Wislicēnus

Wislicēnus

Wislicēnus, 1) Gustav Adolf, prot. Theolog, geb. 20. Nov. 1803 zu Battaune in der Provinz Sachsen, gest. 14. Okt. 1875 in Fluntern bei Zürich, ward 1824 als Mitglied der Burschenschaft zu zwölfjährigem Festungsarrest verurteilt, doch 1829 begnadigt. Seit 1834 Pfarrer in Kleineichstädt bei Querfurt, seit 1841 an der Neumarktskirche in Halle, nahm er lebhaften Anteil an den lichtfreundlichen Bestrebungen. Sein am 29. Mai 1844 in Köthen gehaltener Vortrag über die Autorität der Schrift veranlaßte 1846 seine Amtsentsetzung (s. Freie Gemeinden). Seinen Prozeß stellte er dar in der Schrift »Die Amtsentsetzung des Pfarrers W. in Halle« (Leipz. 1846). Er lebte seitdem in Halle als Prediger der Freien Gemeinde, ward jedoch infolge der Schrift »Die Bibel im Lichte der Bildung unsrer Zeit« (Lübeck 1854) im September 1853 zu zweijähriger Gefängnisstrafe verurteilt. Der Vollstreckung entzog er sich durch die Flucht nach Amerika, kehrte aber im Mai 1856 nach Europa zurück und ließ sich bei Zürich nieder. Hier schrieb er sein Hauptwerk: »Die Bibel, für denkende Leser betrachtet« (Leipz. 1863–64, 2 Bde.). Vgl. Thierbach, Gustav Adolf W. (Leipz. 1903).

2) Hermann, Maler, geb. 20. Sept. 1825 in Eisenach, gest. 25. April 1899 in Goslar, ging 1844 auf die Akademie in Dresden und wurde später Schüler Bendemanns, dann Schnorrs. Sein erstes Bild. Überfluß und Elend, wurde für die Dresdener Galerie angekauft (Karton im Museum zu Leipzig). 1853 begab er sich mit einem Reisestipendium nach Italien, wo er sich in Rom besonders an Cornelius anschloß. Nach seiner Rückkehr ließ er sich in Weimar nieder. Er führte hier verschiedene Aufträge aus, wie den großen Karton: Götterbacchanal, zu einem Deckengemälde für ein Haus in Leipzig; die Ölbilder: die Nacht (für den Großherzog), die Phantasie, von den Träumen getragen (für den Grafen Schack in München), die vier Evangelisten (für die Grabkapelle der Großfürstin Maria Paulowna in Weimar) und mehrere Zeichnungen, wie: Ruhmeshalle deutscher Dichter (im Museum zu Weimar), die Deukalionische Flut (ebendaselbst), Prometheussage (im Museum zu Leipzig). 1868 folgte W. einem Ruf als Professor an die Akademie in Düsseldorf. Hier entstanden die großen Gemälde: die vier Jahreszeiten (in der Berliner Nationalgalerie), Germania auf der Wacht am Rhein, die Lurlei u. a. 1877 erhielt W. den ersten Preis in der Konkurrenz um die Ausmalung des Kaisersaals in der Pfalz zu Goslar mit Gemälden aus der deutschen Kaisergeschichte und Sage, deren Ausführung ihn bis 1897 in Gemeinschaft mit Schülern und Gehilfen beschäftigt hat. Vgl. »Die Wandgemälde im Kaiserhaus zu Goslar« (20 Tafeln, mit Text von Jordan und Wode, Goslar 1904).

3) Johannes, Chemiker, ältester Sohn von W. 1), geb. 24. Juni 1835 in Kleineichstädt bei Querfurt, gest. 5. Dez. 1902 in Leipzig, studierte in Halle Mathematik und Naturwissenschaften, dann ausschließlich Chemie, wurde 1853 Assistent bei Horsford in New Cambridge, setzte seit 1856 seine Studien in Zürich und Halle fort, habilitierte sich in Zürich, wurde 1861 Professor an der Kantonsschule, 1864 an der Universität, 1870 am Polytechnikum und 1871 Direktor dieser Lehranstalt, ging aber 1872 nach Würzburg und 1885 nach Leipzig. W. hat tätigen Anteil an der Entwickelung der theoretischen Chemie genommen. Schon seine Inauguraldissertation betraf die »Theorie der gemischten Typen« (Berl. 1859), und später trug er mit dazu bei, die Typentheorie überzuführen in die heute gültigen Ansichten über die Struktur der chemischen Verbindungen. Sehr wichtig in dieser Beziehung sind seine Arbeiten über die zweiatomigen Alkohole (Glykole) und die zweiatomigen Säuren (Oxysäuren). Andre Arbeiten betrafen die Milchsäure, deren Isomere und Homologe, den Acetessigsäureäther, den Natriumacetessigsäureäther und die zahlreichen von diesen Körpern sich ableitenden Derivate. Er entdeckte bei seinen Arbeiten über Milchsäure isomere Verbindungen mit identischer Struktur und zeigte die Notwendigkeit geometrischer Betrachtungen der Atomlagerung. Später erklärte er zahlreiche bis dahin rätselhafte Fälle der Isomerie durch verschiedene räumliche Lagerung der Atome im Molekül und zeigte die Möglichkeit, diese Verhältnisse experimentell festzustellen. Er lieferte auch eine neue Bearbeitung (1. Bd., 9. Aufl.; 2. Bd., 6. Aufl.) von Regnault-Streckers »Lehrbuch der Chemie« (Braunschweig 1876–81). Vgl. Beckmann, Joh. W. (Berl. 1905); Sonne, Erinnerungen an J. W. (Leipz. 1907).

4) Georg, Marineschriftsteller, Sohn von W. 2), geb. 15. Nov. 1858 in Weimar, trat 1876 in die Marine, wurde 1889 wissenschaftlicher Beamter der Deutschen Seewarte, 1899 Abteilungsvorstand der Küstenbeschreibung fremder Länder, seit 1903 in gleicher Tätigkeit bei der Nautischen Abteilung des Reichsmarineamts; 1908 wurde er zum Admiralitätsrat ernannt. Er schrieb: »Ergebnisse der internationalen Marinekonferenz in Washington« (Leipz. 1891); »Schutz für unsere Seeleute« (das. 1894); »Unsere Kriegsflotte« (2. Aufl., das. 1896; mit 20 Tafeln von Saltzmann, Schwinge und Stöwer); »Deutschlands Seemacht sonst und jetzt« (das. 1896); »Kernpunkte der Flottenfrage« (das. 1898); »Prinzadmiral Adalbert« (das. 1899). Auch gab er Band 3–5 des von Lohmeyer begründeten Werkes »Auf weiter Fahrt« (Leipz. 1905–07) heraus.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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