belebt, und dessen Gebrauch die Menschen einem Tiere (in der Glaukossage einer Schlange) absahen, das sein Junges damit beleben wollte. Nach altjüdischer Sage schloß Salomo den Standort des Lebenskrautes in ein unzugängliches Felsental ein, nachdem er einen Mann angetroffen, der durch seinen Besitz unsterblich geworden war und doch so gern gestorben wäre. Seitdem ist gegen den Tod kein Kraut mehr gewachsen. Vgl. Wünsche, Die Sagen vom L. und Lebenswasser. Altorientalische Mythen (Leipz. 1905).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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