Hottentotten

Hottentotten

Hottentotten (»Stotterer«) wurden von den Holländern die afrikanischen Urbewohner am Kap der Guten Hoffnung wegen der Schnalzlaute in ihrer Sprache genannt. Sie bilden mit den Buschmännern zusammen eine eigne, von den Negern streng geschiedene Menschenrasse (s. Tafel »Afrikanische Völker II«, Fig. 6 u. 7) und bezeichnen sich selbst als Khoi-Khoin, was »Menschen der Menschen« (d. h. Urmenschen), vom Singular Khoi-Khoip, bedeutet. Die H. wurden durch Kaffervölker aus ihren früher nördlicher gelegenen Sitzen nach Süden gedrängt. Sie sind heute nur noch eine Völkerruine. Die H. zerfallen in zwei Gruppen. Zur ersten, den eigentlichen H., zählen die Nama (Singular Namab) und die mit Kaffern und Europäern stark gemischten Korana (Kora, Koraqua); die Griqua sind Mischlinge der H. und Weißen. Zur zweiten Gruppe zählen die Sân oder Buschmänner (s. d.). Die Zahl aller unvermischten H. dürfte heute gegen 60,000 betragen; in der Kapkolonie leben (1891) 51,850, in Deutsch-Südwestafrika etwa 7000. Die H. haben eine fahle, gelbbraune Hautfarbe, sehr krauses, verfilztes Haar, eine schmale Stirn, stark nach der Seite vortretende Backenknochen, ein spitzes Kinn und einen mittlern (160–163 cm), hagern Körperbau mit auffallend schwachen Gliedmaßen; Hände und Füße sind klein, die Schädelform läßt sich, von vorn betrachtet, mit einem auf die Spitze gestellten Ei vergleichen. Eine bei den Männern nur seltene, bei den Weibern ziemlich allgemeine Eigentümlichkeit ist die Steatopygie, eine außerordentliche Entwickelung der Fettpolster des Gesäßes. Auch die Verlängerung der labia minora und des praeputium cluoridis (Hottentottenschürze) werden als Rassenmerkmale der H. angeführt, obwohl sie bei den verschiedensten Völkern vorkommen und bei einigen (so bei den abessinischen) sogar Veranlassung zur Beschneidung gegeben haben. Die frühere Kleidung aus Fellen ist längst der europäischen Tracht gewichen. Die Frauen winden um den Kopf bunte Tücher und tragen Kupfer- und Messingringe, Eisenspangen, seitdem das teure Elfenbein verschwunden ist. Den Körper reiben sie mit Fett und Ocker ein. Die Sprache der H. zerfällt in drei Dialekte: den Nama-, Kora- und Kapdialekt, welch letzterer jedoch, mit Ausnahme geringer Überreste in den östlichen Grenzdistrikten, jetzt ausgestorben ist. Mit einigen Kaffernsprachen, noch genauer mit dem Buschmännischen stimmt sie in dem Gebrauch gewisser Schnalzlaute überein; mit dem Altägyptischen und andern nordafrikanischen sowie mit den semitischen und indogermanischen Sprachen hat sie die Unterscheidung von drei Geschlechtern gemein. Wahrscheinlich bildete die Sprache der H. mit dem Buschmännischen den letzten Rest einer einst weitverbreiteten Sprachfamilie. Grammatiken des Namadialekts lieferten Wallmann (Berl. 1857), Tindall (Kapstadt 1870, mit Vokabular), Th. Hahn (Leipz. 1870), Fr. Müller (»Grundriß der Sprachwissenschaft«, 2. Bd., Wien 1877), Schils (Löwen 1891), Seidel (Wien 1892), ein Nama-deutsches Wörterbuch Olpp (Barm. 1888); eine Grammatik des Koradialekts Wuras (in Appleyards »Kafir language«, King Williamstown 1850); eine vergleichende Grammatik der drei Dialekte BleekComparative grammar of South-African languages«, Lond. 1862–69, 2 Bde.); einen »Wortschatz der Khoi-Khoin« Krönlein (Berl. 1889). Interessante Proben hottentottischer Tiermärchen enthält Bleeks »Reineke Fuchs in Afrika« (Weim. 1870).

Die frühern Waffen: Bogen und vergiftete Pfeile, Assagai (Wurfspieß), Kiri (Wurfkeule) und schwere Stöcke aus Eichenholz sind jetzt durch Gewehre verdrängt worden. Wie alle Afrikaner verstanden die H. das Eisen zu schmelzen. Ihre Hütten, aus Holzgerüst mit kunstvoll geflochtenen Binsenmatten in Bienenkorbform, werden beim Wechsel der Weidegründe schnell abgebrochen und auf Packochsen verladen, doch tritt neben diesem nach dem Beispiel der Bastards mehr und mehr das Lehmhaus auf. Viehzucht und Jagd sind Hauptbeschäftigungen der Männer, die den Frauen den größten Teil der Arbeit überlassen, doch ist die Frau unbeschränkte Herrin im Hause. Das Alter wird im hohen Maße geehrt. Die Nahrung besteht in Milch und Fleisch, und wo diese, wie häufig, fehlen, in Wurzeln, Zwiebeln etc., die sie mit wunderbarem Scharfsinn aufzuspüren verstehen. Der früher verbotene Genuß des Hafen ist jetzt allgemein geworden. Für den Genuß von Branntwein und Tabak gibt der Hottentotte alles hin. Das Temperament der H. ist vorwiegend sanguinisch, und bei dem Leichtsinn ihres Charakters entsteht eine Unberechenbarkeit der Handlungsweise, die ihre guten Eigenschaften, persönlichen Mut und Intelligenz, Bereitwilligkeit, dem Bedrückten und Hilfsbedürftigen beizustehen, und Gastfreundschaft, völlig lahmlegt. Sie sind meist heiterer Laune, lieben die Geselligkeit, Tanz und Schmausereien. Die Leichtigkeit aber, die Sitten und noch mehr Unsitten der Europäer anzunehmen, führt sie dem Rassentod entgegen. Die Moral der H. ist gering. Wankelmut, Großmannssucht, Lügen, Diebstahl und Sinnlichkeit sind ihre Hauptlaster. Von ihrer Begabung zeugen die Leichtigkeit, mit der sie sich fremde Sprachen aneignen, sowie die dem eignen Verständnis entsprechend umgestalteten Fabeln von Reineke Fuchs, seine Skulpturen u. a. Die Armut des Landes aber, in das sie gedrängt wurden, hat ihre weitere geistige Ausbildung und volkliche Entwickelung verhindert. Die Verfassung ist patriarchalisch; jede kleine Vereinigung, bis auf die Familie herab, hat ihren Vorsteher oder Ältesten, während einer von diesen wieder die Oberhoheit über alle zum Stamm zählenden kleinern Abteilungen besitzt. In ihren religiösen Vorstellungen ist der große »Kapitän« Tsuigoab (»Wundknie«) der mit besonderer Macht ausgestattete Geist eines höhern Häuptlings. Man findet auch Mond-, Stern- und Tierkultus. Die Verehrung der überirdischen Mächte geschieht durch Anrufungen und Opfer, d. h. man bringt ihnen Vieh dar, deren Fleisch von den Opfernden genossen wird. Ein großer Teil der H. hat den christlichen Glauben angenommen. Vgl. Karte bei Art. »Kapkolonien«; G. Fritsch, Die Eingebornen Südafrikas (Bresl. 1873): Ratzel, Völkerkunde, Bd. 1 (2. Aufl., Leipz. 1894); Schinz, Deutsch-Südwestafrika (Oldenb. 1891).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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