Hämoglobinurīe

Hämoglobinurīe

Hämoglobinurīe (griech.-lat.), Ausscheidung von gelöstem Blutfarbstoff ohne Blutkörperchen durch den Harn. Der gelöste Farbstoff ist Methämoglobin, das beim Stehen des Harns zu Hämoglobin und weiter zu Oxyhämoglobin wird. Der Harn ist braunrot bis schwarzrot und gibt beim Kochen rostbraune Gerinnsel. H. tritt besonders auf bei Vergiftung mit Arsenwasserstoff, chlorsaurem Kali, Pyrogallussäure, Salz- und Schwefelsäure, Morchelgift, nach ausgedehnten Verbrennungen, selten bei schweren Infektionskrankheiten, bisweilen anfallsweise nach Erkältungen und Durchnässungen, angestrengtem Laufen und Gehen. – Die H. ist auch eine altbekannte Krankheit der Rinder, die anscheinend in ganz Europa verbreitet ist und deren Identität mit in Amerika und Afrika ebenfalls weitverbreiteten Krankheiten neuerdings erkannt wurde, nachdem man den Krankheitserreger entdeckt hat. H. wird erzeugt durch einen tierischen Blutschmarotzer aus dem Kreise der Sporozoen, Pyrosoma oder Piroplasma bigeminum, das in den roten Blutkörperchen lebt und mehr oder weniger große Mengen derselben zerstört (vgl. Hämosporidien). Deren freiwerdender Farbstoff, das Hämoglobin, geht in das Blutwasser über, gelangt zur Ausscheidung durch den Urin (daher der Name) und färbt diesen hellrot bis schwarzrot, so daß er wie blutig aussieht, ohne wirklich Blut (-Körperchen) zu enthalten. Diese abnorme Urinfärbung bildet zunächst das auffälligste Krankheitssymptom, zu dem sich später die allgemeinen Folgen der Blutverschlechterung: Mattigkeit, mangelnder Appetit, anfangs Fieber, Diarrhöe und Verstopfung, steifer, schwerfälliger Gang und in etwa 10–15 Proz. der Fälle Tod an Erschöpfung, gesellen; in den übrigen erfolgt Genesung nach etwa 14 Tagen. Genesene Tiere sind gegen neue Erkrankung, wenn auch nicht absolut, geschützt; frisch in eine Gegend eingeführte und junge Tire erkranken am ehesten. In manchen Gegenden sollen die Verluste 30–40 Proz. betragen und die ganze Rinderhaltung gefährden. Die H. tritt im Stalle selten, dagegen augenfällig in Verbindung mit dem Weidegang, und zwar besonders auf gewissen Weiden, namentlich im oder am Wald auf, ist daher in manchen Gegenden stationär und oft seuchenartig verbreitet. Dies erklärt sich aus der Entstehung, bez. Übertragung der Krankheit. Ihre Verbreitung erfolgt nämlich durch Zecken (Boophilus bovis u. a.), in Nordeuropa durch Ixodes reduvius. Diese saugen das Blut und übertragen die Keime der Parasiten auf ihre Eier, bez. Brut. Indem die neue Zeckengeneration wiederum Rinder befällt und von ihnen Blut saugt, wird der Ansteckungsstoff in das Blut gebracht und erzeugt dort wieder die Krankheit (vgl. Texasfieber). In welcher Form und auf welchem Wege die parasitären Keime in die Zeckeneier gelangen, ist nicht festgestellt; sie sind darin auch nicht gefunden (auch ist eine künstliche Übertragung der H. durch Eier nicht möglich). Festgestellt ist nur, daß die aus den Eiern hervorgehenden Larven die H. auf gesunde Rinder übertragen. Künstliche Übertragung von einem Rind auf das andre läßt sich auch durch direkte Blutüberimpfung bewirken. Ob eine solche direkte Übertragung mittels Blut auch auf natürlichem Wege durch Stechmücken erfolgen kann, ist für Europa nicht bekannt (vgl. Texasfieber). Tierärztliche Behandlung der H. ist zu empfehlen. Als Vorbeugung gegen die Verbreitung der H. empfiehlt sich Absammeln der vollgesogenen Zecken (die ein Tropfen Petroleum tötet). Eine Schutzimpfung scheint Aussicht auf Erfolg zu bieten (vgl. »Arbeiten des Kaiserlichen Gesundheitsamtes«, Bd. 20); der Impfstoff wird zurzeit (Sommer 1904) im Pathologischen Institut der tierärztlichen Hochschule in Berlin hergestellt. – H. ist in Deutschland unter den Namen Blutharnen, Holzkrankheit, Weiderot, Rotnetzen, Maiseuche in den verschiedenen Gegenden bekannt. In Norwegen tritt sie als Rödsyge (Rotseiche) auf; die übertragende Zecke ist hier Ixodes hexagenus. In Finnland tritt H. bösartig auf und tötet 30–50 Proz. der Erkrankten, ebenso in Südrußland, der Türkei, Rumänien (blutige Magendarmentzündung und Milzschwellung) und Italien. Hier ist sie sehr verbreitet, heißt Rindermalaria, volkstümlich Fischblut, soll durch Mücken übertragen werden und ist auch mit Milzbrand (und hämorrhagischer Septichämie) verwechselt worden. In Portugal heißt sie Rost, in Frankreich Hematurie oder Mal du bois. In Amerika und Afrika ist die H., wenn auch mit gewissen Besonderheiten, ebenfalls weitverbreitet und am bekanntesten unter dem Namen Texasfieber (s. d.). Über ätiologisch ähnliche Krankheiten andrer Tiere vgl. Piroplasmose.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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