Gedächtnisschwäche

Gedächtnisschwäche

Gedächtnisschwäche (griech. Amnesie). Das Gedächtnis ist, wie alle geistigen Tätigkeiten, gewissen Schwankungen und Erkrankungen unterworfen, von denen die G. die wichtigste, weil am häufigsten auftretende ist. Sie kommt bei geistig schlecht beanlagten Personen (Schwachsinnigen) angeboren vor; überaus häufig beruht aber der Verlust der Erinnerung auf einer nachweisbaren Erkrankung der grauen Rindensubstanz des Gehirns, in der die »Erinnerungsbilder« der von außen kommenden seelischen Eindrücke niedergelegt werden. Man muß annehmen, daß in der grauen Rinde, bez. in den dort gelegenen Ganglienzellen dem Gehirn zufließende Erregungen (Empfindungen) dauernd materielle Spuren hinterlassen, die mit der Erkrankung oder gar Zerstörung jener Gehirnteile unsicher werden oder vollkommen schwinden. Bei herdweiser Erkrankung der Großhirnrinde, z. B. bei Schlaganfällen oder Vereiterungen, geht daher auch nur ein Teil der Erinnerung, z. B. bestimmte Redeteile oder die Bedeutung einzelner Wörter, verloren (vgl. Aphasie); diese partielle G. ist mitunter heilbar; auch bei der Melancholie, bei Tobsucht und andern Geisteskrankheiten kehrt die Erinnerung wieder zurück. Dauernd wird die G. bei greifen Personen, die namentlich Erlebnisse der letzten Jahre leicht aus dem Gedächtnisschatz verlieren, während nicht selten Bilder aus früher Jugendzeit noch in alter Lebendigkeit erhalten sind. Es beruht dies auf verminderter Eindrucksfähigkeit der grauen Rindensubstanz des Gehirns, während beim Schwachsinn, Blödsinn, ebenso bei der progressiven Paralyse der G. wohl Gehirnschwund zugrunde liegt. Krankhafte G. findet man bei längerm Gebrauch von Bromsalzen sowie bei der Epilepsie. Auch bei Gehirnerschütterungen und bei Erhängten, die wiederbelebt werden, zeigt sich oft bedeutender Erinnerungsdefekt für die Zeit während, ja sogar vor dem Unfall. Gewöhnlich schwindet diese G. wieder. Das, was man als periodische Amnesie oder Doppelbewußtsein (s.d.) bezeichnet hat, beruht auf dem zeitweisen Eintreten hypnotischer Zustände; es ist somit dieses Doppelleben eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit, das mit der G. an sich nichts zu tun hat. – Einen anomalen, aber von vielen Beobachtern beschriebenen Zufall bildet die plötzliche Wiederkehr ganzer Bestandteile der verschwundenen Erinnerung in bestimmten Krankheiten, die eine Erregung bestimmter Gehirnteile zur Folge haben. Sogar gänzlich verlorne Sprachfähigkeiten sollen in derartigen Fällen wieder ausgelebt sein. Hierher gehört auch die Erinnerungsflut bei künstlicher Erregung des Organs durch erregende oder narkotische Genußmittel, wie Wein, Opium oder Haschisch, die man, falls es sich um eingebildete, d. h. um in Wirklichkeit niemals vorhanden gewesene Erinnerungsbilder handelt, als Pseudamnesie oder auch, falls es sich um so weit zurückgelegene angebliche Erinnerungen handelt, daß das normale Gedächtnis sich derselben gar nicht erinnern könnte, als Hypermnesie bezeichnet (s. Hypnotismus).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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