- Lübeck [1]
Lübeck (Freie und Hansestadt L.), deutscher Freistaat, dessen Gebiet, zwischen 53°32´-54° nördl. Br. und zwischen 10°29´-10°53´ östl. L. gelegen, teils aus einem abgeschlossenen, von der Ostsee, Holstein, dem oldenburgischen Fürstentum L., Lauenburg und Mecklenburg begrenzten Ganzen, teils aus einzelnen Enklaven in Lauenburg, im Fürstentum L. und in Mecklenburg-Strelitz besteht (s. den Stadtplan und Karte »Schleswig-Holstein«). Es wird eingeteilt in die Stadt L. mit den Vorstädten, das Städtchen Travemünde und die Landbezirke. Das Gebiet umfaßt einen Flächenraum von 298 qkm (5,41 QM.) mit (1900) 96,775 (1904: ca. 106,200) Einw., von denen auf die Stadt und Vorstädte 82,098 (1904: ca. 91,300), auf Travemünde 1849, auf die Landbezirke 12,828 Einw. kommen. Von der Bevölkerung waren 1900 nur 53 Proz. im Staate L. geboren, 44,8 Proz. in andern Staaten des Deutschen Reiches, 2,1 Proz. sonst im Auslande (meist in Schweden und Norwegen, Rußland und Österreich). L. enthält 2 Städte, 49 Dörfer, 34 Höfe. Der arrondierte Hauptteil des Gebiets bildet eine Ebene, die nur östlich von der Stadt L. durch einen niedrigen Höhenzug ein welliges Ansehen erhält. Diese Ebene wird von der Trave und deren Nebenflüssen Wakenitz und Stecknitz durchflossen. Die Trave bildet an ihrer Mündung mehrere Buchten (Wyken) und steht durch den Elbe-Travekanal (s. d., Großschiffahrtsweg), der unter teilweiser Mitbenutzung des alten Stecknitzkanals in den Jahren 1895–1900 mit einem Kostenaufwand von ca. 24 Mill. Mk., zu denen Preußen 7,5 Mill. Mk. beigetragen, von L. erbaut worden ist, mit der Elbe in Verbindung. Was die Benutzung des Bodens betrifft, so kamen 1903 auf Äcker und Gärten 57,7 Proz., auf Wiesen 9, auf Weiden 2,8, auf Waldungen 13,6, auf Haus- und Hofräume, Wege, Gewässer 16,9 Proz. des Areals. Die Landwirtschaft wird in derselben Weise wie in Holstein betrieben. In dem die Stadt umgebenden Bezirk ist der Gartenbau nebst Kunst- und Handelsgärtnerei, die bedeutenden Absatz über die See haben, Hauptbeschäftigung. Der Handel und die gewerbliche Tätigkeit konzentrieren sich in der Stadt L. Nach der Berufszählung von 1900 waren im Staate L. 40,2 Proz. der Erwerbstätigen in der Industrie, 29 Proz. in den Handels- und Verkehrsgewerben beschäftigt. Die Verfassung des Freistaats ist republikanisch. Nach der Verfassung vom 7. April 1875 und 9. Aug. 1905 steht die Staatsgewalt dem Senat und der Bürgerschaft gemeinschaftlich zu. Der Senat besteht aus 14 Mitgliedern, von denen 8 dem Gelehrtenstand (davon mindestens 6 Rechtsgelehrte) und unter den übrigen 6 mindestens 5 dem Kaufmannsstand angehören müssen. Wählbar ist jeder Bürger, der das 30. Lebensjahr vollendet hat und im vollen Genuß der bürgerlichen Rechte sich befindet. Die Wahl geschieht durch eine für jeden Erledigungsfall besonders zu ernennende, aus einer gleichen Zahl von Mitgliedern des Senats und der Bürgerschaft bestehende Kommission. Der Erwählte bekleidet sein Amt lebenslänglich. Der Vorsitzende des Senats, den dieser selbst aus seiner Mitte auf je zwei Jahre wählt, führt während dieser Zeit den Titel Bürgermeister mit dem Prädikat Magnifizenz. Dem Senat als Regierung steht die Aussicht über sämtliche Zweige der Verwaltung und über die Justizbehörden zu; ihm und der Stadt leisten die Bürger den Eid der Treue; er bewahrt Siegel und Archive der Stadt; er ernennt und beeidigt den größten Teil der Staatsbeamten, übt das Begnadigungsrecht und unter Mitwirkung der Bürgerschaft das Recht der Gesetzgebung. Die Bürgerschaft besteht aus 120 Mitgliedern; Wähler und wählbar ist jeder im vollen Genuß der bürgerlichen Rechte stehende Staatsbürger, der das 25. Lebensjahr vollendete, seit dem 1. April des vierten dem Jahre der Wahl vorangehenden Jahres dauernd seinen Wohnsitz im lübeckischen Staatsgebiete gehabt und während dieser Zeit alljährlich Einkommensteuer bezahlt hat. Die Wahlen geschehen in zwei Abteilungen, und zwar wählen in der ersten Abteilung diejenigen Bürger, die in den letzten drei Steuerjahren vor der Wahl durchschnittlich mehr als 2000 Mk. versteuert haben, 105, in der zweiten Abteilung alle übrigen 15 Vertreter. Die Bürgerschaftsmitglieder bekleiden ihr Amt sechs Jahre und werden alle zwei Jahre durch Neuwahlen zum dritten Teil ergänzt. Ein von der Bürgerschaft aus ihrer Mitte auf zwei Jahre gewählter und alljährlich zur Hälfte durch Neuwahlen zu ergänzender Ausschuß von 30 Mitgliedern übt die Rechte der Bürgerschaft aus bei Geldbewilligungen bis zur Höhe von 6000 Mk. auf einmal oder 300 Mk. jährlich und bei Fragen über Erwerb oder Veräußerung von Grundstücken bis zu einem Wert von 12,000 Mk. Außerdem liegt dem Bürgerausschuß die vorgängige Begutachtung aller an die Bürgerschaft zu richtenden Senatsanträge ob. L. gehört zum Bezirk des hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg und ist Sitz eines mit dem großherzoglich oldenburgischen Fürstentum L. gemeinsamen Landgerichts sowie eines Amtsgerichts, Gewerbe- u. Kaufmannsgerichts. Die hauptsächlichen Zweige der Staatsverwaltung stehen unter der Leitung von besondern Behörden (Departements oder Deputationen), zusammengesetzt aus Mitgliedern des Senats, deren eins den Vorsitz führt, und aus bürgerlichen Deputierten; mehrere Behörden, wie das Polizeiamt, das Medizinalamt und das Stadt- und Landamt, werden ausschließlich aus Mitgliedern des Senats gebildet. Das Staatsbudget für 1905 war in Einnahme und Ausgabe auf 7,646,972 Mk. festgesetzt. Neben dem Staatsbudget steht ein solches der Stadt, das zuzüglich derjenigen der öffentlichen Wohltätigkeitsanstalten mit 3,396,318 Mk. balanciert. Unter den Staatseinnahmen betrugen: Zinsen 492,250 Mk., direkte Steuern 2,707,000, indirekte Steuern 1,474,980, Ertrag der Domänen 720,897 Mk. Hauptsächlichste Steuer ist die 1870 eingeführte Einkommensteuer, deren Ertrag für 1905 auf 2,365,000 Mk. angesetzt war. Daneben waren die Hafenabgaben auf 433,700 Mk., der Anteil an den Zöllen und Stempelabgaben des Reiches auf 368,230 Mk. berechnet. Dagegen betrug der für L. ausgeschriebene Matrikularbeitrag 459,770 Mk. Die Staatsschuld betrug Anfang 1905: 41,273,520 Mk. L. führt eine Stimme im Bundesrat und entsendet einen Abgeordneten zum deutschen Reichstag. Über das gesamte Kirchenwesen übt der Senat die Oberaufsicht aus. Das Kirchenregiment in der evangelisch-lutherischen Kirche wird in seinem Auftrage von dem Kirchenrat wahrgenommen; die Kirchengemeinden in ihrer Gesamtheit werden durch die Synode vertreten. Man zählte 1900: 93,671 Evangelische, 2190 Katholiken, 670 Israeliten und 244 sonstige Christen und Einwohner unbekannter Konfession. Das Schulwesen, dessen Verhältnisse durch das Gesetz vom 17. Okt. 1885 neu geregelt worden sind, steht unter der Leitung der Oberschulbehörde. Die Ausgaben für Schulzwecke waren für 1905 auf 1,726,033 Mk. veranschlagt. Das Wappen Lübecks (s. Tafel »Wappen I«, Fig. 10) ist der zweiköpfige rotbewehrte schwarze Adler mit einem weiß über rot geteilten Brustschild. Im großen Staatswappen erscheint der Adler in einem goldenen Schilde, der von zwei naturfarbenen Löwen gehalten wird. Die Landesfarben sind Weiß und Rot (s. Tafel »Deutsche Flaggen« im 4. Bd.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.