- Fischart
Fischart, Johann, namhafter deutscher Satiriker, geb. zwischen 1545 und 1551 in Straßburg, gest. 1590 oder Anfang 1591 in Forbach, war der Sohn eines Würzkrämers Johann Fischer, der, da er aus Mainz stammte, den Beinamen Mentzer annahm, den auch der Dichter noch führte; F. genoß eine gründliche Erziehung, zeitweilig von seinem »Vetter« Kaspar Scheid in Worms, erlangte 1574 von der Universität in Basel das juristische Doktordiplom, ward 1581 Reichskammeradvokat in Speyer und um 1583 Amtmann in Forbach bei Saarbrücken. Seine Hauptwerke fallen in die Jahre zwischen 1575 und 1581, die er, wie es scheint, zum größten Teil in Straßburg als literarischer Beistand seines Schwagers, des Buchdruckers Jobin, verbrachte. F. war ein Mann von der wärmsten vaterländischen Gesinnung, ein bedeutender Dichter und der gewaltigste protestantische Publizist im Zeitalter der Gegenreformation. Er besaß nicht nur klassische Gelehrsamkeit, sondern auch Bekanntschaft mit der französischen und der altheimatlichen Literatur, und seine staunenswürdige Kenntnis aller Äußerungen des deutschen Lebens im 16. Jahrh. macht seine Werke für die Geschichte der Sitten zu einer wichtigen Fundgrube. Ohne Zweifel hat er auch durch Reisen seine Welt- und Menschenkenntnis erweitert. In bezug auf das Hexenwesen war er in den abergläubischen Vorstellungen seiner Zeit befangen, wie seine Übersetzung der Schrift des Bodin: »De magorum daemonomania« (Straßb. 1581), beweist. Auch gab er als Advokat am Reichskammergericht 1582 den »Malleus malleficarum« und andre Schriften über Hexenwesen heraus. Als Dichter zeichnete er sich besonders durch Sprachgewalt und ungewöhnliche Bildlichkeit der Rede aus; nur Maß und Geschmack gehen ihm ab. Von seinen Gedichten seien erwähnt: Der »Eulenspiegel Reimensweiß« (Frankf. o. J.), eine Versifikation des bekannten Volksbuches; »S. Dominici und S. Francisci Leben« (1571), eine Satire gegen die Orden der Dominikaner und Franziskaner; »Beschreibung des vielkörnigen Hütleins« (zuerst 1580, neu hrsg. von Chr. Schad, Leipz. 1845; erneut von Pannier, das. 1879), worin er die Jesuiten, die gefährlichsten Gegner des Protestantismus, bekämpft; die tollkomische Dichtung »Flöhhatz, Weibertratz« (Straßb. 1573 u. ö.; neu hrsg. von Wendeler, Halle 1877), worin ein Rechtsstreit der Flöhe mit den Weibern geschildert wird (der 1. Teil der 1. Ausgabe, die Flohklage, ist allerdings nicht von F., sondern von Matthias Holtzwart verfaßt, und erst die 2. Ausgabe von 1577 ist ganz Fischarts Werk; vgl. P. Koch, Die Flöhhaz von I. F. und M. Holtzwart, Berl. 1892); »Das glückhafft Schiff von Zürich« (zuerst 1576; neue Ausg. von Baesecke, Halle 1901), wo F. die bekannte, damals großes Aufsehen erregende Fahrt der Züricher mit dem Hirsebrei feiert, den sie von Zürich noch warm nach Straßburg brachten (vgl. Bächtold, Das glückhafte Schiff, Zürich 1880). Außerdem verfaßte F. eine Anzahl trefflicher kleinerer Gedichte, die z. T. als Erläuterungen zu Holzschnitten dienen sollten: das »Lob der Laute«, die »Ermahnung an die lieben Teutschen«, die »Ermahnung zu christlicher Kinderzucht«, das »Lob des Landlusts« u. a. In dem »Podagrammisch Trostbüchlein« (Straßb. 1577 u. ö.) stellt F. das Podagra als einen Verschoner der arbeitsamen Armut und als wohltätige Züchtigung der Reichen dar, die den Geist freiläßt zu Witz und Heiterkeit. Das Glück des häuslichen Lebens schildert das »Philosophisch Ehzuchtbüchlein« (Straßb. 1578; bearbeitet von Weitbrecht, Stuttg. 1881), das übrigens, wie das »Podagrammisch Trostbüchlein«, hauptsächlich Übersetzungen enthält. In der Satire »Aller Practick Großmutter« (1572; Neudruck, Halle 1876; Fischarts um das Dreifache erweiterte Umarbeitung erschien 1574 u. ö.), die durch Rabelais' »Prognostication« angeregt ward, zieht F. gegen die Kalendermacher und Wahrsager zu Felde. Im »Bienenkorb des Heyligen Römischen Imenschwarms« (frei nach dem Holländischen des Marnix von St. Aldegonde, 1579 u. ö.) bekämpft er die gesamten Institutionen des Papsttums. Das Gegenstück zu diesen Satiren bilden seine ernsten und würdigen Paraphrasen einiger Psalmen und seine Kirchenlieder (im Straßburger Gesangbuch von 1576; neue Ausg., Berl. 1849), in denen er Luthers gewaltige Sprache mit Glück handhabte. Sein Hauptwerk aber ist die »Affentheurliche und ungeheurliche Geschichtschrift vom Leben, Rhaten und Thaten der vor langen weilen vollenwolbeschreiten Helden und Herren Grandgusier, Gargantoa und Pantagruel« (1575; dann unter verändertem Titel: »Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung von Thaten und Rahten etc.«, 1582; darauf bis 1631 noch acht Ausgaben, Neudruck, Halle 1887), das teils aus Rabelais' »Gargantua« nicht fehlerlos übersetzt ist, teils eine selbständige Ausführung Fischarts darbietet (vgl. Frantzen, Kritische Bemerkungen zu Fischarts Übersetzung von Rabelais' »Gargantua«, Straßb. 1892). Es ist ein satirischer Heldenroman, der gegen den Ritterroman komische Opposition machte, indem er, »dem Charakter der Reformationszeit get reu, die Natur der Unnatur, den gesunden Menschenverstand der übertriebenen Idealistik, die plebejische Derbheit und Roheit der aristokratisch-romant ischen Verschrobenheit entgegensetzte« und zugleich den geistigen Fortschritt verherrlichte. Bedeutend sind besonders die Stellen, wo er seine Ergüsse über die Gebrechen der Zeit anbringt und Spott und Witz frei spielen läßt. Auch in sprachlicher Beziehung ist das Buch höchst bemerkenswert, insofern darin ein Übermut und eine Unerschöpflichkeit im Erfinden neuer Worte und Wendungen entwickelt sind, die das Buch zu einem schwerverständlichen Unikum in der Literatur machen. Von seinen übrigen im allgemeinen sehr selten gewordenen Schriften sei nur noch das satirische Bücherverzeichnis »Catalogus catalogorum perpetuo durabilis« (1590) erwähnt. Eine vollständige Ausgabe von Fischarts Werken wurde vom Freiherrn v. Meusebach vorbereitet, dessen reiche F.-Bibliothek jetzt der königlichen Bibliothek in Berlin einverleibt ist. Die poetischen Werke gab H. Kurz (Leipz. 1866–68, 3 Bde.), eine Auswahl derselben Goedeke (das. 1880), eine trefflich bearbeitete auch A. Hauffen in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur« (Stuttg. 1893f., 3 Bde.) heraus. »Neue Originalpoesien« Fischarts veröffentlichte Weller (Halle 1854). Die »Geschichtklitterung« und mehrere kleinere Schriften sind neu gedruckt in Scheibles »Kloster«, Bd. 7 u. 10 (Stuttg. 1847–48). Vgl. W. Wackernagel, I. F. von Straßburg und Basels Anteil an ihm (2. Aufl., Basel 1875); Dederding, Zur Charakteristik Fischarts (Berl. 1876); Erich Schmidt in der »Allgemeinen deutschen Biographie«, Bd. 7; v. Meusebach, Fischartstudien (hrsg. von Wendeler, Halle 1879); Weitbrecht, Joh. F. als Dichter und Deutscher (Stuttg. 1879); P. Besson, Etude sur Jean F. (Par. 1889); Hauffen, Fischartstudien (im »Euphorion«, Bd. 3–6,8–10,1896–1903); Galle, Der poetische Stil Fischarts (Rostock 1893); Englert, Die Rhythmik Fischarts (Münch. 1903).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.