- Zeuge
Zeuge (Testis) heißt in Rechtssachen die Person, die über Wahrnehmungen, die sie gemacht hat, aussagen soll. Weder der Richter, noch eine der Parteien, noch ein gesetzlicher Vertreter einer solchen darf im Rechtsstreit als Z. vernommen werden. Früher wurde vielfach zwischen völlig glaubwürdigen (klassischen) und zwischen verdächtigen oder unglaubwürdigen Zeugen unterschieden. Auch bestanden Vorschriften darüber, unter welchen Umständen der Richter einem Zeugen Glauben schenken dürfe oder müsse. Die neuen deutschen Prozeßordnungen geben die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen lediglich dem richterlichen Ermessen anheim (s. Beweistheorie und Beweis). Die Zeugnispflicht ist hiernach im allgemeinen eine durch Strafen und Personalhaft erzwingbare Bürgerpflicht (Zeugniszwang). Folgende Personen können jedoch das Zeugnis verweigern. der Verlobte einer Partei und im Strafprozeß der Verlobte des Beschuldigten; der Ehegatte einer Partei oder des Beschuldigten; wer mit einer Partei oder mit dem Angeschuldigten in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Adoption verbunden oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist; Beamte über Umstände, auf die sich ihre Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit bezieht, bis zur Genehmigung seitens ihrer vorgesetzten Behörde; Geistliche in Ansehung desjenigen, was ihnen bei der Ausübung der Seelsorge anvertraut ist. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sind außerdem zur Verweigerung des Zeugnisses Personen berechtigt, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in betreff der Tatsachen, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Außerdem darf in einem Zivilprozeß der Z. das Zeugnis verweigern über Fragen, deren Beantwortung ihm oder einem seiner Angehörigen einen unmittelbar vermögensrechtlichen Schaden verursachen, oder zur Unehre gereichen oder die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung zuziehen, oder über Fragen, die der Z. nicht würde beantworten können, ohne ein Kunst- oder Gewerbegeheimnis zu offenbaren. Für den Strafprozeß sind ferner der Verteidiger des Angeschuldigten in Ansehung desjenigen, was ihm in dieser Eigenschaft, ferner Rechtsanwälte und Ärzte in Ansehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung ihres Berufs anvertraut ist, zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Sie dürfen jedoch das Zeugnis nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind. Endlich kann im Strafprozeß jeder Z. die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem seiner Angehörigen die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung zuziehen würde.
Die österreichische Zivilprozeßordnung (§ 320 ff. und 371 ff.) unterscheidet zwischen Personen, die als Zeugen nicht vernommen werden und solchen, die eine Zeugenaussage über bestimmte Tatsachen verweigern dürfen, endlich solchen, die unbeeidigt zu vernehmen sind. Zur erstern Gruppe gehören die Personen, denen die Fähigkeit zur Wahrnehmung und zur Wiedergabe des Wahrgenommenen fehlt, Geistliche in Ansehung des ihnen in der Beichte oder sonst unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit Anvertrauten und Staatsbeamte, wenn sie durch ihre Aussage das Amtsgeheimnis verletzen würden. Als Zeugen in eigner Sache dürfen auch die Parteien vernommen werden, wenn die richterliche Wahrheitsüberzeugung nicht durch andre Beweismittel hergestellt wurde. Die eidliche Aussage darf bezüglich derselben Tatsache nur einer der beiden Parteien aufgegeben werden.
Die Zeugenvernehmung selbst beginnt damit, daß der Z. über Vor- und Zunamen, Alter, Religionsbekenntnis, Stand oder Gewerbe und Wohnort befragt wird. Erforderlichenfalls sind ihm auch Fragen über solche Umstände, die seine Glaubwürdigkeit betreffen, insbes. über seine Beziehungen zu den Parteien, im Strafprozeß zu dem Beschuldigten oder Beschädigten, vorzulegen. Im Zivilprozeß haben die Parteien und deren Anwälte, im Strafprozeß außer dem Vorsitzenden auch die beisitzenden Richter, Schöffen und Geschworne, Staatsanwalt, Angeklagter und Verteidiger das Recht, Fragen an die Zeugen zu stellen (s. Kreuzverhör). Der Regel nach hat jeder Z. vor der Vernehmung den Zeugeneid zu leisten; doch kann die Beeidigung aus besondern Gründen, namentlich wegen Bedenken gegen ihre Zulässigkeit, bis nach Abschluß der Vernehmung ausgesetzt bleiben. Unbeeidigt sind zu vernehmen: Personen, die zur Zeit der Vernehmung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet oder wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Verstandesschwäche von dem Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben; die wegen Meineids Verurteilten; Personen, die hinsichtlich der den Gegenstand einer strafrechtlichen Untersuchung bildenden Tat als Teilnehmer, Begünstiger oder Hehler verdächtig oder bereits verurteilt sind; Personen, die bei dem Ausgang eines Rechtsstreites unmittelbar beteiligt sind; endlich in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten die meisten Personen, die das Zeugnis an und für sich verweigern könnten, von dieser Befugnis aber keinen Gebrauch gemacht haben. Die Entschädigung, die Zeugen für die zu ihrer Vernehmung erforderliche Zeitversäumnis zu beanspruchen haben, ist durch Reichsgesetz geregelt (s. Zeugengebühren). Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung. § 48 ff.; Zivilprozeßordnung, § 373 ff. Erfolgt die Zuziehung von Zeugen zum Zwecke der Beurkundung eines Rechtsaktes, z. B. bei einer Testamentserrichtung, so spricht man von Instruments- oder Solennitätszeugen. – Über die Zeugen (Sekundanten) beim Zweikampf s. d.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.