- Gesar-Sage
Gesar-Sage, großes Nationalepos der Buddhisten Zentralasiens, besonders der Mongolen und der Tibeter, in sieben Büchern, besingt die Kämpfe Gesars (Kesars), des zweitgebornen Sohnes Indras, der im Auftrag Buddhas auf die Erde gesandt wird, um Frieden und Recht zu schaffen. Er kommt auf übernatürliche Weise als Sohn einer vertriebenen Königstochter von Tibet und des greifen Fürsten Sanglun zur Welt, wächst in abschreckend häßlicher Menschenhülle und von allen, außer seinem Bruder Schikir, verkannt und mißachtet auf, geht aber aus allen Kämpfen und den Anschlägen seines Oheims Tschotong, des bösen Prinzips der Sage, ruhmvoll hervor. Mit 13 Jahren gewinnt er durch List ein Mädchen von seltener Schönheit, Aralgo, zur Frau. Als zweite Gattin erringt er im Kampfspiel die ritterliche Prinzessin Rogmo, der er sich auf dem Lager in seiner übernatürlichen Gestalt offenbart. Hiermit schließt das erste Buch. Die drei folgenden Bücher besingen die Überwindung eines Drachen und die Kämpfe um eine dritte Gemahlin, die Tochter des Kaisers von China, an dessen Hof Gesar drei Jahre weilt. Dann auf magische Weise benachrichtigt, daß Aralgo von einem Riesen geraubt ist, besteigt Gesar sein Zauberroß und befreit seine Gemahlin, die ihm nun, um ihn an sich zu fesseln, den Trank der Vergessenheit eingibt. Das fünfte, bedeutendste Buch der Sage füllt die Erzählung vom Schiraigolschen Krieg, die auf geschichtlichen Grundlagen beruhen mag. Anlaß zum Kriege gibt der Fürst von Schiraigol, der in Tibet einfällt, um Rogmo zu rauben, während Gesar durch Zaubertränke Aralgos auf der Riesenburg bei ihr zurückgehalten wird. Die Tibeter stehen zu Rogmo und sind anfangs siegreich; als aber der beste ihrer Helden, Schikir, erschlagen ist, bemächtigt sich ihrer allgemeine Verwirrung. Tschotong liefert Rogmo aus und besteigt selbst den Thron, während er die Eltern Gesars zu den niedrigsten Diensten verurteilt. Endlich nach neun Jahren ermannt sich Gesar und zieht gegen Tibet. Zorn entflammt ihn, als er die Mutter erblickt mit von Laststricken durchgeriebener Schulter; durch sie erfährt er alles. Mit List macht er zunächst seinen Oheim Tschotong zum Gefangenen; dann sucht er Rogmo dem Fürsten von Schiraigol zu entreißen, die aber diesem inzwischen ihre Liebe geschenkt hat. Als endlich das Geschlecht von Schiraigol vernichtet ist, wird sie für ihre Untreue bestraft, aber auf Bitten des von Gesar in den Himmel versetzten Schikir bald begnadigt; dann tritt Gesar mit ihr den Rückweg nach Tibet an und lebt dort »ruhig in Götterfreude«. Ein späterer Überarbeiter des Epos spinnt den Kampf Gesars um Rogmo zu zwei weitern langatmigen Büchern aus, die unter anderm eine Höllenfahrt Gesars schildern und mit der Verstoßung Rogmos enden. Im einzelnen ist die Sage mit buddhistischen Anschauungen überkleidet; den Kern aber scheinen doch uralte Mythen und Heldensagen zu bilden. Es ist noch unbestimmt, wo die G. entstanden ist, sehr wahrscheinlich war es aber Tibet. Von hier ist ein bändereiches Exemplar in Versen zuerst durch die Brüder Schlagintweit nach Europa gekommen (vgl. Schiefner im Bulletin der Petersburger Akademie, 1864 u. 1871). Von der mongolischen kürzern Fassung gab eine Übersetzung J. F. Schmidt: »Die Taten Bogda Gesar-Chans« (Petersb. 1839). Vgl. Schott, Über die Sage von Gesar (Berl. 1851). Eine der vielen in Westtibet lebenden Volkssagen von Gesar gab Missionar Franke 1899 in den »Mémoires de la Société finno-ougrienne« heraus.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.