Tausendfüßer

Tausendfüßer

Tausendfüßer (Myriopoda, Myriopoden), Klasse der Gliederfüßer, landbewohnende, flügellose Tiere, zuweilen mit sehr zahlreichen Körperringen und Füßen. Der Kopf ist vom Rumpfe deutlich abgesetzt, der nicht wie bei den Insekten in Brust und Hinterleib zerfällt, sondern aus gleichartigen, bis hintenhin je zwei Gliedmaßen tragenden Ringen besteht und entweder zylindrisch oder dorsoventral abgeplattet ist. Der Kopf, dem der Insekten sehr ähnlich, trägt ein Paar Fühler, einfache Augen in wechselnder Anzahl und ein Paar Oberkiefer sowie ein oder zwei Paar Unterkiefer, von denen das vordere Paar zu einer Platte (Gnathochilarium) verwachsen sein kann. Am Rumpfe hat jeder Ring ein Paar sechs- bis siebengliederiger Beine, nur bei der Abteilung der Chilognathen jeder, mit Ausnahme der 3–5 vordersten, zwei Paare (Diplopoda), welches Verhalten jedoch auf die Verschmelzung zweier Segmente zu einem Ring zurückzuführen ist. Im innern Bau stimmen die T. in den meisten Punkten mit den Insekten überein Das Nervensystem besteht aus dem Gehirn und dem sehr langen Bauchstrang; die Augen sind einfach (Stemmata, Ocellen), meist in Gruppen zusammengeordnet und machen, wenn sie in größerer Zahl vorhanden sind, wie bei Scutigera, den Eindruck eines zusammengesetzten (Facetten-) Auges. Zuweilen fehlen die Augen auch gänzlich. Der Darm durchzieht fast immer in gerader Linie den ganzen Leib vom Mund zum After und zerfällt in die Speiseröhre mit den in sie einmündenden Speicheldrüsen, den Magendarm mit kurzen Leberschläuchen und den Enddarm, in den auch die zwei oder vier Harnkanäle (Malpighische Gefäße) ihren harnartigen Inhalt entleeren. Das Herz erstreckt sich als pulsierendes Rückengefäß durch den ganzen Rumpf. Zur Atmung dienen die Tracheen, deren Luftlöcher (Stigmen) an fast allen Ringen vorhanden sind. Die Geschlechter sind getrennt; Hode und Eierstock sind meist lange, unpaare Schläuche und münden entweder mit einfacher Öffnung ganz hinten oder mit doppelter (rechter und linker) an dem zweiten Beinpaar aus. Die Eier werden abgelegt; die aus ihnen hervorkommenden Jungen haben erst wenige (bei den Chilognathen sogar nur drei) Beinpaare und Ringe, bei ihren zahlreichen Häutungen aber bilden sich hinten stets neue Ringe. Die T. leben unter Steinen oder Baumrinde, an feuchten, dunkeln Orten und in der Erde; die Chilopoden ernähren sich räuberisch von Insekten und andern kleinen Tieren, die Chilognathen von vegetabilischer Kost, besonders von modernden Pflanzenteilen und Aas. Einige Arten der Chilopoden geben (vielleicht nur zur Zeit der Begattung) aus Drüsen am Bauche leuchtenden Schleim von sich, andre sondern Blausäure ab. In ihrer Kieferzange besitzen die Chilopoden kleine Giftbläschen, mit deren Inhalt sie kleine Vögel und Sänger töten können.

Fig. 1. Julus terrestris.
Fig. 1. Julus terrestris.
Fig. 2. Scolopendra morsitans.
Fig. 2. Scolopendra morsitans.

Die Chilognathen sondern aus Rückenporen sehr verschiedenartige scharfe Verteidigungsstoffe ab. Man kennt 500–600 Arten, die meist den Tropen angehören. Fossile Reste findet man vor allem in der Steinkohle (besonders in Nordamerika), im Tertiär, gut erhalten im Bernstein eingeschlossen, aber auch schon in paläozoischen Schichten kommen T. vor, im Untersilur und Devon, die primitiverer Natur als die heute lebenden Formen gewesen zu sein scheinen. Man teilt die T. in zwei Gruppen: die Schnurasseln (Chilognatha, Diplopoda): mit meist drehrundem Körper und je zwei Beinpaaren an den mittlern und hintern Leibesringen (Fig. 1); hierher unter andern: Julus (Vielfuß) und die kurze, mit glänzenden Rückenschildern versehene Schalenassel (Glomeris); 2) die Lippenfüßer (Chilopoda): drei Paar Kiefer; an jedem Ring nur ein Beinpaar; das erste Paar als Kieferfüße dicht an den Mund gerückt (daher der Name Lippenfüßer, Fig. 2, S. 357); hierher unter andern Scolopendra (Skolopender) und Scutigera mit auffallend langen Beinen. Als besondere Abteilungen stellt man den beiden genannten häufig noch die Symphylen (Scolopendrella) und die Pauropoden (mit der Gattung Pauropus) gegenüber, zum Teil kurze, nur aus relativ wenig Segmenten bestehende Formen; diese zeigen eine gewisse Ähnlichkeit mit gewissen Insektenlarven und besonders auch mit den apterogenen Insekten, speziell den Thysanuren. Zwischen Insekten und Tausendfüßern besteht wohl eine ziemlich nahe Verwandtschaft, die sich bei diesen niedern Formen beider Abteilungen deutlicher zu erkennen gibt. Vgl. Latzel, Die Myriopoden der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (Wien 1880–1884, 2 Bde.); Haase, Die indisch-australischen Myriopoden (Dresd. 1887); Attems, Die Myriopoden (Frankf. 1897), Die Myriopoden Steiermarks (Wien 1895) und andre Schriften desselben Verfassers; Verhoeff, Bearbeitung der Myriopoden in Bronns »Klassen und Ordnungen des Tierreichs« (Leipz. 1902 ff.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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