Golīzyn

Golīzyn

Golīzyn (spr. ga-; auch Galizyn, Gallitzin, Galitzin und Galitzine), fürstliche Familie Rußlands, stammt von Gedimin, Großfürsten von Litauen, bem Stammvater der Jagellonen, ab. Ein Nachkomme, Iwan, auch Bulgak genannt, soll von seinen Lederhandschuhen (golitza) den Beinamen erhalten haben. Die namhaftesten Glieder der Familie sind:

1) Michail Iwanowitsch Bulgakow, Sohn Iwans, kämpfte gegen die krimschen Tataren und gegen die Litauer, wurde 1514 in der Schlacht bei Orscha von dem polnischen Fürsten Konstantin von Ostrog gefangen genommen und erst 1552 freigegeben, worauf er, obgleich Günstling des Zaren, in das Dreieinigkeitskloster bei Moskau ging, wo er bald darauf starb.

2) Wasili Wasiljewitsch, Urenkel des vorigen, gehörte nach dem Tode des falschen Demetrius 1613 zu den vier russischen Kronprätendenten. Nach Polen gesandt, um dem polnischen Prinzen Wladislaw seine Erhebung zum Zaren zu verkündigen, wurde er von den Polen des Verrats bei der Belagerung von Smolensk angeklagt und starb 1619 im Kerker.

3) Boris Alexejewitsch, geb. 1641, gest. 1713, Vetter des folgenden, Peters d. Gr. Erzieher, dann Regentschaftsrat, rettete seinem Zögling in der von dessen Schwester Sophia erregten Verschwörung das Leben und stand deshalb bei ihm in großer Gunst.

4) Wasili Wasiljewitsch, der große G. genannt, Großneffe von G. 2), geb. 1643, gest. 1714, befehligte gegen die Kosaken am Dnjepr und wurde 1680 Minister. Er hob das Mjestnitschestwo (s. d.) auf und organisierte die Armee. Als Günstling der Zarewna Sophia, Schwester Peters d. Gr., regierte er fast unumschränkt, unterdrückte die 1682 von den Strelitzen gegen die Regentin versuchten Aufstände und wurde Großsiegelbewahrer. Er begünstigte Künste und Wissenschaften und war europäisch gebildet. Weil er gegen die Tataren der Krim keine Erfolge hatte, wurde er 1689 mit der Zarewna gestürzt und nach Jarensk verbannt.

5) Dmitri Michailowitsch, ausgezeichneter Staatsmann, war Gesandter in Konstantinopel, dann Direktor der Finanzen des Reiches und zuletzt Haupt der aristokratischen Partei, die nach dem Tode Peters II. die Erhebung Anna Iwanownas zur Kaiserin bewirkte. Da er aber dieselbe eine die kaiserliche Macht beschränkende Akte hatte unterschreiben lassen, fiel er bei ihr in Ungnade und starb im Kerker zu Schlüsselburg 1738.

6) Michail Michailowitsch, einer der berühmtesten Feldherren Rußlands, geb. 11. Nov. 1674, gest. 21. Dez. 1730 in Moskau, Bruder des vorigen, kämpfte gegen Türken und Schweden mit Auszeichnung und nahm Schlüsselburg ein, siegte über Löwenhaupt bei Ljesnaja und eroberte 1714 Finnland, dessen Gouverneur er bis 1721 war. Er war dann Gouverneur von Petersburg, kommandierte 1723 gegen die Türken, wurde 1724 Feldmarschall und 1730 von der Kaiserin Anna zum Präsidenten des Kriegskollegiums ernannt.

7) Alexander Michailowitsch, Sohn Michails, zeichnete sich im Siebenjährigen Krieg aus. Er befehligte 1768 die erste Armee am Dnjestr, eroberte 1769 Chotin und starb als Feldmarschall und Gouverneur von Petersburg 1783.

8) Dmitri Alexejewitsch, geb. 1735, gest. 21. März 1803 in Braunschweig, Sohn des vorigen, war unter Katharina II. russischer Gesandter im Haag und in Paris, Freund Voltaires und der Enzyklopädisten. Er schrieb: »Description de la Tauride« (1788) u.a. – Seine Gemahlin Adelheid Amalie, geb. 28. Aug. 1748 in Berlin, gest. 27. April 1806 in Angelmodde bei Münster, Tochter des preußischen Generals Grafen von Schmettau und dessen zweiter katholischer Gemahlin, Maria Anna v. Ruffert, wurde katholisch erzogen und verlebte einen Teil ihrer Jugend am Hofe des Prinzen Ferdinand von Preußen. In Münster lebte sie, seit 1768 mit G. vermählt, in einem Kreis von Gelehrten und Dichtern, dem Fürstenberg, Hemsterhuis und Hamann angehörten. Sie war die Diotima, an die Hemsterhuis unter dem Namen Diokles seine »Lettre sur l'athéisme« (1785) richtete. Die Fürstin war eine eifrige Proselytenmacherin und hatte an des Grafen Friedrich von Stolberg Übertritt zum Katholizismus einen Hauptanteil. Ihr Sohn Dmitri ging 1792 als Missionar nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo er 1840 starb. Vgl. Katerkamp, Denkwürdigkeiten aus dem Leben der Fürstin Amalia von Gallitzin (Münst. 1828); »Mitteilungen aus dem Tagebuch und Briefwechsel der Fürstin Gallitzin« (Stuttg. 1868); »Fürstin Amalie von Galitzin, Briefwechsel und Tagebücher« (Münst. 1874–76, 3 Bde.; der dritte Band enthält die Briefe der Fürstin an Hemsterhuis); Galland, Die Fürstin Gallitzin und ihre Freunde (Köln 1880).

9) Alexander Nikolajewitsch, geb. 1774, gest. 22. Nov. 1844, Jugendgefährte Alexanders I., dessen einflußreicher Ratgeber er war, wurde 1803 Oberprokurator des Synods und 1817 Minister der Volksaufklärung, 1824 durch die reaktionäre Geistlichkeit gestürzt, dann Generalpostdirektor. Vgl. P. v. Götze, Fürst A. N. Galitzin und seine Zeit. Aus den Erlebnissen des Geheimrats Peter v. Götze (Leipz. 1882).

10) Nikolai Sergejewitsch, russ. Historiker und Generalleutnant, geb. 1808, gest. 15. Juli 1892, war Direktor der Rechtsschule in St. Petersburg, dann Professor an der Nikolai-Akademie des Generalstabs. Sein Hauptwerk ist die »Kriegsgeschichte seit den ältesten Zeiten« (»Wojénnaja istórija s drewnéischich wremjón«, 1872 ff.; deutsch von Streccius und Eichwald, Kaff. 1874–89, 13 Bde.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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