- Junĭus, Briefe des
Junĭus, Briefe des, eine Reihe von Briefen, die unter dem Pseudonym Junius im »Public Advertiser« in London zuerst 21. Nov. 1768 und in fortlaufender Folge vom 21. Jan. 1769 bis zum 12. Mai 1772 erschienen und König, Minister, Parlament, Gerichtshöfe und Staatsbeamte, die Umtriebe und Kämpfe der Whigs und Tories mit schonungsloser Satire, aber mit Geist, Sachkenntnis und Beredsamkeit geißelten; ihre Hauptangriffe sind gegen den Herzog von Grafton und Lord North gerichtet. Übrigens atmen sie ganz den monarchischen Geist der britischen Verfassung und machen sich nicht selten der Parteilichkeit wie des Mangels an Freisinnigkeit schuldig. Die Schreibart, bei der tiefe, aus getäuschten Hoffnungen entstandene Bitterkeit die Feder geführt zu haben scheint, ist gedrängt, oft epigrammatisch, aber immer klar und präzis im Ausdruck und reiht den Verfasser unter die ersten Prosaisten Englands. Die Briefe wurden bald nach ihrem Abdruck im »Public Advertiser« von dessen Verleger, Woodfall, in Buchform publiziert (Lond. 1772). Ein Prozeß, den die Regierung 1770 der Briefe wegen gegen Woodfall anhängig machte, wurde niedergeschlagen und gab zu der Bestimmung Veranlassung, daß in Kriminalprozessen wegen eines Libells nur ein Geschwornengericht zuständig sei. Die wichtigsten Ausgaben der Briefe sind die Londoner von 1783 und 1812–14 und die von Wade (Lond. 1849, 2 Bde.; neue Aufl.: Bd. 1, 1873; Bd. 2, 1869). Eine französische Übersetzung erschien in Paris 1791, eine deutsche von Arnold Ruge (3. Aufl., Leipz. 1867). Über den Verfasser erschöpfte man sich bald nach dem Erscheinen der Briefe in Mutmaßungen aller Art; mehr als 30 verschiedene Personen hatte man im Verdacht, darunter den General Lee, Grattan, Burke, den Dichter Richard Glover, den Herzog von Portland, Lord Temple u. a. Auch in neuester Zeit hat der Streit darüber fortgedauert. Coventry (»Critical inquiry into the letters of Junius«, Lond. 1825) und später Jacques (»History of Junius and his works«, das. 1843) suchen ihn in dem aus dem Siebenjährigen Kriege bekannten Lord Sackville. Sir David Brewster glaubte an die Autorschaft eines gewissen Laughlin Maclean, der 1773 Generalkriegskommissar war und 1777 bei der Rückkehr aus Westindien verunglückte, fand aber damit wenig Anklang. W. Cramp (»Junius and his works«, Lond. 1851) erklärte den bekannten Lord Chesterfield, die »Quarterly Review« 1852 den berüchtigten Wüstling Lord Thomas Lyttleton (gest. 1779 durch Selbstmord) für den Verfasser der Juniusbriefe. Weiter sprachen sich J. Britton (»The authorship of the letters of Junius elucidated«, Lond. 1848) für den Obersten Barré und Symons (»William Burke, the author of Junius«, das. 1859) für den Bruder des bekannten Edmund Burke aus. Am meisten Wahrscheinlichkeit hatte von vornherein die 1816 von Taylor (»Junius identified«, Lond. 1816) aufgestellte Ansicht, daß Sir Philip Francis (s. d.) Junius sei; ihr schlossen sich 1841 Macaulay, 1850 Sir F. Dwaris an. Sie wurde durch die von dem Schreibverständigen Chabot vorgenommene Untersuchung der hinterlassenen Briefe von Francis sowie der Korrespondenz zwischen Junius und Woodfall und der im Britischen Museum erhaltenen Korrekturbogen der Juniusbriefe in dem Prachtwerk »The handwriting of Junius professionally investigated« (Lond. 1873, mit einem Vorwort von Edw. Twisleton) überzeugend begründet. Vgl. auch F. Brockhaus, Die Briefe des J. (Leipz. 1875); G. H. R. Francis, Junius revealed by his surviving grandson (Lond. 1894).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.