Dorĭer

Dorĭer

Dorĭer (D or er), einer der Hauptstämme des griechischen Volkes, leiteten ihren Namen von Deukalions Enkel Doros, Hellens Sohn, ab. Wir finden sie in den frühesten Zeiten in Thessalien, geteilt in drei Stämme, Pamphyler, Dymanen und Hylleis. Der Einbruch der Thessaler von Norden her zwang sie, ihre Wohnsitze nach Süden vorzuschieben; als Spur ihrer Wanderung blieb aber die Landschaft Doris am Öta mit der Hauptstadt Erineos, stets von Doriern bewohnt. Ums Jahr 1104 führten sie ihren Zug in den Peloponnes fort. Die Sage läßt sie den Korinthischen Meerbusen überschreiten, und zwar unter der Anführung der Nachkommen des Herakles, den sie zu ihrem Stammheros erhoben hatten, und von dem sie ihre Fürstengeschlechter ableiteten (die sogen. Dorische Wanderung oder die Rückkehr der Herakliden). Im Peloponnes stürzten sie die erschlafften Mykenischen Staaten und bemächtigten sich des Südens und Ostens der Halbinsel, der Landschaften Lakonien, Messenien und Argolis, die nach der Sage den drei Heraklidenbrüdern Aristodemos, Kresphontes und Temenos zufielen, ferner Korinths und in Mittelgriechenland Megaris'. Nur ein Teil von Elis, Arkadien und Achaia verblieb den frühern Einwohnern; in den dorisch gewordenen Landschaften wurde ihnen mit Ausnahme einiger ächäischen Geschlechter, welche die Dorier in ihre Stammesgemeinschaft aufnahmen, die untergeordnete Stellung von Zinsbauern (Periöken) und Staatssklaven (in Sparta Heloten genannt) zugewiesen. Der Dialekt wurde überall der dorische, von den Göttern genoß in den meisten Staaten Apollon die höchste Verehrung, zu seinem Orakel in Delphi standen namentlich die spartanischen Könige in enger Beziehung. Auch außerhalb des Peloponnes breiteten sich die D. durch Kolonien aus. So begründeten sie eine neue Bevölkerung und Kultur auf der Insel Kreta, die allmählich völlig von ihnen unterworfen wurde, und besetzten die südlichen Kykladen (namentlich Melos und Thera), Rhodos und Kos und die gegenüberliegenden Landspitzen mit ihren Ansiedlern. Ferner gründete Megara Chalkedon und Byzantion und andre Städte am Schwarzen Meer, Korinth Mesambria, Selymbria und Potidäa, eine große Anzahl von Städten am Ionischen und Adriatischen Meer, wie Ambrakia, Leukas, Kerkyra, Epidamnos, Apollonia, Issa, Sparta; in Italien Taras oder Tarentum, Herakleia, Kroton, auch Lokroi wenigstens durch spartanische Führer, Rhodos Parthenope im Lande der Osker und Rhode in Spanien. In die Küsten von Sizilien teilten sich die D. mit den Chalkidiern. Syrakus, Messana (das von den flüchtenden Messeniern besetzt und aus Zankle in Messana umgetauft wurde), Akragas oder Agrigent, Panormos (jetzt Palermo) waren dorische Kolonien. Auch in Kyrene erlangte das dorische Element das Übergewicht. Überall bewahrten die Bewohner dorische Einrichtungen, Verfassung, Sprache und Religion und erhielten z. T. auch von der Mutterstadt ihre höchsten Beamten. Eigentümlich ist dem dorischen Charakter eine gewisse Rauheit und Schroffheit, die alles ein und demselben für alle geltenden Gesetz und Herkommen untertan macht und der Individualität und Besonderheit des Einzelnen keinen Spielraum läßt. Besonders charakteristisch hat sie sich in Sparta ausgebildet, während andre dorische Staaten, die mehr an der Bewegung des Völkerverkehrs teilnahmen, wie Korinth, besonders aber die Kolonien, unter dem Einfluß fremder Sitten und Anschauungen das spezifisch Dorische bald mehr oder weniger aufgegeben haben. Diesem Charakter entsprechend war die Verfassung der dorischen Staaten meist eine aristokratische, die oft in Oligarchie ausartete und den Gegensatz zu dem ionischen Wesen schärfte, der ein treibendes Moment in der griechischen Geschichte gebildet hat. Vgl. O. Müller, Geschichten hellenischer Stämme, Bd. 2 u. 3 (2. Ausg. von Schneidewin, Bresl. 1844) und die Karte »Alt-Griechenland«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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