- Aggregatzustände
Aggregatzustände. Nach dem Verhalten der Körper gegen Zug- und Druckkräfte unterscheidet man feste, flüssige und gasförmige Körper. Feste Körper besitzen Kohäsion und Verschiebungselastizität, d.h. zur Zerreißung oder Gestaltänderung (Verdrillung) ist eine endliche Kraft notwendig, und die Gestaltänderung wird beim Nachlassen der Kraft wie der rückgängig, falls die Stärke der Kraft einen gewissen Betrag, die Elastizitätsgrenze, nicht überschritten hatte. Flüssige Körper besitzen wohl Kohäsion (z. B. ist zum Zerreißen einer Wassersäule eine Kraft von mindestens 150 kg auf 1 qcm Querschnitt erforderlich, wenn seitliche Kontraktion [Querschnittsverminderung] verhindert wird), dagegen ist die Elastizitätsgrenze der Flüssigkeiten = 0, sie gestatten nicht die geringste dauernde elastische Deformation. Gase besitzen auch keine Kohäsion, dehnen sich vielmehr unter Einwirkung der kleinsten Kraft, ja selbst ohne solche aus, soweit ihnen Raum geboten wird (Expansivvermögen). Die festen Körper können starr, hart, weich oder halbflüssig sein; die Flüssigkeiten zäh- und leichtflüssig. Bei diesen beiden Körperklassen kann man ferner isotrope (amorphe) und anisotrope (kristallinische) unterscheiden. Die meisten Stoffe kommen in drei (enantiotropen) Modifikationen vor, von denen eine fest, die andre flüssig, die dritte gasförmig ist, und deren jede bei gegebenem Druck innerhalb gewisser Temperaturgrenzen beständig (stabil) ist (z. B. Eis, Wasser, Dampf). Nach der Molekularhypothese sollen diese Modifikationen aus gleich beschaffenen Molekülen bestehen und sich nur dadurch voneinander unterscheiden, daß die Moleküle in verschiedener Weise »aggregiert« sind, daher der Name A. Es soll auch notwendig jeder Körper in drei und nicht mehr Aggregatzuständen auftreten. Dem entgegen hat O. Lehmann (1876) nachgewiesen, daß es Körper gibt, die mehr als drei A. besitzen (z. B. salpetersaures Ammoniak hat zwischen 0 und 168° vier feste Zustände, s. Enantiotropie), und daß es Gründe gibt, anzunehmen, daß die Moleküle der Modifikationen nicht gleich sind. So beweisen die Eigenschaften der flüssigen Kristalle, daß die optischen Eigenschaften durch die Struktur der Moleküle bedingt sind, die optischen Eigenschaften der Modifikationen zeigen aber bedeutende Verschiedenheiten, somit müssen die Moleküle verschieden sein. Die Analogie der Aggregatzustandsänderungen mit der Umwandlung sogen. Molekularverbindungen (z. B. kristallwasserhaltiger Salze), die Existenz bestimmter, vom Druck abhängiger Umwandlungstemperaturen, die Bindung und Entbindung von Wärme bei der Umwandlung, die Überkühlungs- und Überhitzungserscheinungen etc. weisen darauf hin, daß die Verschiedenheit der Moleküle in verschiedener Größe derselben besteht. Nun ergeben aber die Molekulargewichtsbestimmungen gleiche Größe des chemischen Moleküls in den verschiedenen Aggregatzuständen, somit muß unterschieden werden zwischen physikalischen und chemischen Molekülen, von welchen erstere als lose Aggregate der letztern gedeutet werden. Die sogen. drei A. eines Körpers werden deshalb als physikalisch-polymere Modifikationen desselben bezeichnet (s. Isomerie). Vgl. O. Lehmann, Molekularphysik (Leipz. 1888. 2 Bde.) und »Annalen der Physik«, 1900, Bd. 2.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.